Die scheinbar endlose Suche nach dem Brexit-Kompromiss
Das britische Unterhaus lehnt mehrere Kompromissvorschläge zum EU-Austritt ab – Die Regierung von Theresa May ist tief gespalten
LONDON - Neue Runde im Ringen zwischen Regierung und Parlament: In buchstäblich letzter Minute, elf Tage vor dem möglichen Austrittstermin, hat das Londoner Unterhaus am Montagabend über mögliche Kompromisslösungen für Großbritanniens EU-Austritt abgestimmt. Keine der vier Alternativen erhielt aber eine Mehrheit. Premierministerin Theresa May hatte vorab wenig Kompromissbereitschaft erkennen lassen – nicht zuletzt, weil sie unter dem Druck rivalisierender Gruppen im Kabinett steht.
Unter anderem haben sich innerhalb der Fraktion der konservativen Torys die Brexit-Ultras in der Europäischen Forschungsgruppe (ERG) zusammengeschlossen. Gemäßigte Kollegen wie Stephen Crabb sehen die ERG als „Partei in der Partei“. Die ERG-Abgeordneten sind wiederum ein Allianz mit der erzkonservativen Unionistenpartei DUP aus Nordirland eingegangen, deren Stimmen im Parlament May seit der Parlamentswahl im Jahr 2017 braucht.
Vergangene Woche fand dann die nächste Wende im Brexit-Drama statt: Eine überparteiliche Allianz unter Leitung des früheren Tory-Kabinettsministers Oliver Letwin entzog der Regierung die Herrschaft über die Tagesordnung. So wurden am vergangenen Mittwoch und am Montag eine Serie von nicht bindenden Abstimmungen möglich. Diese Voten sollten mögliche Brexit-Kompromisse aufzeigen.
Zollunion mit Mitsprache?
Die Erwartungen vorab hatten sich vor allem auf den Änderungsantrag des Parlamentsalterspräsidenten Kenneth Clarke konzentriert. Er zielte auf die Verabschiedung des Austrittsvertrages ab, zusammen mit einer präzisierten politischen Erklärung: Demnach soll Großbritannien eine permanente Zollunion mit der EU anstreben und dieses Vorhaben gesetzlich verankern. Dahinter steckt die Hoffnung, die EU der 27 werde seinem bisherigen Mitglied ein Mitspracherecht über zukünftige Handelsabkommen einräumen. Das fordert seit Langem die Labour-Opposition. Damit wäre ein Großteil der Probleme an der inneririschen Grenze gelöst – dort stoßen ja künftig EU-Binnenmarkt und Außenwelt aufeinander. Alleine, um Chaos an der inneririschen Grenze zu verhindern, kommt ein chaotischer Brexit (No Deal) eigentlich nicht infrage. Der hätte dort nämlich automatisch Zoll- und Grenzkontrollen zur Folge.
Elizabeth Truss scheint das nicht zu stören: Die Chefsekretärin des Schatzamts teilte am Montag mit, sie habe „keine Angst vor No Deal“. Wie andere Kabinettsmitglieder gehört Truss zu 170 von 314 Tory-Abgeordneten, die der Premierministerin am Wochenende schriftlich den ChaosBrexit empfahlen.
Ex-Außenminister Boris Johnson machte indes nochmals deutlich, in welchem Kontext für Konservative alle Brexit-Überlegungen stehen: dem Kampf um Theresa Mays Nachfolge. Im „Daily Telegraph“veröffentlichte der 54-Jährige eine Art Programm für seine Kandidatur. Es besteht aus Steuersenkungen sowie dem Appell, die Torys müssten „wieder lernen, an Großbritannien zu glauben“. Um einen Chaos-Brexit zu verhindern, müsste Großbritannien beim EU-Rat kommende Woche um erneute Verlängerung der Austrittsfrist bitten. Innerhalb der längeren Frist könnte ein zweites Referendum stattfinden – oder Neuwahlen zum Unterhaus. Brüssel beharrt darauf, dass die Briten dann auch an der Europawahl teilnehmen müssten.