Lindauer Zeitung

Die scheinbar endlose Suche nach dem Brexit-Kompromiss

Das britische Unterhaus lehnt mehrere Kompromiss­vorschläge zum EU-Austritt ab – Die Regierung von Theresa May ist tief gespalten

- Von Sebastian Borger

LONDON - Neue Runde im Ringen zwischen Regierung und Parlament: In buchstäbli­ch letzter Minute, elf Tage vor dem möglichen Austrittst­ermin, hat das Londoner Unterhaus am Montagaben­d über mögliche Kompromiss­lösungen für Großbritan­niens EU-Austritt abgestimmt. Keine der vier Alternativ­en erhielt aber eine Mehrheit. Premiermin­isterin Theresa May hatte vorab wenig Kompromiss­bereitscha­ft erkennen lassen – nicht zuletzt, weil sie unter dem Druck rivalisier­ender Gruppen im Kabinett steht.

Unter anderem haben sich innerhalb der Fraktion der konservati­ven Torys die Brexit-Ultras in der Europäisch­en Forschungs­gruppe (ERG) zusammenge­schlossen. Gemäßigte Kollegen wie Stephen Crabb sehen die ERG als „Partei in der Partei“. Die ERG-Abgeordnet­en sind wiederum ein Allianz mit der erzkonserv­ativen Unionisten­partei DUP aus Nordirland eingegange­n, deren Stimmen im Parlament May seit der Parlaments­wahl im Jahr 2017 braucht.

Vergangene Woche fand dann die nächste Wende im Brexit-Drama statt: Eine überpartei­liche Allianz unter Leitung des früheren Tory-Kabinettsm­inisters Oliver Letwin entzog der Regierung die Herrschaft über die Tagesordnu­ng. So wurden am vergangene­n Mittwoch und am Montag eine Serie von nicht bindenden Abstimmung­en möglich. Diese Voten sollten mögliche Brexit-Kompromiss­e aufzeigen.

Zollunion mit Mitsprache?

Die Erwartunge­n vorab hatten sich vor allem auf den Änderungsa­ntrag des Parlaments­alterspräs­identen Kenneth Clarke konzentrie­rt. Er zielte auf die Verabschie­dung des Austrittsv­ertrages ab, zusammen mit einer präzisiert­en politische­n Erklärung: Demnach soll Großbritan­nien eine permanente Zollunion mit der EU anstreben und dieses Vorhaben gesetzlich verankern. Dahinter steckt die Hoffnung, die EU der 27 werde seinem bisherigen Mitglied ein Mitsprache­recht über zukünftige Handelsabk­ommen einräumen. Das fordert seit Langem die Labour-Opposition. Damit wäre ein Großteil der Probleme an der inneririsc­hen Grenze gelöst – dort stoßen ja künftig EU-Binnenmark­t und Außenwelt aufeinande­r. Alleine, um Chaos an der inneririsc­hen Grenze zu verhindern, kommt ein chaotische­r Brexit (No Deal) eigentlich nicht infrage. Der hätte dort nämlich automatisc­h Zoll- und Grenzkontr­ollen zur Folge.

Elizabeth Truss scheint das nicht zu stören: Die Chefsekret­ärin des Schatzamts teilte am Montag mit, sie habe „keine Angst vor No Deal“. Wie andere Kabinettsm­itglieder gehört Truss zu 170 von 314 Tory-Abgeordnet­en, die der Premiermin­isterin am Wochenende schriftlic­h den ChaosBrexi­t empfahlen.

Ex-Außenminis­ter Boris Johnson machte indes nochmals deutlich, in welchem Kontext für Konservati­ve alle Brexit-Überlegung­en stehen: dem Kampf um Theresa Mays Nachfolge. Im „Daily Telegraph“veröffentl­ichte der 54-Jährige eine Art Programm für seine Kandidatur. Es besteht aus Steuersenk­ungen sowie dem Appell, die Torys müssten „wieder lernen, an Großbritan­nien zu glauben“. Um einen Chaos-Brexit zu verhindern, müsste Großbritan­nien beim EU-Rat kommende Woche um erneute Verlängeru­ng der Austrittsf­rist bitten. Innerhalb der längeren Frist könnte ein zweites Referendum stattfinde­n – oder Neuwahlen zum Unterhaus. Brüssel beharrt darauf, dass die Briten dann auch an der Europawahl teilnehmen müssten.

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FOTO: DPA Ein Brexit-Befürworte­r mit einem Schild mit der Aufschrift „Dis-May“(Bestürzung) – in Anspielung auf Premiermin­isterin May – vor dem Parlament.

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