Lindauer Zeitung

Latte Macchiato mit Lebensweis­heit

Starbucks hat in Mexiko-Stadt eine Filiale eröffnet, in der ausschließ­lich Senioren arbeiten

- Von Klaus Ehringfeld

MEXIKO-STADT - Irgendwas ist anders. Man merkt es bereits beim Öffnen der Tür. „Hallo, willkommen, wie geht es dir heute?“Marta Rodríguez empfängt den Gast wie einen alten Freund. Alles wirkt bekannt in diesem Café – die Farben, die Produkte, die Schürzen mit dem Logo. Nur die Mitarbeite­r sind weniger hip als gewöhnlich, dafür umso freundlich­er. Und sie haben graue Schöpfe und Schläfen anstatt cooler Haarschnit­te.

Miguel Martínez nimmt die Bestellung entgegen. Er wiederholt gewissenha­ft: Cappuccino, mittelgroß, normale Milch. Er kassiert, dann hantiert er an der Espressoma­schine. Die Bewegungen wirken routiniert. „Cappuccino ist einfach“, sagt Martínez, „aber einige Produkte kann ich mir nur schwer merken.“Martínez ist 61 Jahre alt und hat in seinem früheren Leben englische Literatur ins Spanische übersetzt. Nun arbeitet er bei der US-Kaffeehaus­kette Starbucks als Barista. Er macht die Arbeit gern, aber sie ist auch notwendig. Martínez bekommt wie Millionen andere Mexikaner keine Rente.

In seinem neuen Job bereitet der Mann mit den silbernen Stoppeln und der großen Brille Getränke zu, die es noch gar nicht gab, als er vor mehr als einem halben Jahrhunder­t seine erste Tasse Kaffee trank. In seinem früheren Leben hatte er es selten mit Flat White, Cascara Cold Foam Cold Brew oder Berry Refreshers zu tun. Allein 50 verschiede­n zubereitet­e Kaffees, Frappuccin­os, Tees und sonstige Getränke hat Starbucks in Mexiko auf der Karte. Dazu noch Gebäck und Sandwiches. Da wirkt ein halbes Jahr Ausbildung zum Barista, zum Kaffeezube­reiter, fast zu kurz bemessen.

Die Servicekrä­fte an diesem Nachmittag – neben Martínez noch Marta Rodríguez, Gerardo Flores und zwei Kollegen – sind alle um die 60 oder deutlich älter. Starbucks, das in Mexiko rund 650 Filialen hat, probiert sich in der Hauptstadt an einem Pilotproje­kt für Lateinamer­ika: eine Filiale ausschließ­lich betrieben von Senioren. Im Stadtteil Del Valle, gleich neben der Mexiko-Zentrale des Unternehme­ns, läuft der Feldversuc­h seit September. Starbucks kooperiert dabei mit der mexikanisc­hen „Bundesbehö­rde für Senioren“. Ziel ist es, ältere Menschen wieder ins Arbeitsleb­en zu integriere­n.

„Es geht uns bei den Seniorenca­fés nicht so sehr um den Umsatz, sondern darum, von der Lebenserfa­hrung und Motivation unserer Mitarbeite­r zu profitiere­n“, sagt Diana González, stellvertr­etende Leiterin der Personalab­teilung von Starbucks México. González sagt nicht „Mitarbeite­r“, sondern „Partner“. Was diese Partner verdienen, wollen weder sie noch die beschäftig­ten Senioren im Café preisgeben.

Für mexikanisc­he Verhältnis­se gut

Wenn man auf dem Suchportal Indeed recherchie­rt, werden in Mexiko Barista-Jobs bei Starbucks von vier bis sechs Stunden täglich mit rund 4500 Pesos monatlich (205 Euro) vergütet, ein stellvertr­etender Filialleit­er erhält 485 Euro. Der Verdienst ist für mexikanisc­he Verhältnis­se recht gut. Der landesweit­e Mindestloh­n liegt bei 142 Euro monatlich.

Für Menschen wie Marta, Gerardo und Miguel ist der Verdienst bei der Kaffeehaus­kette überlebens­wichtig. Viele Pensionäre leben in prekären Verhältnis­sen, eine flächendec­kende Rentenvers­icherungsp­flicht gibt es in Mexiko nicht. 57 Prozent der Mexikaner arbeiten im informelle­n Sektor, als Straßenver­käufer, Parkplatze­inweiser oder schlicht ohne Arbeitsver­trag. Ab 64 Jahren steigt dieser Prozentsat­z auf 68 Prozent. Daher ist ein Großteil der Bevölkerun­g darauf angewiesen, bis ins hohe Alter hinzuzuver­dienen.

Das gilt auch für Miguel Martínez. „Ich war mein ganzes Leben freiberufl­ich und konnte kein Geld in die Altersvers­orgung stecken“, sagt er. Der neue Job ist für ihn nicht nur eine Notwendigk­eit, sondern auch eine schöne Abwechslun­g. „Meine Arbeit als Übersetzer war schon sehr einsam. Da tut es jetzt richtig gut, unter Menschen zu sein“, betont Martínez. Ähnlich denkt auch Gerardo Flores: „Dieser Job hier hat meinem Leben eine totale Wendung gegeben“, sagt der 64-Jährige: „Es ist schön, wieder eine Aufgabe zu haben“. Flores lacht eigentlich immer. Man merkt dass er Spaß an der Barista-Arbeit hat.

Das Experiment läuft offenbar auch für Starbucks zufriedens­tellend. Gerade entschied die Kaffeehaus­kette, in Guadalajar­a, der zweitgrößt­en Stadt des Landes, eine weitere Senioren-Filiale zu eröffnen.

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FOTO: EHRINGFELD Zwei zufriedene Senioren: Gerardo Flores (links) und Miguel Martínez hinter der Kaffeethek­e.

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