Die Opfer waren auch Aggressoren
Sechs rumänische Bauarbeiter wegen des Vorwurfs der schweren Körperverletzung vor Gericht
FRIEDRICHSHAFEN/TETTNANG (sig) - Mit Freiheitsstrafen von einem Jahr beziehungsweise einem Jahr und zwei Monaten, einem Freispruch und einem bereits abgesessenen Arrest hat das Jugendschöffengericht am Amtsgericht Tettnang am Montag auf eine gemeinschaftlich begangene schwere Körperverletzung von vier der sechs Beschuldigten reagiert. Noch im Gerichtssaal wurden die seit teils sechs Monaten bestehenden Haftbefehle gegen die rumänischen Bauarbeiter aufgehoben.
„Sie sind frei, Sie können hingehen, wohin Sie wollen“, sagte Vorsitzender Martin Hussels am Ende des dreitägigen Prozesses, der mit enormem Aufwand betrieben wurde. Aus vier Justizvollzugsanstalten waren die Angeklagten in Begleitung von zehn Vollzugsbeamten dreimal nach Tettnang gebracht worden, wo im für eine Gerichtsverhandlung ungünstigen Rittersaal neben sechs Verteidigern, drei Dolmetscher und das prozessübliche Gerichtspersonal wartete. Mehr als einmal machten Dolmetscher („ich verstehe fast nichts“) und Anwälte auf akustische Probleme im mehr Konzert- als Gerichtssaal zu verstehen.
In einer Bar in Friedrichshafen waren in der Nacht zum 30. September vergangenen Jahres die sechs angeklagten Rumänen mit zwei Gästen aneinander geraten. Letztere waren an einem Spielautomaten zugange, an dem auch ein Rumäne sein Glück versuchen wollte. Als der Gast zwischendurch aufstand, um in seiner Hosentasche nach Kleingeld zu suchen, nutzte der Rumäne die Chance, am Automaten Platz zu nehmen. Womit der dort zuvor Spielende nicht einverstanden war. Der wollte weitermachen, forderte den Drängler auf, zu gehen, spuckte ihn angeblich an und beleidigte ihn. Die Situation schaukelte sich hoch. Bevor sie endgültig eskalierte, schickte die Bedienung nach dem Abkassieren zunächst die zwei Gäste, dann die sechs anderen Männer zeitversetzt und in unterschiedliche Richtungen vor die Tür.
Womit der Streit nicht beendet war, denn noch auf der KneipenTreppe wartete der eine Trupp auf den anderen. Was im Detail ablief? Es war ein bisschen im Nebel stechen, was vor Gericht bekannt wurde. Wer was gemacht musste im Detail offen bleiben? Außerdem: Dass die beiden sogenannten Opfer auch Aggressoren waren, ist unstrittig geblieben.
Zunächst ging man mit Fäusten aufeinander los, dann wurde getreten, selbst als der Gegner schon am Boden lag. Dabei soll ein Schraubendreher im Einsatz gewesen sein. Einer der beiden Opfer erlitt Rippenbrüche und einen -kollaps, befand sich in Lebensgefahr, entließ sich aber selbst schon am nächsten Tag wieder gegen den ärztlichen Rat aus dem Krankenhaus in Tettnang. Multiple Prellungen am Hinterkopf wurden bei seinem Kollegen festgestellt. Auch unter den Rumänen gab es Verletzte durch einen Schraubenzieher, mit dem sich angeblich eines der beiden Opfer gewehrt haben soll.
Vor Gericht als Zeuge erschien am zweiten Prozesstag nur eines der beiden Opfer. Das zweite, damals unentschuldigt fern geblieben, befindet sich momentan im Zentrum für Psychiatrie auf der Reichenau, wohin er sich freiwillig kurz vor dem Verhandlungsauftakt zur Entgiftung begeben hat. Auf telefonische Anfrage von Richter Martin Hussels hielt die behandelnde Ärztin das Erscheinen ihres Patienten zum jetzigen Zeitpunkt für „völlig ausgeschlossen“. Der Grund: Wegen Krampfanfällen und einer medikamentösen Behandlung stehe der Mann permanent und noch mindestens eine Woche unter Beobachtung. Die Prozessbeteiligten stimmten deshalb am Montag zu, dessen Zeugenaussage zu verlesen, die er vor der Polizei gemacht hatte.
Das Gericht verurteilte vier der sechs Angeklagten zu Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und einem Jahr und zwei Monaten, auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Ihnen gegenüber hätten sich die Vorwürfe in zwei tateinheitlichen Fällen bestätigt. Einem Fünften konnte nur eine „untergeordnete Beteiligung an der Schlägerei“nachgewiesen werden. Er saß sieben Wochen im Gefängnis, die das Gericht für seine geringe Schuld als ausreichend erkannte.
Der aus äußerst armen Verhältnissen kommende 19-Jährige sorgt mit seinem in Deutschland erwirtschafteten Lohn für den Lebensunterhalt seiner Mutter und zweier junger Geschwister. Er will in Deutschland bleiben. Das Gericht verurteilte ihn zu einem (in der U-Haft bereits abgesessenen) Arrest und erteilte ihm die Auflage, innerhalb der nächsten sechs Monate einen Deutschkurs zu beginnen und einen entsprechenden Abschluss vorzulegen. Der sechste Angeklagte wurde – auch auf Antrag der Vertreterin der Anklage – freigesprochen. Er hatte zuvor schon in Briefen einzelne Mitangeklagte gebeten, vor Gericht die Wahrheit zu sagen und ihn zu entlasten. Für seine erlittene Haft erhält er eine Entschädigung. Die Verurteilten müssen an jedes der beiden Opfer 500 Euro Schmerzensgeld zahlen und tragen die Prozesskosten.