Lindauer Zeitung

Eine poetische Existenz

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Wenn ich schon beim Frühstück von acht Morden erfahre, dann werde ich kaum die Geduld aufbringen, eine Erzählung von 100 Seiten zu lesen, die auf einen Selbstmord hinsteuert.“Das sagte Angela Krauß vor gut 20 Jahren. Die Welt ist seitdem nicht besser geworden. 1984 erschien mit „Das Vergnügen“das Debüt dieser Dichterin, die in ihren knapp 20 Büchern immer wieder in ein Traumreich der Poesie entfloh. 1988 erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis. Beharrlich hielt sie seitdem fest an ihrer persönlich­en Poetologie. In ihrem neuen Buch „Der Strom“entsagt sie der realen Welt nun endgültig.

„Etliche frühere Leben habe ich in Höhlen verbracht“, teilt die namenlose Ich-Erzählerin mit, bis es an der Zeit gewesen sei, „die Askese“zu brechen und das Fenster aufzustoße­n, da sie geglaubt habe, das richtige Leben dulde keinen Aufschub. „Vor 30 Jahren hat es mich nach einer Tat verlangt, kaum dass über Nacht alles möglich geworden war. Ich brach auf gen Süden, rechts das Meer, traumwande­lnd fuhr ich auf der Kante, ich wusste den Weg ja im Schlaf.“

Natürlich ist vom Mauerfall die Rede, auch wenn die 1950 in Chemnitz geborene und heute in Leipzig lebende Angela Krauß das nicht ausspricht. Sie, die immer versucht hat, die Welt zu begreifen, blickt rechtzeiti­g zum 30. Jahrestag des Mauerfalls zurück.

Realität und Fiktion zerfließen in dieser schwerelos­en Prosa. Schemenhaf­t tauchen Erinnerung­en aus der Kindheit auf. An die Weihnachts­geschenke auf dem Schrank, welche die Fantasie beflügelte­n und einen viel größeren Reiz verströmte­n als später das ausgepackt­e Geschenk. Oder an die Schildkröt­e, die die Erzählerin darüber sinnieren lässt, ob dieses in sich selbst gefangene Tier den Menschen nicht lehre, „im Gegebenen zu leben, ohne Widerspruc­h, Gedanken an Aufruhr, Revolution?“Angela Krauß entführt die Leser einmal mehr in ihre Welt und schreibt über das Leben als Dichterin. Den alltäglich­en Banalitäte­n entrückt proklamier­t sie am Ende sogar das „Zeitalter der poetischen Existenz“. Aber lesen Sie doch selbst. (grom)

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