Kritik an Uni Ulm wegen Tierversuchs
Für einen Tierversuch mit 53 Mäusen an der Universität wollen die „Ärzte gegen Tierversuche“einen Negativpreis übergeben – und treffen auf viel Widerstand
ULM (lsw) - Die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche hat Wissenschaftlern der Universität Ulm den Negativpreis „Herz aus Stein“für den schlimmsten Tierversuch 2018 verliehen. Die betroffenen Forscher lehnten die Annahme bei der auf dem Campus geplanten Übergabe am Dienstag ab, wie eine Sprecherin der Uni mitteilte. Die Ulmer hatten Mäuse Tabakrauch ausgesetzt und ihnen anschließend unter Narkose Verletzungen zugefügt, wie sie bei einem Verkehrsunfall entstehen könnten. Laut Universität wollten die Forscher damit die Lungenkrankheit COPD simulieren, die häufig bei Rauchern auftritt.
ULM - 36 076 Tiere, davon 22 807 Mäuse, haben die Forscher der Universität Ulm im Jahr 2018 für Tierversuche verwendet: Für Experimente mit 53 Mäusen, die Tabakrauch ausgesetzt waren, wollte die Organisation „Ärzte gegen Tierversuche“der Universität am Dienstag den Negativpreis „Herz aus Stein“verleihen. Die Hochschule lehnte den Preis vehement ab. Die Versuche dienten einer besseren Behandlung schwer verletzter Unfallopfer, begründen die Forscher die Versuche.
An diesem sonnigen Dienstagmittag verbringen die Mitarbeiter des Instituts für Anästhesiologische Pathophysiologie und Verfahrensentwicklung ihre Mittagspause nicht in der Mensa, sondern vorm Institutsgebäude. Sie demonstrieren für ihre Arbeit und diskutieren mit den „Ärzten gegen Tierversuche“. Der 1979 gegründete Verein zählt nach eigenen Angaben 789 Mitglieder. 5345 Stimmen waren in einer Online-Abstimmung abgegeben worden, von denen 2294 (43 Prozent) auf die Ulmer Rauchversuche mit schweren Traumata entfielen. Ein Dialog, fachlich auf hohem Niveau, beginnt.
Die Wissenschaftler haben Schilder gebastelt: „Trauma kann jeden treffen“, „Tierversuche helfen Leben retten“, „Tierversuche sind unerlässlich“. Zwei Notärzte haben ihre Notfallkoffer mitgebracht. Die Mediziner und Naturwissenschaftler wollen zeigen, dass die Experimente mit Mäusen für die Behandlung schwer verletzter Patienten hoch relevant sind. Besonders Menschen mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), die oft bei aktiven wie auch bei passiven Rauchern auftritt, haben etwa nach einem Verkehrsunfall ein mehrfach erhöhtes Risiko, ein Lungenversagen zu erleiden. „Warum das so ist und wie Traumapatienten mit COPD optimal behandelt werden können, ist bisher nicht ausreichend verstanden“, begründet Professor Florian Gebhard, Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie, die Versuche.
In den Experimenten simulieren die Forschenden die Erkrankung COPD, indem Mäuse Tabakrauch ausgesetzt werden. Unter tiefer Narkose und Schmerzmittelgabe werden den Tieren anschließend Verletzungen zugefügt, wie sie bei einem Verkehrsunfall entstehen können. „Während des Trauma-Experiments werden die insgesamt rund 50 Mäuse behandelt wie Patienten auf der Intensivstation“, erklärt Professor Peter Radermacher, Leiter des Instituts für Anästhesiologische Pathophysiologie und Verfahrensentwicklung. Seine Mitarbeiter erarbeiten sich so detaillierte Einblicke in die komplexe körpereigene Reaktion, die „Gefahrenantwort“, von COPD-Patienten nach (Lungen-) Verletzungen.
Dass die Experimente mit Mäusen überhaupt Rückschlüsse auf Reaktionen des menschlichen Körpers zulassen, ziehen die „Ärzte gegen Tierversuche“in Zweifel: „Für uns lassen sich diese Versuche weder ethisch rechtfertigen, noch mit Sinnhaftigkeit“, argumentiert die Tierärztin Gaby Neumann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Organisation, und führt aus: „Letzteres allein schon nicht, da sich Mäuse in Anatomie, Physiologie und Immunologie so stark vom Menschen unterscheiden, dass ihre Reaktion auf Zigarettenrauch völlig anders ausfällt.“Es sei „völlig absurd anzunehmen, man könne eine chronische Lungenerkrankung wie COPD, die beim Menschen nach jahrelangem Nikotinkonsum auftritt und mit zahlreichen Begleiterkrankungen einhergeht, durch drei Wochen zwangsweises Passivrauchen bei der Maus darstellen.“
Für die Universität Ulm sind Tierversuche Alltag: „Wir erforschen beispielsweise Krebserkrankungen, neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Osteoporose“, erklärt Pressesprecherin Annika Bingmann, „dafür werden Ratten, Mäuse, Zebrafische und Krallenfrösche benötigt.“Gut 36 000 Tiere seien 2018 eingesetzt worden. 2017 wurden in Deutschland rund 2,8 Millionen Versuchstiere eingesetzt. Davon wurden knapp 740 000 für wissenschaftliche Zwecke getötet.
Unter welchen Bedingungen Tierversuche erlaubt sind, regelt der fünfte Abschnitt des Tierschutzgesetzes (TierSchG). Demnach dürfen Tierversuche nur durchgeführt werden, wenn sie für einen der im Gesetz aufgeführten Zwecke unerlässlich sind, etwa für Grundlagenforschung oder gerichtsmedizinische Untersuchungen. Außerdem müssen die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere im Hinblick auf den jeweiligen Versuchszweck ethisch vertretbar sein. Sofern Alternativmöglichkeiten zu denselben angestrebten Forschungsergebnissen führen, müssen diese auch angewendet werden.
Die beiden Vertreter der „Ärzte gegen Tierversuche“müssen den Preis – das „Herz aus Stein“– wieder einpacken, fühlen sich aber durch die Forscher ernst genommen: „Diese Reaktion zeigt, dass wir offensichtlich Finger in Wunden gelegt haben“, kommentiert Neumann.