Die bedrohte Welt der Kleinbrenner
Seitdem das Branntweinmonopol weggefallen ist, tun sich die nebenberuflichen Erzeuger von Obstbränden schwer
KRESSBRONN - Honiggelb fließt die Flüssigkeit ins Probierglas. Ein Obstbrand aus Topaz-Äpfeln, gereift im Bourbon-Fass. Tropfen für Tropfen zerläuft auf der Zunge. Sie sind etwas zum Genießen, nichts für Alkoholikergurgeln in gewissen Kaschemmen. „Punkten kannst du nur noch mit Spitzenprodukten“, sagt Dietmar Opitz, ein Wirt und sogenannter Kleinbrenner aus der Kressbronner Gegend im Bodenseehinterland. Um zu zeigen, wie er das mit der Qualität meint, dient ein Gang in seine Schatzkammer: in den Keller eines Stadels, wo neben der Brennerei weitere Holzfässer mit sonstigen Tropfen lagern.
Nicht nur dass die wertvollen Behältnisse ordentlich aufgereiht sind: Das Ambiente mit den reifenden Bränden vermittelt zudem den Eindruck einer Brennerwelt, die noch in Ordnung ist – wenigstens hier im Keller. Ansonsten wackelt es im Gebälk. Das Völkchen der im Nebenerwerb tätigen Schnapshersteller ist zumindest zum Teil in Aufregung. Das hat mit dem Wegfall des Branntweinmonopols zu Beginn des vergangenen Jahres tun. Die EU wollte mehr Wettbewerb in diesem Bereich sehen. Der war bis Ende 2017 gebremst gewesen. Kleinbrenner hatten einen Teil ihres Rohprodukts an den Staat verkauft. Doch diese kommode, aufs Jahr 1919 zurückgehende Praxis ist perdu. Den Kleinbrennern entgehen nun Einnahmen, die ihnen früher garantiert waren. Weshalb Schwarzseher den Niedergang der Szene prophezeien.
Nun könnte man zwar fragen: Na und? Doch dann ist einem nicht bewusst, was hinter einem solchen Tröpfchen, einem Gläslein oder einem Stamperl überhaupt steckt. Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) macht es ein Stück weit deutlich: „Das Brennereiwesen ist ein Stück Kulturgeschichte. Die Brennerei hat über Jahrhunderte hinweg große Teile unseres Landschaftsbildes geprägt.“Im Speziellen gilt die Ministeraussage für weite Gefilde in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz, den historischen Regionen der
Kleinbrennerei. Es gab Zeiten, da wurden fast 30 000 Anlagen gezählt. Im Jahr 2017, kurz vor dem Wegfall des Branntweinmonopols, waren laut Zahlen des in Karlsruhe ansässigen Bundesverbandes der Deutschen Klein- und Obstbrenner noch rund 16 000 Brennereien in Betrieb. Inzwischen hat es ein weiteres Schrumpfen gegeben. Von 13 500 Kleinbrennereien ist gegenwärtig die Rede – im Regelfall auf Bauernhöfen zu finden.
Die Landwirtschaft war traditionell der Träger dieser Schnapsproduktion im kleinen Rahmen. Ein Bauer mit Brennrecht konnte so etwas hinzuverdienen. Dafür nutzte er üblicherweise ein Produkt der heutzutage bei Naturschützern wegen ihrer Artenvielfalt so beliebten Streuobstwiesen: das Obst von den Hochstämmen. Nahe liegt, dass es niemand mehr erntet, wenn kein Bedarf da ist. Abgestorbene Bäume werden dann auch nicht mehr ersetzt. Deshalb wird in bäuerlichen Diskussionsrunden befürchtet, ohne Schnaps könnte die Zahl der beschaulichen Wiesen weiter abnehmen. Aus Ökokreisen ist Ähnliches zu hören.
Der Kressbronner Kleinbrenner Opitz sieht das Problem – auch wenn es in seiner Gegend nach Augenschein noch genug der Wiesen mit den oft knorrigen alten Bäumen gibt. „Ohne irgendeinen konkreten Nutzen sind diese Flächen natürlich in Gefahr“, meint er. Warum schielen aber Brenner so gerne aufs Obst der ansonsten aus der Mode gekommenen Hochstämme? Opitz’ Freund Bernd Brugger, Betreiber eines Obsthofes und einer Destillerie aus dem nahen Oberdorf, erläutert den Hintergrund: „Die Kunden wollen von uns keine Brände aus Allerweltsobst. Sie möchten den besonderen Geschmack.“Den bringen aber vor allem ältere, bekannt würzige Sorten, betont Brugger.
In den Fokus rückt damit jenes Obst, das im Plantagenanbau keinen Platz mehr hat. „Kürzlich habe ich extra Oberösterreichische Birne gebrannt“, erzählt Brugger. Die Züchtung gibt es seit mindestens 140 Jahres. Sie ist aber stark anfällig für Feuerbrand – ein Ausschlusskriterium für den modernen Obsthandel. Aber eben nicht für die Kleinbrennerwelt. „Wir legen Wert darauf“, betont Brugger, „die Landschaft in unser Produkt reinzukriegen.“Er wie Opitz sehen darin eine Möglichkeit, um sich speziell von den Großdestillerien zu unterscheiden – also letztendlich vom kommerziellen Großhandel. Andererseits sind die entsprechenden Unternehmen zu Hoffnungsträgern in der Nach-Monopolzeit geworden. Nicht nur dass sie wie früher bereitstehen, um Produkte von Kleinbrennern aufzukaufen. Die Großdestillerien übernehmen inzwischen auch oft jenen minderwertigen Alkohol, der nebenbei beim Brennen anfällt – allgemein als Vorlauf bezeichnet. Eigentlich ein Lichtblick – wäre nicht 2018 das Wetter nachteilig ins Spiel gekommen.
Ironischerweise war es zu gut. Es gab eine gigantische Obsternte. Anders ausgedrückt: überbordend viel Material für Schnaps, der Markt wurde überschwemmt. „Der Großhandel ist unter Druck geraten“, sagt Gerald Erdrich, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Klein- und Obstbrenner. „Es gibt im Moment kaum noch Firmen, die Rohware aufkaufen.“Dies bedeutet, abseits von der Selbstvermarktung laufen Kleinbrenner Gefahr, auf ihrem Alkohol sitzen zu bleiben. Er verdirbt zwar nicht. Mehrere Probleme können aber für Kopfzerbrechen sorgen. Eines hat mit der Branntweinsteuer zu tun. In der Nach-Monopolgesetzgebung muss sie anders als früher zeitnah nach dem Brennen gezahlt werden – vor dem Vermarkten statt danach. Bei der staatlich festgesetzten Höchstmenge von 300 Litern macht dies gut 3000 Euro.
Spirituosenkonsum sinkt
Dies sind Umstände, die manchen Kleinbrenner ins Grübeln über die Zukunft seines Tuns bringen, etwa Josef Dietrich, einen Obstbauer aus Nonnenhorn am Bodensee. „Der Preis wird schlechter“, klagt er. Immer noch sei nicht geklärt, wie es in Anbetracht der großen Schnapsmengen mit dem Verkauf weitergehe. Entwicklungen, die Dietrich zu Konsequenzen veranlasst haben: „Ich habe schon reduziert“, sagt der Obstbauer. Je nach Entwicklung werde er noch weiter runterfahren.
Rosig sieht die Zukunft momentan nicht aus. Das Bundesamt für Statistik attestiert seit Längerem ein Sinken des Alkoholverbrauchs. Vom Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure präsentierte Zahlen zeigen einen Gipfel beim Spirituosenkonsum im Jahr 1980. Pro Kopf lag der Verbrauch bei acht Litern Fertigware. 2017 waren es bloß noch 5,4 Liter. Zu diesen Zahlen gehört alles Mögliche, auch Likör, Korn et cetera. Obstbranntweine sind darunter nicht das Wichtigste. Im Gesamtverbrauch machen sie gerade mal 5,7 Prozent aus.
Laut Marktanalysen leiden die Brände zudem immer wieder an einem schwierigen Image. Konkret hat dies mit dem Wort Schnaps zu tun. Es klingt nach Massenware und Suff – also nach dem Gegenteil, was Kleinbrenner in der Regel anstreben. Weshalb die Szene genau auf Begrifflichkeiten achtet. Brand geht noch. Wobei die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg bei Heilbronn sich bereits gesteigert hat. In dort angebotenen Kursen zur staatlich geprüften Fachkraft für Brennereiwesen ist vornehm von Destillaten die Rede.
Das Angebot eines solchen Unterrichts ist übrigens recht jung. Erst kurz nach der Jahrtausendwende wurden diese Kurse ins Leben gerufen. Neben Weinsberg existiert noch ein entsprechendes Angebot an der Fachschule für Landwirtschaft im badischen Offenburg. Andreas Metzler, frischgebackener Vorsitzender des Verbandes der Klein- und Obstbrenner Südwürttemberg-Hohenzollern und selber Brenner, lobt die Ausbildung: „Das gibt bei der Qualität schon einen beträchtlichen Schub.“Er verweist darauf, dass nicht nur Brennen unterrichtet wird, sondern auch Marketing, Landschaftspflege oder Ökologie.
Metzlers Heimat ist Bodnegg, eine Gemeinde im südlichen Oberschwaben – ein wahres Brennernest. „100 Brennereien existieren auf der Gemarkung“, sagt er. Anders als viele seiner Kollegen gehört Metzler eher zu den Brenner-Optimisten. Die Stimmung unter seinesgleichen schätzt er „als nicht schlecht“ein. Ein Grund dafür sei „die funktionierende Selbstvermarktung“. Wobei dies nur einen kleinen Teil der Szene betrifft. Wenn es sich nicht gerade um einen Verkauf im Bekanntenkreis dreht, kann er sehr schleppend sein. Nicht jeder hat einen Startvorteil wie der Kressbronner Brenner Opitz. In seiner Schatzkammer mit den Bränden im Holzfass meint der Wirt: „Ich habe ja noch die Gaststätte. Da geht schon etwas weg.“