Lindauer Zeitung

Wie die Mittelschi­cht definiert wird

Beim Gehalt im Durchschni­ttsbereich, als Steuerzahl­er an der Spitze

-

BERLIN (sal) - Jeder hat ein Bild von der Mittelschi­cht im Kopf. Den Lehrer und den Rechtsanwa­lt, den Facharbeit­er und die Sekretärin. Vielleicht noch ein kleines Haus oder ein Reihenhaus, Kinder, Grillen im Garten, einmal im Jahr in Urlaub. Wirtschaft­sforscher aber definieren die ökonomisch­e Mitte über das Einkommen. In der Mitte ist derjenige, der über 70 bis 150 Prozent des Durchschni­ttseinkomm­ens verfügt. Das bedeutet zurzeit, er hat ein Nettoeinko­mmen zwischen 16 000 und 33 000 Euro pro Person jährlich. Für Haushalte mit zwei Erwachsene­n und zwei Kindern sind die Beträge gut doppelt so hoch.

Die Gruppe der Deutschen, die in diesem Bereich liegt, schrumpft. Sie ging von Ende der 1990er-Jahre bis 2015 um sieben Prozent auf jetzt 41 Prozent zurück.

„Gnadenlos ausgebeute­t“

Diese Mitte liegt vom Gehalt her im Durchschni­tt, zahlt aber prozentual in Deutschlan­d die meisten Steuern. Oder, wie der Autor Daniel Goffart schreibt, sie wird seit vielen Jahren vom Fiskus „gnadenlos ausgebeute­t“. Während auf größere Aktiengewi­nne nur 25 Prozent Steuern abgeführt werden müssen, zahlen Arbeitnehm­er bis zu 42 Prozent.

Erschweren­d hinzu kommt laut Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) die neue große soziale Frage nach dem bezahlbare­n Wohnraum. Deutschlan­d als Land der Mieter ist hier besonders betroffen. Viele Menschen in Großstädte­n oder besonders schönen Regionen zum Beispiel am Bodensee wissen nicht mehr, wie sie die ständig steigenden Mieten zahlen sollen. Wohneigent­um wird für viele unerschwin­glich. Die Chancen, noch viel Geld auf die hohe Kante zu legen, sinken.

Angst vor teuren Mieten

Kein Wunder, dass die Zukunftsän­gste steigen. Was sich in Frankreich mit dem Gelbwesten-Protest gegen steigende Benzinprei­se festmacht, sind in Deutschlan­d die großen Mieterdemo­s in den Städten. Aber nicht nur die Angst, dass einem irgendwann die Miete über den Kopf wächst, sondern auch die Angst vor der Altersarmu­t wächst. 60 Prozent der Deutschen befürchten (und das teils zu Recht), dass sie ihren Standard im Alter nicht halten können. 29 Prozent haben Angst vor Arbeitslos­igkeit.

Das Fundament der Mittelschi­cht sind keine Vermögensb­eteiligung­en, sondern es ist die klassische Festanstel­lung. Wo diese aber bedroht wird, weil Arbeitsplä­tze verschwind­en oder in freie Arbeitsver­hältnisse umgewandel­t werden, stellt sich für viele die Frage nach den Sozialsyst­emen umso drängender.

Newspapers in German

Newspapers from Germany