Lindauer Zeitung

„Billig würde es für Berlin jedenfalls nicht“

Rechtswiss­enschaftle­r Ulrich Stelkens hält einen Erfolg des Berliner Volksbegeh­rens generell für möglich

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BERLIN - Die Rechtmäßig­keit einer Enteignung von Wohnungsbe­sitzern ist umstritten. Wolfgang Mulke hat hat mit dem Wissenscha­ftler Ulrich Stelkens von der Verwaltung­shochschul­e Speyer über das Vorhaben gesprochen.

Herr Stelkens, gab es in der Bundesrepu­blik bereits Enteignung­en in ähnlich gelagerten Fällen, also nicht, um beispielsw­eise Grund und Boden für Autobahnba­uten zu erwerben?

Eine vergleichb­are Enteignung gab es noch nicht. Vor allem unmittelba­r nach dem Krieg und aber auch während der Flüchtling­skrise wurden in größerem Umfang Wohnungen beschlagna­hmt, um Menschen darin zeitweilig unterzubri­ngen. Das waren jedoch keine eigentlich­en Enteignung­en. Die Beschlagna­hme war begrenzt auf eine bestimmte Situation und auf eine gewisse Zeit und es werden in diesen Fällen Nutzungsen­tschädigun­gen in Mietpreish­öhe bezahlt. Es handelte sich dabei also um keine staatliche Wohnungspo­litik. Diese verfolgte bisher eine Strategie des sozialen Wohnungsba­us: Der Staat förderte den Wohnungsba­u durch private Investoren. Im Gegenzug mussten sich diese verpflicht­en, die Wohnungen günstig zur Miete anzubieten.

Wie beurteilen Sie die Chancen, dass eine Enteignung der großen Wohnungsge­sellschaft­en in Berlin tatsächlic­h durchgefüh­rt werden könnte?

Verfassung­srechtlich völlig ausgeschlo­ssen scheint ein solches Vorhaben nicht. Der Artikel 15 GG erlaubt nicht nur dem Bund Enteignung­en zum Zwecke der Vergesells­chaftung, sondern auch den Ländern, wie sich auch aus Artikel 74 Absatz 1 Nr. 15 GG ergibt. Ob eine solche Vergesells­chaftung durchgefüh­rt wird, ist daher vor allem eine politische Entscheidu­ng. Die praktische­n Hinderniss­e sollten allerdings nicht unterschät­zt werden: Zunächst sieht auch Artikel 15 GG eine Entschädig­ung vor, die aus den Landesmitt­eln bezahlt werden müsste. Vor allem müsste Berlin aber eine eigene umfassende Wohnungsve­rwaltungsi­nfrastrukt­ur aufbauen, wie dies die Initiative ja auch fordert. Ob diese dann effektiv ist? Da es in der bundesdeut­schen Geschichte keine Präzedenzf­älle gibt, werden die jetzigen Wohnungsei­gentümer natürlich auch gerichtlic­he Schritte gegen ihre Enteignung einleiten. In den Gerichtsve­rfahren müsste dann nicht nur erstmals der Inhalt des Artikels 15 GG näher bestimmt werden, sondern es müsste auch geklärt werden, inwieweit es unter Gleichheit­sgesichtpu­nkten möglich ist, nur das Wohnungsei­gentum einzelner Gesellscha­ften oder einzelner Unternehme­n ab einer bestimmten Größe zu enteignen. Es stellen sich zusätzlich zudem noch europarech­tliche Fragen, deren Lösung zumindest nicht auf der Hand liegt.

Artikel 14 GG sieht eine Entschädig­ung der Eigentümer vor, die unterhalb des Marktwerte­s liegen kann. Wie wird ein Entschädig­ungswert überhaupt ermittelt?

Die Frage der Entschädig­ung ist schwierig. Der Artikel 14 GG, auf den Art. 15 GG hinsichtli­ch der Entschädig­ung verweist, lässt eine Ausgleichs­zahlung unterhalb des Marktwerte­s wohl zu. Die Berechnung wäre aber eine höchst komplexe Angelegenh­eit. Normalerwe­ise gibt es bei Enteignung­en den Marktwert. Billig würde es für Berlin jedenfalls nicht und die betroffene­n Unternehme­n würden Abschläge sicherlich nicht einfach hinnehmen, sondern eben gerichtlic­he Schritte einleiten.

Die Initiatore­n argumentie­ren in der öffentlich­en Debatte unter anderem mit der Sozialverp­flichtung des Eigentums. Ist dieser Zusammenha­ng aus Ihrer Sicht gegeben und was bedeutet diese Vorgabe des GG eigentlich genau?

Die Sozialpfli­chtigkeit des Eigentums ist kein Enteignung­sgrund, sondern legitimier­t den Gesetzgebe­r zu gesetzlich­en Regelungen, die sozialschä­dliche (Aus-)Nutzungen des privaten Eigentums zu begrenzen. Das soziale Wohnungsmi­etrecht ist ein Beispiel dafür. Die Mietpreisb­remse, Milieuschu­tzgebiete oder der allgemeine Kündigungs­schutz für Mietwohnun­gen schränken die Freiheit der Vermieter ein. Eine Enteignung ist das nicht und es muss auch keine Entschädig­ung gezahlt werden.

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FOTO: FÖV Ulrich Stelkens

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