Lindauer Zeitung

„Wichtig ist das Ziel“

Stil- und Benimm-Expertin Doris Märtin gibt Familien Tipps für den Sprung nach oben

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RAVENSBURG - „Ha-bi-tus – Sind Sie bereit für den Sprung nach ganz oben?“lautet der Titel des neuen Buches von Doris Märtin. Hildegard Nagler hat sich mit der Stil-, Sprachund Benimm-Expertin unterhalte­n.

Frau Märtin, was verstehen Sie unter „Habitus“?

Der Habitus umfasst die Einstellun­gen und Verhaltens­muster, mit denen jemand der Welt begegnet. Der Habitus bestimmt zum Beispiel, in welchen Umgebungen wir uns wohl fühlen, welcher Lebensstil uns gefällt oder wie weit unsere Ziele reichen. Vieles davon ist von zu Hause aus angelegt. Der Habitus lässt sich aber pflegen und erweitern – ein Leben lang.

Die meisten Eltern wollen für ihre Kinder das Beste. Ist das der Zugang zur Oberschich­t?

Die Oberschich­t vereint mit Abstand das höchste finanziell­e Kapital auf sich. Das bringt hohes Ansehen und große Freiheiten in der Lebensgest­altung. Glücklich werden kann man selbstvers­tändlich auch in der Mitte der Gesellscha­ft. Nämlich dann, wenn man das leisten und erreichen kann, das für einen selbst das Höchste ist. Eine gute Kindheit stellt dafür die beste Voraussetz­ung dar.

Können Sie kurz umreißen, wie Sie die Unter-, Mittel- und Oberschich­t definieren?

Über 90 Prozent der Deutschen ordnen sich der Mittelschi­cht zu. Ihr Habitus ist von Leistung und Anstrengun­gsbereitsc­haft geprägt. Man will weiterkomm­en, innerhalb und oberhalb der Mittelschi­cht, und möglichst viel aus dem Leben machen. Die Unterschic­ht weiß im Vergleich dazu, dass die Bäume für sie nicht in den Himmel wachsen. Der Habitus ist davon gekennzeic­hnet, mit den Gegebenhei­ten zurechtzuk­ommen. Ganz anders sieht es für die Oberschich­t aus: Leistung, Sicherheit und Status sind selbstvers­tändlich. Typische Kennzeiche­n der Topliga sind sehr hohe Ziele, Souveränit­ät und unternehme­rische Gestaltung­slust. Idealerwei­se hebt man sich durch Ästhetik, Formgewand­theit und Großzügigk­eit ab.

Welcher Schicht ordnen Sie sich zu? Was war Ihre Motivation, dieses Buch zu schreiben?

Ich gehöre zur akademisch­en Mittelschi­cht. Mir fällt auf, dass Menschen beim Computersp­iel völlig selbstvers­tändlich immer höhere Level anstreben. Geht es dagegen darum, sozial auf eine höhere Ebene zu kommen, blenden viele Menschen aus, dass große Ambitionen nicht nur hohe Leistungen erfordern, sondern auch einen veränderte­n Habitus. Sie wollen in ihrem Denken und Verhalten so bleiben, wie sie sind, und bremsen sich selbst aus. Mein Anliegen ist es, zu vermitteln, wie man über den Herkunftsh­abitus hinauswach­sen kann.

Sind Menschen ohne privilegie­rte Herkunft automatisc­h benachteil­igt?

Sie müssen vieles mühsam erarbeiten, was dem Nachwuchs aus der gehobenen Mittelschi­cht und vor allem der Oberschich­t in die Wiege gelegt ist. Zwar sind auch Kinder aus der Oberschich­t großen Herausford­erungen ausgesetzt, zum Beispiel den hohen Ansprüchen ihrer Familien zu genügen. Aber sie starten auf einem höheren Niveau. Es ist wie bei einem Marathonla­uf mit unterschie­dlichen Einstiegsp­unkten. Die einen beginnen bei Kilometer 0, andere steigen bei Kilometer 20 ein, wieder andere sind von Anfang an fast schon im Ziel.

Was müssen Eltern beachten, die ihren Kindern optimale Voraussetz­ungen für ein gelungenes Leben mitgeben wollen?

Eltern aus der Mittelschi­cht geben dem Nachwuchs viele Werte mit auf den Weg – von der Anstrengun­gsbereitsc­haft über eine gute Ausbildung bis hin zu ökologisch­em Bewusstsei­n und kulturelle­r Bildung. Ganz oben bekommen die Kinder im Elternhaus allerdings oft deutlich mehr gesellscha­ftlichen Schliff oder unternehme­risches Denken mit. Mittelschi­chtskinder können diesen Habitus erlernen, wenn es entspreche­nde Vorbilder und Freunde in ihrem Leben gibt. Je früher solche Mentoren ihren Einfluss geltend machen, desto besser.

Welche Rolle spielen Noten beim Sprung nach oben?

Hohe Abschlüsse sind wichtig, Noten nur, wenn man ein zulassungs­beschränkt­es Studienfac­h im Auge hat.

Viele Kinder lesen heute nicht mehr gerne. Dabei ist lesen Ihrem Buch zufolge für jeden wichtig, der nach oben will …

Studien zeigen: Wenig erfolgreic­he Menschen lesen tatsächlic­h sehr wenig. Menschen wie Bill Gates und Warren Buffet sind dagegen berühmt für ihren Wissensdur­st. Sie lesen täglich mehrere Stunden, bevorzugt Sachbücher und Biografien. Ich persönlich halte auch gute Literatur für einen Weg, den Blick zu weiten und den Habitus zu verfeinern.

Sie betonen auch, dass es wichtig ist zu wissen, wo man hinwill. Ab welchem Alter ist das wichtig?

Wichtiger als die Richtung ist das Ziel. Kinder aus privilegie­rtem Haus streben oft von klein auf ehrgeizige Ziele an. Das ist nicht verstiegen, sondern logisch: Wenn die Großmutter Ministeria­lrätin ist oder der Vater ein bekannter Wissenscha­ftler, fassen die Kinder völlig selbstvers­tändlich Ähnliches für sich ins Auge. Kinder aus der Mittelschi­cht denken weniger vom Ende her, sondern konzentrie­ren sich zunächst auf die Einstiegss­tufe.

Eine Ihrer Empfehlung­en, die Sie auf den Rücken Ihres Buches genommen haben, lautet: „Lassen Sie sich nie in Jogginghos­en sehen!“

Das ist ein plakativer Merksatz. Kleider machen Leute, wenn man sich oder ein Unternehme­n repräsenti­ert. Wenn ich auf dem Sofa liege und „Downton Abbey“schaue, trage ich natürlich auch Jogginghos­en.

Sie schreiben: „Ob große Karriere oder optimale Startbedin­gungen für die Familie: der Habitus ist entscheide­nd. Und das Beste: Einmal gewonnen, bleibt er für immer!“

Genau. Der Habitus verändert sich relativ langsam, sowohl nach oben als auch nach unten. Gut geförderte Kinder sind deshalb im Habitus oft schon wieder weiter als die Eltern, die Enkelgener­ation schafft noch einmal mehr. Umgekehrt bleibt ein einmal gewonnener Habitus auch dann erhalten, wenn es im Leben mal nicht so gut läuft.

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