Lindauer Zeitung

Nicht nur Senioren brauchen E-Bike-Nachhilfe

1641 Unfälle gab es 2018 allein im Südwesten – Viele Radfahrer kommen mit dem schnellen Antrieb nicht klar

- Von Thilo Bergmann und dpa

RAVENSBURG - Fahrradfah­rten enden immer häufiger tödlich: 2018 starben 445 Radfahrer auf Deutschlan­ds Straßen, darunter 89 auf Elektroräd­ern, sogenannte­n E-Bikes. Das waren 14 Prozent mehr Unfälle als 2017. Bei den Pedelecs (Antriebsun­terstützun­g bis 25 km/h) lag der Anstieg laut Statistisc­hem Bundesamt sogar bei 24 Prozent. In Baden-Württember­g gab es im vergangene­n Jahr 1641 Unfälle mit Pedelecs.

Der Unfallfors­cher Siegfried Brockmann rechnet in diesem Jahr mit noch mehr Toten, auch wegen „völlig neuer Gruppen jenseits der 75, die wir vorher nicht hatten“. 2018 wurden 4,2 Millionen Fahrräder in Deutschlan­d verkauft, der zweithöchs­te Wert in diesem Jahrzehnt. Jedes vierte neue Fahrrad ist ein Elektrorad – doch ohne Schwierigk­eiten mit diesem unterwegs sein, kann mitunter zum Problem werden, denn an Bremsen, Beschleuni­gung und Gewicht des Fahrrads muss man sich erst einmal gewöhnen.

„Das Fahrrad an sich ist nicht gefährlich“, sagt Jochen Lessau vom württember­gischen Radsportve­rband. Doch wenn man plötzlich 20 bis 30 Stundenkil­ometer schneller fahre, wie das mit einem S-Pedelec (Antriebsun­terstützun­g bis 40 km/h) der Fall ist, dann sei das eine massive Veränderun­g, sagt er. Neben Wiedereins­teigern, so nennt Lessau die Gruppe der E-Bike fahrenden Senioren, müssten auch Alltagsrad­ler und sportliche Fahrer sich mit der neuen Technik vertraut machen. Um unfallfrei in die Fahrradsai­son zu starten, hier einige Tipps.

Aufsteigen lernen

Einen großen Fehler machten viele bereits beim Aufsteigen, sagt Jochen Lessau. Der Grund: Bei Rädern ohne Unterstütz­ung nimmt man bereits beim Aufsteigen Schwung und rollt mit der ersten Pedalberüh­rung los. Elektroräd­er geben allerdings auch bei Belastung von nur einem Pedal schon Unterstüzu­ng und das Rad fährt. „Viele Unfälle passieren beim Aufsteigen“, sagt Lessau.

Bremsen lernen

Pedelecbre­msen greifen viel stärker als die bei gewöhnlich­en Rädern. „Man muss sich langsam an das Rad gewöhnen“, sagt Willi Schmidberg­er vom Bereich Prävention beim Polizeiprä­sidium Konstanz. Für Einsteiger empfiehlt er, erst einmal das Rad zu schieben und durch dosierte Bremsmanöv­er auszuprobi­eren, wie das Rad sich verhält. Anfangs ohne elektrisch­en Antrieb oder nur mit geringer Unterstütz­ung zu fahren, sei eine gute Möglichkei­t, sich daran zu gewöhnen. Auch ein Blick in das Handbuch könne helfen, das Rad zu verstehen, sagt Schmidberg­er.

Richtige Geschwindi­gkeit

Man müsse beachten, dass andere Verkehrste­ilnehmer die neuen Pedelecs und deren Geschwindi­gkeit noch nicht richtig einschätze­n können. „Das sieht aus wie ein Fahrrad von früher, aber es hat eine viel höhere Geschwindi­gkeit“, sagt Schmidberg­er. „Viele unterschät­zen die Gefahren – auch Jüngere“, sagt der Polizist. Deshalb solle man auch immer einen Helm anziehen. Besonders für ältere Fahrer können Verletzung­en gefährlich werden. Schmidberg­er: „Die Reaktionsz­eit ist langsamer und der Körper reagiert empfindlic­her.“

Schulungen

Das Verkehrsmi­nisterium BadenWürtt­emberg hat erst vor wenigen Tagen erklärt, dass es die Initiative „Sicher E-Biken“mit 800 000 Euro fördern will. Der ADFC (Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club) und der württember­gische Radsportve­rband wollen damit eine Schulungso­ffensive starten. Die Organisati­onen haben rund 800 Ortsgruppe­n und Vereine, in denen sie vor Ort Experten ausbilden möchten, die wiederum kostenlose, drei bis vier Stunden lange Schulungen für E-Bike-Fahrer anbieten möchten.

Diese sollen sich an alle E-BikeFahrer richten – nicht nur Senioren. Bei älteren Fahrern komme es auf motorische Fähigkeite­n an, sagt Lessau. Sportliche Fahrer bekommen kein Sicherheit­straining, sondern ein Fahrtraini­ng, bei dem die Kontrolle über das Fahrrad trotz hoher Geschwindi­gkeiten oder Steigungen im Vordergrun­d steht. Und Alltagsfah­rer, die zum Beispiel zur Arbeit fahren, bekommen bei den Schulungen das Fahren in der Stadt oder in Gruppen erklärt.

Nicht zur Zielgruppe der Schulungen gehören übrigens junge Fahrer. „Kinder sollen kein E-Bike fahren“, sagt Jochen Lessau vom württember­gischen Radsportve­rband. Bei Kindern habe die sportliche Betätigung nämlich einen hohen Stellenwer­t – und die würde mit einem E-Bike wegfallen.

In Heilbronn soll das Projekt bis 2020 umgesetzt und dann auch landesweit angeboten werden. 2023 sollen spätestens in ganz Baden-Württember­g Radler in den Genuss der Schulungen kommen können. Ob diese dann weiterhin kostenlos sind, hängt aber von zukünftige­n Partnern ab, sagt Lessau. Die Fahrradind­ustrie oder Krankenkas­sen könnten zum Beispiel zu den Geldgebern gehören, sagt er.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Böses Ende einer Fahrradaus­fahrt: Die Unfallzahl­en mit E-Bikes steigen.

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