Idee der Regiobahn ist noch nicht beerdigt
Das Oberallgäu möchte Straße und Schiene stärker vernetzen
- Fehlende Parkplätze, volle Parkhäuser, verstopfte Straßen – der zunehmende Verkehr macht auch Städten und Gemeinden im Allgäu immer mehr zu schaffen. Der Oberallgäuer Landrat Anton Klotz drängt daher seit Längerem auf eine bessere Vernetzung von Straße und Schiene – etwa durch eine Regiobahn von Oberstdorf bis ins Zentrum von Kempten. Und es gibt viele weitere Ideen, um Innenstädte, aber auch Tourismusziele umweltfreundlich anzubinden, wie Klotz mit dem Kemptener Oberbürgermeister Thomas Kiechle im Gepräch mit der „Allgäuer Zeitung“erläuterte.
Der Landkreis sagt hü, die Stadt sagt hott: Warum ziehen Kempten und das Oberallgäu beim Projekt Regiobahn nicht an einem Strang?
Klotz: Das sehe ich nicht so, dass die Stadt uns ausbremst. Da ist manches nicht korrekt interpretiert worden. Richtig ist, dass wir beim ÖPNV unterschiedliche Ansätze haben. Im Oberallgäu sehen wir in erster Linie die Notwendigkeit, uns im Bereich der Busse, aber auch der Schiene zu engagieren. In Kempten ist hauptsächlich der Stadtverkehr das Thema. Beide Bereiche werden intensiv zu verknüpfen sein. Hier sind wir sehr wohl gemeinsam unterwegs, um dem gerecht zu werden, was der Bürger will – allein schon durch den Nahverkehrsverbund Mona, der den gesamten ländlichen Raum zeitnah vernetzen will. Kiechle: Dieser Vorwurf ist herbeigeredet. Wir können die Mobilität nur gemeinsam betrachten und müssen den Nahverkehr attraktiver machen. Wir haben hier bereits etliche konkrete Ideen. Denkbar wäre etwa ein Tarif, der auf der Luftlinie zwischen Einund Ausstieg basiert, also auf der kürzesten Entfernung.
Was wurde aus dem kostenlosen Busticket, das der Kreis anbieten wollte?
Klotz: Von kostenlos war nie die Rede, das kann der Kreis finanziell gar nicht leisten. Sowas ist höchstens für eine befristete Zeit möglich. Realistisch ist ein Monatsticket für 100 Euro – das ist ein starkes Angebot, das wird laufen. 300 Euro oder mehr wird niemand ausgeben. Bis Mai soll ein Gutachten vorliegen, was das 100-EuroTicket den Landkreis kosten wird. Der Freistaat wird es uns nicht finanzieren.
Wo soll das Geld für den ÖPNV letzten Endes herkommen?
Klotz: Die Menschen im Landkreis sind Menschen aus den Gemeinden – und die wollen bessere Angebote. Es wird auf uns zukommen, dass die Gemeinden über die Kreisumlage Geld für den ÖPNV bereitstellen. Uns muss klar sein, dass das finanziell mindestens den doppelten Aufwand bedeutet. Die Umsetzung kann nur gemeinsam funktionieren über die Mona, den Verkehrsverbund für Kempten und das Allgäu.
Was kann der Bürger auf absehbare Zeit erwarten?
Klotz: Das Fahrplanangebot und die Taktung müssen besser werden. Außerdem brauchen wir unbedingt eine Tarifharmonisierung. Wir machen ja heute schon viel gemeinsam über die Schwabenbund-Services. Aber wir lassen immer wieder Busse laufen, die fast leer sind. Mit günstigen Tickets gibt es hier mehr Nachfrage und damit eine bessere Auslastung. Wir brauchen für ein besseres Angebot vermutlich keine zusätzlichen Fahrzeuge. Das Ganze bekannt zu machen, ist Sache der Werbung – etwa für die Job-Card, die gerade für Einpendler aus dem südlichen Oberallgäu eine gute Sache ist.
Ein gutes Stichwort: Der Freistaat macht ja bei der Job-Card nicht mit.
Klotz: Ja, der Staat ist bislang nicht bereit, den Arbeitgeber-Anteil zu zahlen. Wir haben da bereits interveniert, das müssen wir lösen.
Wie sieht es mit großen Lösungen aus, um den Verkehrsinfarkt abzuwenden?
Kiechle: Zur Stärkung des ÖPNV, des Radverkehrs müssen wir in Vorleistung gehen. Aber große Lösungen, etwa die Innenstadt autofrei zu machen, sind nicht das Thema. Dafür hätten die Bürger in der Breite kein Verständnis. Ein Ziel ist es, dass mehr Pendler, die mit dem Zug nach Kempten kommen, am Bahnhof in den Bus umsteigen. Wenn wir den Individualverkehr um zehn Prozent reduzieren könnten, wäre Kempten und dem Oberallgäu sehr geholfen.
Tübingen investiert insgesamt fünf Millionen Euro pro Jahr in den Ausbau der Radwege. Kempten will gerne Vorreiter im Allgäu sein – wie wollen Sie mehr Umweltbewusstsein in die Innenstadt bringen und wo soll die Stadt in fünf Jahren stehen?
Kiechle: Wir wollen Kempten als Vorzeigestadt im Klimaschutz weiter voranbringen. Ein Punkt dabei ist, mehr Sharing-Systeme zu etablieren und so die Zahl der Privatautos zu reduzieren. Dazu gehört die Einrichtung von e-Hubs. Das sind Mobilitätsstationen, an denen man elektrisch betriebene Fahrzeuge ausleihen kann, vom Fahrrad über Lastenräder und Roller bis zum Auto. Kempten nimmt hier ab April an einem EU-Projekt teil. Auch die E-Ladeinfrastruktur in der Innenstadt werden wir ausbauen. Außerdem starten wir 2019 ein Programm zur Anschaffung von E-Lastenrädern für Firmen und Vereine. Jenseits der Straße geht es etwa um die Förderung von Biodiversität, eine Solar-Offensive und die qualifizierte Begleitung beim Hausbau.
Was wird der ÖPNV des Jahres 2024 dem heutigen Angebot voraushaben?
Kiechle: Neben der Tarifharmonisierung und flächendeckender Vertriebs-Software werden wir 2024 ein professionelles und flexibles Bedienungssystem bis zur Haustür haben. Das gilt dann, wenn sich der Linienverkehr mit Bussen nicht lohnt, also insbesondere frühmorgens, abends, nachts und sonntags. Außerdem gibt es bis dahin eine Fahrgast-Infozentrale, die zuverlässig über Verspätungen oder Busausfälle informiert.
Was passiert im Landkreis? Gerade im Süden erlebt man an manchen Tagen einen regelrechten Verkehrsinfarkt …
Klotz: Das eigentliche Problem sind die Tagesausflügler. Aber auch das sind willkommene Gäste. Ich sehe derzeit keine Möglichkeit, diesem Verkehrsdruck Herr zu werden. Die Schiene ist leider noch keine Alternative. Bei sportlichen Großereignissen muss es in Zukunft Ziel sein, die Menschen am Wohnort abzuholen, mit Kombi-Tickets für Bus und Bahn plus Eintritt.
Da passt es doch gut, dass das Sozialund Wirtschaftswerk Oberallgäu in Sonthofen eine MobilitätsDrehscheibe an der B 19 mit CarSharing verwirklichen will.
Klotz: Diese Idee begrüße ich. Sie kann aber wohl nur in kleinem Umfang wirken. Für eine große Lösung brauchen wir in jedem Fall die Bahn als Alternative zur Straße. Man kann klar sagen: Die Bahn muss sich endlich bewegen! Das gilt auch für den Test von Hybrid-Zügen mit Wasserstoffantrieb. Wenn wir im Allgäu eine Teststrecke bekommen könnten, wäre ich sofort dabei.
Wie groß sind die Chancen noch für eine Bahn zwischen Oberstdorf und Kemptens Stadtmitte?
Klotz: In Kürze soll ein ergänzendes Gutachten vorliegen, in dem es unter anderem um die Intervalle der Züge geht. Ab 2020 fällt der Alex weg, stattdessen fährt ein Triebwagen, der nur die halbe Kapazität hat. Das bedeutet, dass wir in jedem Fall eine höhere Taktung brauchen. Kiechle: Man muss das unterstützen. Wir haben unser Problem, unsere Sorgen mit der Bahn. Die Schnittstelle zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt ist eine ganz zentrale Fragestellung für Kempten. Wir brauchen in Zukunft eine komfortable, besser abgestimmte Verbindung. Die Verwaltung arbeitet hier bereits intensiv an einem Konzept. Klotz: Das ist auch aus Sicht des südlichen Oberallgäus sehr wichtig. Kempten ist eine attraktive Einkaufsstadt und für Urlauber ein häufig angesteuertes Ziel. Wenn das mit öffentlichen Verkehrsmitteln komfortabel möglich wäre, könnte man das touristisch wunderbar bewerben. Die gute Erreichbarkeit wäre auch für Patienten, Besucher und Beschäftigte des Klinikums sehr wichtig.