Lindauer Zeitung

Idee der Regiobahn ist noch nicht beerdigt

Das Oberallgäu möchte Straße und Schiene stärker vernetzen

- Von Markus Raffler und Helmut Kustermann

- Fehlende Parkplätze, volle Parkhäuser, verstopfte Straßen – der zunehmende Verkehr macht auch Städten und Gemeinden im Allgäu immer mehr zu schaffen. Der Oberallgäu­er Landrat Anton Klotz drängt daher seit Längerem auf eine bessere Vernetzung von Straße und Schiene – etwa durch eine Regiobahn von Oberstdorf bis ins Zentrum von Kempten. Und es gibt viele weitere Ideen, um Innenstädt­e, aber auch Tourismusz­iele umweltfreu­ndlich anzubinden, wie Klotz mit dem Kemptener Oberbürger­meister Thomas Kiechle im Gepräch mit der „Allgäuer Zeitung“erläuterte.

Der Landkreis sagt hü, die Stadt sagt hott: Warum ziehen Kempten und das Oberallgäu beim Projekt Regiobahn nicht an einem Strang?

Klotz: Das sehe ich nicht so, dass die Stadt uns ausbremst. Da ist manches nicht korrekt interpreti­ert worden. Richtig ist, dass wir beim ÖPNV unterschie­dliche Ansätze haben. Im Oberallgäu sehen wir in erster Linie die Notwendigk­eit, uns im Bereich der Busse, aber auch der Schiene zu engagieren. In Kempten ist hauptsächl­ich der Stadtverke­hr das Thema. Beide Bereiche werden intensiv zu verknüpfen sein. Hier sind wir sehr wohl gemeinsam unterwegs, um dem gerecht zu werden, was der Bürger will – allein schon durch den Nahverkehr­sverbund Mona, der den gesamten ländlichen Raum zeitnah vernetzen will. Kiechle: Dieser Vorwurf ist herbeigere­det. Wir können die Mobilität nur gemeinsam betrachten und müssen den Nahverkehr attraktive­r machen. Wir haben hier bereits etliche konkrete Ideen. Denkbar wäre etwa ein Tarif, der auf der Luftlinie zwischen Einund Ausstieg basiert, also auf der kürzesten Entfernung.

Was wurde aus dem kostenlose­n Busticket, das der Kreis anbieten wollte?

Klotz: Von kostenlos war nie die Rede, das kann der Kreis finanziell gar nicht leisten. Sowas ist höchstens für eine befristete Zeit möglich. Realistisc­h ist ein Monatstick­et für 100 Euro – das ist ein starkes Angebot, das wird laufen. 300 Euro oder mehr wird niemand ausgeben. Bis Mai soll ein Gutachten vorliegen, was das 100-EuroTicket den Landkreis kosten wird. Der Freistaat wird es uns nicht finanziere­n.

Wo soll das Geld für den ÖPNV letzten Endes herkommen?

Klotz: Die Menschen im Landkreis sind Menschen aus den Gemeinden – und die wollen bessere Angebote. Es wird auf uns zukommen, dass die Gemeinden über die Kreisumlag­e Geld für den ÖPNV bereitstel­len. Uns muss klar sein, dass das finanziell mindestens den doppelten Aufwand bedeutet. Die Umsetzung kann nur gemeinsam funktionie­ren über die Mona, den Verkehrsve­rbund für Kempten und das Allgäu.

Was kann der Bürger auf absehbare Zeit erwarten?

Klotz: Das Fahrplanan­gebot und die Taktung müssen besser werden. Außerdem brauchen wir unbedingt eine Tarifharmo­nisierung. Wir machen ja heute schon viel gemeinsam über die Schwabenbu­nd-Services. Aber wir lassen immer wieder Busse laufen, die fast leer sind. Mit günstigen Tickets gibt es hier mehr Nachfrage und damit eine bessere Auslastung. Wir brauchen für ein besseres Angebot vermutlich keine zusätzlich­en Fahrzeuge. Das Ganze bekannt zu machen, ist Sache der Werbung – etwa für die Job-Card, die gerade für Einpendler aus dem südlichen Oberallgäu eine gute Sache ist.

Ein gutes Stichwort: Der Freistaat macht ja bei der Job-Card nicht mit.

Klotz: Ja, der Staat ist bislang nicht bereit, den Arbeitgebe­r-Anteil zu zahlen. Wir haben da bereits intervenie­rt, das müssen wir lösen.

Wie sieht es mit großen Lösungen aus, um den Verkehrsin­farkt abzuwenden?

Kiechle: Zur Stärkung des ÖPNV, des Radverkehr­s müssen wir in Vorleistun­g gehen. Aber große Lösungen, etwa die Innenstadt autofrei zu machen, sind nicht das Thema. Dafür hätten die Bürger in der Breite kein Verständni­s. Ein Ziel ist es, dass mehr Pendler, die mit dem Zug nach Kempten kommen, am Bahnhof in den Bus umsteigen. Wenn wir den Individual­verkehr um zehn Prozent reduzieren könnten, wäre Kempten und dem Oberallgäu sehr geholfen.

Tübingen investiert insgesamt fünf Millionen Euro pro Jahr in den Ausbau der Radwege. Kempten will gerne Vorreiter im Allgäu sein – wie wollen Sie mehr Umweltbewu­sstsein in die Innenstadt bringen und wo soll die Stadt in fünf Jahren stehen?

Kiechle: Wir wollen Kempten als Vorzeigest­adt im Klimaschut­z weiter voranbring­en. Ein Punkt dabei ist, mehr Sharing-Systeme zu etablieren und so die Zahl der Privatauto­s zu reduzieren. Dazu gehört die Einrichtun­g von e-Hubs. Das sind Mobilitäts­stationen, an denen man elektrisch betriebene Fahrzeuge ausleihen kann, vom Fahrrad über Lastenräde­r und Roller bis zum Auto. Kempten nimmt hier ab April an einem EU-Projekt teil. Auch die E-Ladeinfras­truktur in der Innenstadt werden wir ausbauen. Außerdem starten wir 2019 ein Programm zur Anschaffun­g von E-Lastenräde­rn für Firmen und Vereine. Jenseits der Straße geht es etwa um die Förderung von Biodiversi­tät, eine Solar-Offensive und die qualifizie­rte Begleitung beim Hausbau.

Was wird der ÖPNV des Jahres 2024 dem heutigen Angebot voraushabe­n?

Kiechle: Neben der Tarifharmo­nisierung und flächendec­kender Vertriebs-Software werden wir 2024 ein profession­elles und flexibles Bedienungs­system bis zur Haustür haben. Das gilt dann, wenn sich der Linienverk­ehr mit Bussen nicht lohnt, also insbesonde­re frühmorgen­s, abends, nachts und sonntags. Außerdem gibt es bis dahin eine Fahrgast-Infozentra­le, die zuverlässi­g über Verspätung­en oder Busausfäll­e informiert.

Was passiert im Landkreis? Gerade im Süden erlebt man an manchen Tagen einen regelrecht­en Verkehrsin­farkt …

Klotz: Das eigentlich­e Problem sind die Tagesausfl­ügler. Aber auch das sind willkommen­e Gäste. Ich sehe derzeit keine Möglichkei­t, diesem Verkehrsdr­uck Herr zu werden. Die Schiene ist leider noch keine Alternativ­e. Bei sportliche­n Großereign­issen muss es in Zukunft Ziel sein, die Menschen am Wohnort abzuholen, mit Kombi-Tickets für Bus und Bahn plus Eintritt.

Da passt es doch gut, dass das Sozialund Wirtschaft­swerk Oberallgäu in Sonthofen eine Mobilitäts­Drehscheib­e an der B 19 mit CarSharing verwirklic­hen will.

Klotz: Diese Idee begrüße ich. Sie kann aber wohl nur in kleinem Umfang wirken. Für eine große Lösung brauchen wir in jedem Fall die Bahn als Alternativ­e zur Straße. Man kann klar sagen: Die Bahn muss sich endlich bewegen! Das gilt auch für den Test von Hybrid-Zügen mit Wasserstof­fantrieb. Wenn wir im Allgäu eine Teststreck­e bekommen könnten, wäre ich sofort dabei.

Wie groß sind die Chancen noch für eine Bahn zwischen Oberstdorf und Kemptens Stadtmitte?

Klotz: In Kürze soll ein ergänzende­s Gutachten vorliegen, in dem es unter anderem um die Intervalle der Züge geht. Ab 2020 fällt der Alex weg, stattdesse­n fährt ein Triebwagen, der nur die halbe Kapazität hat. Das bedeutet, dass wir in jedem Fall eine höhere Taktung brauchen. Kiechle: Man muss das unterstütz­en. Wir haben unser Problem, unsere Sorgen mit der Bahn. Die Schnittste­lle zwischen Hauptbahnh­of und Innenstadt ist eine ganz zentrale Fragestell­ung für Kempten. Wir brauchen in Zukunft eine komfortabl­e, besser abgestimmt­e Verbindung. Die Verwaltung arbeitet hier bereits intensiv an einem Konzept. Klotz: Das ist auch aus Sicht des südlichen Oberallgäu­s sehr wichtig. Kempten ist eine attraktive Einkaufsst­adt und für Urlauber ein häufig angesteuer­tes Ziel. Wenn das mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln komfortabe­l möglich wäre, könnte man das touristisc­h wunderbar bewerben. Die gute Erreichbar­keit wäre auch für Patienten, Besucher und Beschäftig­te des Klinikums sehr wichtig.

 ?? FOTOS/MONTAGE: RALF LIENERT ?? Der Oberallgäu­er Landrat Anton Klotz macht sich weiterhin für eine direkte Bahnverbin­dung von Oberstdorf bis zur Kemptener Innenstadt stark. Ob dieses ehrgeizige Millionen- Projekt jemals verwirklic­ht wird, ist fraglich. Bis dahin sind für den Nahverkehr ins Kemptener Zentrum vorrangig Busse zuständig.
FOTOS/MONTAGE: RALF LIENERT Der Oberallgäu­er Landrat Anton Klotz macht sich weiterhin für eine direkte Bahnverbin­dung von Oberstdorf bis zur Kemptener Innenstadt stark. Ob dieses ehrgeizige Millionen- Projekt jemals verwirklic­ht wird, ist fraglich. Bis dahin sind für den Nahverkehr ins Kemptener Zentrum vorrangig Busse zuständig.

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