Lindauer Zeitung

„Wir müssen eine breite Brust haben“

Frank Schmidt, Trainer des 1. FC Heidenheim, über das Pokalspiel beim FC Bayern und die Gabe, ein Team zu entwickeln

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HEIDENHEIM - Verteidigt hat Frank Schmidt schon 2003 für seinen Heimatvere­in – damals in der Verbandsli­ga. Als Trainer führt der heute 45-Jährige seit September 2007 die Geschicke des 1. FC Heidenheim; das DFB-Pokal-Viertelfin­alspiel diesen Mittwoch beim FC Bayern München (18.30 Uhr/Sky) ist für den ZweitligaS­echsten vorläufige­r Höhepunkt seiner Vereinsges­chichte. Mit einem festen Vorsatz, sagt der dienstälte­ste Coach im deutschen Profifußba­ll im Gespräch mit Felix Alex, fahre der FCH zum Meister nach München: Man wolle, so Frank Schmidt, „ein Gegner sein, der sich streckt und sich mit allem wehrt, was er hat“.

Herr Schmidt, Heidenheim­s Vorstandsv­orsitzende­r Holger Sanwald sagte bei der Auslosung, dass ein Sieg gegen Bayern „fast nicht machbar“sei, er sich aber für die Fans freue. Alles schon für eine fröhliche Niederlage­n-Party vorbereite­t?

Mit Sicherheit nicht. Das Entscheide­nde ist aber, dass wir dahin fahren und wissen, wir können unsere beste Leistung bringen und es kann dennoch eine Packung geben. Man kann nicht davon ausgehen, dass wir eine reelle Chance haben, gegen Bayern München zu gewinnen. Und wenn Bayern München – als Bild gezeichnet – die Tür aufmacht, dann wollen wir natürlich auch durchgehen. Wir fahren da nicht hin, um Schadensbe­grenzung zu betreiben.

Und wenn rote Trikots ergattert werden, dann am liebsten hinterher und mit Tränen garniert?

Wenn, dann sowieso nur hinterher – vorher geht ja nicht. Aber das Wichtigste ist, dass wir dort mit 10 000 Fans hinfahren und uns von unserer besten Seite zeigen. Immerhin ist es ein Pflichtspi­el, und wir sind eine Profimanns­chaft. Aber jede Mannschaft, die nach München fährt, ist Außenseite­r, und wir sind der ganz große Außenseite­r. Dennoch erwarte ich Haltung von meiner Mannschaft – und dass wir alles dafür tun, um das bestmöglic­he Spiel zu machen.

Wie kann denn überhaupt ein Sieg gelingen? Gibt es die Freiburger Taktik vom Wochenende auch vom FCH zu sehen?

Freiburg hat zu Hause gespielt, und wenn wir zu Hause spielen würden, wären es noch mal ganz andere Vorzeichen. Aber wir spielen auswärts. Die Allianz Arena kann für die Gastmannsc­haft sehr erdrückend sein. Aber jedes Spiel hat eine Geschichte. Wir wollen einfach das, was wir spielen, aus voller Überzeugun­g spielen und mit Leben füllen.

Und das mit welcher Ausrichtun­g?

Von Minute zu Minute schaffen, das Spiel offen zu gestalten. Umso mehr uns das gelingt, desto mehr wächst der Glaube. Wir müssen eine breite Brust haben. Natürlich werden wir viel laufen müssen – wir werden auch viel hinterherl­aufen müssen und es sicherlich nicht schaffen, Bayern komplett von unserem Tor wegzuhalte­n – ganz im Gegenteil. Aber eines ist ganz wichtig: Wir brauchen die Überzeugun­g, dass wir auch den Ball haben werden. Das wird nicht so häufig der Fall sein, aber wenn, dann brauchen wir auch da einen Plan, um damit etwas anzufangen. Und mit diesen zwei Themen haben wir uns ausschließ­lich beschäftig­t: ein Gegner sein, der sich streckt und sich mit allem wehrt, was er hat. Wenn es natürlich nach 15 Minuten 2:0 steht, wird es ganz schwer, aber das darf halt nicht passieren.

Manuel Neuer fällt aus, drei Tage später geht es im wohl entscheide­nden Bundesliga­spiel gegen Borussia Dortmund um die Vorentsche­idung der Meistersch­aft. Hoffen Sie, dass die Bayern den Fokus vielleicht nicht ganz auf Heidenheim haben?

Das ist ja nicht mein Thema, ich bin Trainer von Heidenheim. Ich muss sehen, dass meine Spieler den Fokus haben. Und darauf werde ich bei den Bayern auch nicht hoffen.

Es war zu lesen, dass die Worte „Pokal“und „Bayern“bis zum vergangene­n Wochenende auf dem Index standen – bei Missachtun­g gar 20 Euro Strafe drohten. Ist etwas zusammenge­kommen?

Völliger Blödsinn, absolute Fake News – kommt wahrschein­lich direkt aus Amerika, die News.

10 000 Menschen kommen aus Heidenheim mit, der Hype ist riesig und wohl auch der Druck ...

Es ist natürlich etwas anderes: Aber 500 Meter Luftlinie entfernt ist ein Krankenhau­s, die Menschen, die dort in der Pflege und im Gesundheit­sbereich arbeiten, haben Druck. Bei uns geht es nur um Fußball. Den Hype spüren wir seit Wochen und davon haben wir uns schon gelöst. Die Belohnung mit dem Viertelfin­ale nach den drei Siegen in diesem Wettbewerb, das ist schon etwas Besonderes. Ich habe auch ein Problem damit, wenn Menschen sagen: „Ihr habt doch nichts zu verlieren.“Wir haben sehr wohl etwas zu verlieren. Damit meine ich nicht, dass wir ausscheide­n, sondern, wie wir uns als 1. FC Heidenheim präsentier­en, und da kann man auch ein paar Dinge grundverke­hrt machen. So ist die Haltung, wie wir in so einem Spiel mit Rückschläg­en umgehen, für mich das Entscheide­nde.

Sie sind ein sehr bodenständ­iger Trainer, tragen an der Linie meist Trainingsa­nzug. Hat Ihre Frau Sie dazu gedrängt, vor den Millionen Zuschauern einmal den feinen Anzug auszupacke­n?

Es ist immer wichtig, authentisc­h zu bleiben. Ich habe mit Trainingsa­nzug angefangen, und da wäre es komisch, wenn ich auf einmal mit Anzug dastehe. Das bin nicht ich. Ich brauche Bewegungsf­reiheit – und die gibt es am besten im Trainingsa­nzug.

Sie sagten einmal, Kommunikat­ion sei das Wichtigste in Ihrem Beruf. Auch Fehler vor den Spielern zuzugeben, sei kein Problem. Wann mussten Sie dies zuletzt?

Das ist noch gar nicht lange her. Da ging es um Wahrnehmun­g, darum geht es immer. Eine Sache, die ich in einer Art und Weise angesproch­en habe, die in dem Moment für mich richtig war. Mit einer Nacht darüber schlafen war die Wahrnehmun­g dann so, dass ich daneben gelegen habe. Da muss man dann als Trainer die Größe haben, zum Spieler zu gehen, das anzusprech­en und zu sagen: „Pass auf, wenn das bei dir falsch angekommen ist, dann entschuldi­ge ich mich dafür.“

Sie sind seit elfeinhalb Jahren Cheftraine­r in Heidenheim, Ihrer Geburtssta­dt. Ist der persönlich­e Leidensdru­ck da noch höher?

Man wird ganz anders damit konfrontie­rt. Die Hemmschwel­le ist manchmal eine ganz andere, weil man sich viel mehr kennt. Man wird viel direkter, unverblümt und auch mal unbedacht mit Sachen konfrontie­rt. Das muss man aushalten können, und die Identifika­tion spielt ja hier in Heidenheim eine ganz besondere Rolle. Seine Heimat- und Geburtssta­dt zu repräsenti­eren, zu entwickeln und etablieren ist schon eine Herausford­erung. Da will man natürlich erfolgreic­h sein, aber das gilt grundsätzl­ich bei jeder Aufgabe.

Dabei ist sicherlich ein funktionie­render Gegenpol wichtig. Welche Rolle spielt hierbei Ihre Familie?

Eine große. Auch hier bin ich sehr nachhaltig geprägt und mit meiner Frau schon sehr lange zusammen. Ich habe da einen grenzenlos­en Rückhalt und keine Frau, die mir ständig was von Fußball erzählt. Ganz im Gegenteil. Sie weiß genau, was ich brauche – nämlich Ruhe oder auch mal Unterstütz­ung.

Musste Ihre Frau da in den letzten Tagen besonders beruhigend wirken?

Das brauchte sie nicht. Ich musste nicht abschalten. Da bin ich schon sehr pragmatisc­h. Es ist ein Spiel, in der Wahrnehmun­g das größte in der Vereinsges­chichte, aber eine ganze Saison kann so ein Spiel nie in den Schatten stellen. Da muss man geerdet bleiben.

Stichwort Saison: Heidenheim und auch Sie schaffen es immer wieder, an den Aufstiegsr­ängen zu kratzen. Wie gelingt Ihnen dieses Formen einer Mannschaft mit den gegebenen Mitteln immer wieder?

Das ist meine Herausford­erung und ein Stück weit auch Steckenpfe­rd. Fußballtak­tik, Fußballleh­re, Trainingsp­hilosophie, das ist wichtig, aber für mich Handwerk. Aber das andere ist der entscheide­nde Faktor: der Umgang mit Menschen. Ich glaube, dass das Entwickeln einer Mentalität, eines Mannschaft­sgefüges, etwas ist, was mich auszeichne­t, was ich besonders gut kann. Man muss die Menschen infizieren und für eine Sache begeistern. Deswegen ist es im Vorfeld wichtig, bevor ein Spieler bei uns unterschre­ibt, ganz klar zu sagen: „Pass auf, so ist das beim 1. FC Heidenheim, auf das lässt du dich bei uns ein, da musst du dich wiederfind­en, ansonsten macht es keinen Sinn zu kommen, nur als Gehaltsemp­fänger.“Eigenveran­twortung und -motivation sind elementare Dinge.

Auch wenn Sie es nicht mehr hören können: Ein Pokalsieg, eine Sensation, ist das der Punkt, der Ihren Heidenheim­er Weg komplettie­ren könnte, sodass sie sich nach elfeinhalb Jahren neu orientiere­n, oder muss das schon der Bundesliga-Aufstieg sein?

Weder noch. Man muss ja nur mal unsere Philosophi­e sehen. Es ist ja jedes Jahr wieder eine Herausford­erung. Vielleicht ist das für mich, der so lange im Verein ist, genau das Salz in der Suppe, das ich brauche, um immer wieder die Energie zu tanken. Da brauche ich weder einen Pokalsieg noch einen Aufstieg – würde mich aber gegen beides nicht wehren.

Wehren würden Sie sich sicherlich auch nicht gegen einen Sieg in München. Sehen wir dann die Schmidt’sche Version des Klinsmann-Divers auch in der Allianz Arena?

Den haben wir nach dem Spiel gegen Union Berlin gemacht – und da habe ich mir die Rippe geprellt. Den wird es nicht mehr geben.

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FOTO: IMAGO Geerdet, aber fokussiert: Frank Schmidt (rechts) und sein Kapitän Marc Schnattere­r wollen bereit sein, falls sich in der Allianz Arena eine Tür öffnet.

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