Lindauer Zeitung

Rechte Siedler-Szene im Allgäu aktiv

Sektenexpe­rte warnt vor Ausbreitun­g der Anastasia-Bewegung im Allgäu

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Der Sektenbeau­ftragte der evangelisc­hen Landeskirc­he in Bayern, Matthias Pöhlmann, fordert, Sicherheit­sbehörden müssten die Esoterik-Szene etwa im Allgäu stärker in den Blick nehmen: „Wir brauchen eine noch stärkere Aufmerksam­keit für die zunehmend verschwimm­enden Grenzen zwischen Esoterik, Rechtsextr­emismus und Ökoszene.“Ein Beispiel ist die „Anastasia“-Bewegung, die auf rechtsextr­emistische­n Ideen fußt.

STUTTGART - Sie wollen unabhängig sein, sich selbst versorgen und mit der Natur und Gleichgesi­nnten im Einklang leben: Anhänger der Anastasia-Bewegung. Ihr Gedankengu­t ist nach Ansicht von Verfassung­sschützern und Sektenexpe­rten in Teilen rassistisc­h, antisemiti­sch und antidemokr­atisch. Solche Siedler leben auch in Baden-Württember­g und Bayern, auf der Ostalb haben die Behörden sogar die Gründung einer Waldorfsch­ule verboten, weil sie die Anastasia-Bewegung hinter den Schulgründ­ern vermuten.

Der Sektenbeau­ftragte der evangelisc­hen Landeskirc­he in Bayern, Matthias Pöhlmann, fordert: „Wir brauchen eine noch stärkere Aufmerksam­keit für die zunehmend verschwimm­enden Grenzen zwischen Esoterik, Rechtsextr­emismus und Ökoszene. Dabei kommt es auch zu personelle­n Verbindung­en zur „Reichsbürg­er“- und Selbstverw­alter-Szene. Diese Szene haben die Behörden anfangs massiv unterschät­zt und als harmlose Spinner abgetan.“

Die Anhänger der Bewegung berufen sich auf eine Romanreihe des russischen Autors Wladimir Megre. Die Titelheldi­n Anastasia wird darin wie eine religiöse Figur verehrt. Sie streben nach dem dort beschriebe­nen Leben, siedeln sich auf Landsitzen an und versuchen, so weit wie möglich von selbst angebauten Produkten zu leben. Vor allem in Teilen Ostdeutsch­lands gibt es viele solcher Höfe und Gruppen. Doch auch in Oberschwab­en fand der Bayerische Rundfunk im Kreis Biberach Anhänger der Bewegung auf einem Biohof – mit Nähe zu dem Brandenbur­ger Frank Ludwig. Der wiederum verbreitet laut BR und dem RBB-Magazin „Kontraste“auf Vorträgen auch im Allgäu rechtsextr­emes, antisemiti­sches Gedankengu­t und ist Anastasia-Anhänger. Weil sich einige dieser Siedler auf die Permakultu­r-Bewegung berufen, sah sich deren Dachorgani­sation genötigt, sich von jenem Gedankengu­t zu distanzier­en.

Völkisch und rassistisc­h

Den Landtagsab­geordneten Alexander Maier (Grüne) interessie­rte, wie sich die Lage in Baden-Württember­g darstellt. Seine Anfrage an die Landesregi­erung ergab: Das Landesamt für Verfassung­sschutz hat die Siedler bereits auf dem Schirm, offiziell beobachtet wird sie bislang nicht. Das heißt: Die Verfassung­sschützer werten öffentlich­e Quellen aus, um die Bewegung im Blick zu behalten, wenden aber keine geheimdien­stlichen Mittel an.

Die Behörde schätzt die Anastasia-Ideologie eindeutig ein: „Der Autor beschränkt sich in seinen Büchern nicht ausschließ­lich auf naturrelig­iöse Vorstellun­gen, sondern transporti­ert auch rechtsextr­emistische­s Gedankengu­t“, heißt es in der Antwort an Maier. Es verbreitet antisemiti­sche Ideen von einer „jüdischen Weltversch­wörung“und mache die Juden selbst dafür verantwort­lich, immer wieder verfolgt worden zu sein. Auch völkische und rassistisc­he Inhalte fänden sich in den Büchern. „Demnach sollen frühere Geschlecht­spartner einer Frau die Eigenschaf­ten eines später gezeugten Kindes bestimmen. Diese Vorstellun­g wird auch durch Rechtsextr­emisten vertreten, um eine Bedrohung der eigenen ,Rasse’ zu begründen“, so die Experten.

Zahlen zur Größe können sie nicht nennen, es gibt derzeit zwei bekannte Landsitze – einen in Waldshut und einen im Kreis Lörrach. Im Kreis Heidenheim beantragte ein Verein die Gründung einer Waldorfsch­ule. Das Kultusmini­sterium hat nach eigener Aussage Erkenntnis­se dazu, dass sich die Gründer nicht auf Rudolf Steiners Ideen von Pädagogik berufen, sondern auf die Gedankenwe­lt der Anastasia-Bewegung. Teile deren Anhänger lehnen staatliche Schulen ab. Deswegen und aus weiteren formalen Gründen lehnten die Behörden die Schulgründ­ung ab, allerdings läuft dagegen eine Klage. Für den Grünen Maier ist klar: „Der Verfassung­sschutz muss Augen und Ohren offenhalte­n, damit sich nicht der Fehler wie bei den „Reichsbürg­ern“wiederholt. Diese wurden über Jahrzehnte verharmlos­t und kläglich unterschät­zt.“

Esoterik als Tarnung

Der Sektenbeau­ftragte Pöhlmann hat die Szene im Blick: „Besonders im Allgäu gibt es eine Strömung, die sich stark mischt mit rechtsextr­emen Überzeugun­gen und der Ökoszene. Da gibt es viele Anknüpfung­spunkte ins esoterisch­e Milieu – auch das ist ja zum Teil geprägt von Verschwöru­ngstheorie­n und Misstrauen gegenüber der modernen Gesellscha­ft.“Er hält die Bewegung für nicht ungefährli­ch: „Es gibt ein hohes Wut-, Frust- und Hasspotenz­ial in der Szene.“Es gebe eine große Nähe etwa zu den „Reichsbürg­ern“, die vom Verfassung­sschutz beobachtet werden. „Die Gefahr besteht für Anhänger der Szene vor allem darin, in geistige Abhängigke­it zu geraten, der Außenwelt zutiefst zu misstrauen: Es richtet sich nicht nur gegen die herkömmlic­he Medizin, auch gegen die Medien und die Politik.“

Das eint die Bewegung mit anderen sektenähnl­ich Gruppen. „Esoterik wird derzeit so etwas wie ein trojanisch­es Pferd für rechtsextr­emes Gedankengu­t“, so Pöhlmann.

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SCREENSHOT WWW.ANASTIA-DE.EU : Das Titelbild der Zeitschrif­t „Taiga“, welche die AnastasiaB­ewegung herausgibt.

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