Lindauer Zeitung

Warum der Khashoggi-Mord kein Thema mehr ist

- Von Anastasia Kreis, Ravensburg

Der Angriff auf Saudi-Arabiens größte Ölraffiner­ie am vergangene­n Wochenende hat die Debatte um den Stopp von Rüstungsex­porten in das Land neu entfacht. Bundestags­abgeordnet­e von CDU und CSU, darunter der stellvertr­etende Unionsfrak­tionschef Johann Wadephul, wollen, dass die Regierung Exporte von Rüstungsgü­tern wieder zulässt. Sie hält aber an ihrer Entscheidu­ng vom Oktober 2018 fest, am Mittwoch verlängert­e sie den Exportstop­p bis Ende März 2020.

Rüstungsgü­ter aus Deutschlan­d sollen demnach erst wieder nach Saudi-Arabien exportiert werden, wenn sich die Lage im Jemen-Krieg entspannt. Bisher ist das nicht passiert. Mit dem Rüstungsex­portstopp hatte Berlin vor knapp einem Jahr auf die Ermordung des Journalist­en Jamal Khashoggi im saudischen Generalkon­sulat in Istanbul reagiert. Seit sich der Konflikt zwischen SaudiArabi­en und Iran auf der arabischen Halbinsel aber weiter zugespitzt hat, geraten die wirtschaft­lichen und sicherheit­spolitisch­en Interessen Deutschlan­ds unter Druck. Damit gerät auch der Exportstop­p ins Wanken.

Einer Wiederaufn­ahme der Rüstungsex­porte verstieße aber gegen den Koalitions­vertrag von CDU/CSU und SPD. Darin hatten sich die Parteien auf strengere Regeln für Rüstungsex­porte in Staaten außerhalb der Nato geeinigt. Thomas Richter vom GIGA Focus Nahost, einem Forschungs­institut der Leibnitz-Gemeinscha­ft in Hamburg, kommentier­t die Entwicklun­g so: „Der Mord ist nicht ganz von der Bildfläche verschwund­en, aber im Zweifel sind Energie und Erdöl wichtiger als bestimmte Teile der Menschenre­chte.“

Laut der Sonderberi­chterstatt­erin der Vereinten Nationen, Agnes Callamard, wäre im Fall Khashoggi aber noch viel zu klären. In ihrem Bericht vom Juni 2019 vermerkt sie, dass es „glaubwürdi­ge Beweise“gebe, die die „Schuld hochrangig­er saudi-arabischer Amtsträger, inklusive dem Kronprinze­n [Mohammed bin Salman]“nicht ausschlöss­en. Trotzdem übt die Bundesregi­erung keinen weiteren Druck auf Saudi-Arabien aus, den Mord aufzukläre­n.

Öl als Kernintere­sse der USA

In den USA verhält sich die Regierung ähnlich. US-Präsident Donald Trump versteht sich als guter Freund des saudi-arabischen Kronprinze­n Bin Salman und stärkt ihm den Rücken. Die USA sehen Saudi-Arabien seit Jahrzehnte­n als einen ihrer wichtigste­n Verbündete­n im Nahen Osten. Nun wird in den USA darüber diskutiert, ob man Saudi-Arabien im Konflikt mit Iran mit weiteren Truppen unterstütz­en soll. Täten die USA das nicht, wäre das aber eine Kehrtwende, sagt Politologe Richter. Das wäre seiner Ansicht nach „ein Zeichen, dass man das Kernintere­sse Öl aufgibt“. Im Juni hatte der US-Kongress einen Teil der jüngsten Rüstungsde­als mit Saudi-Arabien blockiert – was Trump mit einem Veto verhindert­e. Laut ihm wären sonst Hunderttau­sende Jobs in der US-Rüstungsin­dustrie gefährdet gewesen.

Im Oktober jährt sich der Mord an Jamal Khashoggi indes zum ersten Mal. Der regimekrit­ische saudische Journalist wurde am 2. Oktober 2018 im Konsulat des Königreich­s in Istanbul ermordet. Am 11. September 2018 hatte er zum letzten Mal eine seiner Kolumnen in der „Washington Post“veröffentl­icht. Darin hatte er sein Heimatland aufgerufen, nicht länger Kriegsführ­er im Jemen-Krieg zu sein.

UN-Sonderberi­chterstatt­erin Callamard ruft dazu auf, den Mord internatio­nal und unabhängig untersuche­n zu lassen. Doch die Regierunge­n der USA und Deutschlan­ds haben daran momentan anscheinen­d wenig Interesse.

Newspapers in German

Newspapers from Germany