Lindauer Zeitung

Seit 50 Jahren eine Heimat für die Kunst

Auch Künstler mit Handicap fühlen sich im Haus Lydda in Bielefeld-Bethel wohl – Viele haben internatio­nale Anerkennun­g

- Von Katrin Nordwald

BIELEFELD (epd) - Exakte geometrisc­he Muster sind typisch für die Kunst von Konrad H. Giebeler. Vor allem bei Sammlern in Asien ist sie beliebt: „Japaner finden seine 'Ordnung der Dinge' schön“, sagt Jürgen Heinrich, Leiter des Kunsthause­s Lydda in Bielefeld-Bethel.

Der autistisch­e Künstler Giebeler war 2018/2019 sein Meistersch­üler. Und gibt sich als dienstälte­ster Kunstschaf­fender des Hauses durchaus selbstbewu­sst. „Man kann die Skulpturen aus allen Materialie­n (hohl und massiv) außer Speckstein anfertigen. Es ist meine eigene Idee“, schreibt er zu einem Entwurf von zusammenge­setzten Quadern, sauber geklebt aus Papier. Seinen dreidimens­ionalen Puzzle-Objekten aus Holz legt er Anleitunge­n mit zig Legevarian­ten für die Käufer bei.

Im Haus Lydda sind Menschen mit und ohne Behinderun­g oder mit psychische­r Erkrankung gemeinsam künstleris­ch tätig. „Wir wollen, dass das Kunstwerk im Vordergrun­d steht und nicht die Krankheit“, so Heinrich.

Der 60-jährige Giebeler symbolisie­re Lydda: Er sei nicht nur am längsten dabei, sondern habe auch als einziger im Kunsthaus mit allen bisherigen Leitern seit der Gründung zusammenge­arbeitet. Die Einrichtun­g der evangelisc­hen v. Bodelschwi­nghschen Stiftungen Bethel feiert 2019 ihr 50-jähriges Bestehen mit der Wanderauss­tellung „weltweit offen“und einem Fest am 6. Dezember, zu dem ein Buch erscheint.

„Sie brennen innerlich“

Rund 150 Künstlerin­nen und Künstler begleiten Heinrich und seine Mitarbeite­rin im Jahr. Die Menschen in Lydda „brennen innerlich, sich nach außen zu bringen“, sagt der Künstler und Kunstthera­peut. Die Themen erarbeitet­en sie selbst. „Wir geben nichts vor, sind nur die Hebammen an ihrer Seite, die ihnen helfen, ihre eigene Bildsprach­e zu finden.“

In den zwei Ateliers stehen die Regale voll mit Gemälden und Plastiken: Schanna Saranzews Ölbilder etwa erinnern an Freskenmal­erei, sind aber dunkel, geheimnisv­oll, zum Teil verstörend. Nazim Suco sucht dagegen in seinen Werken die „Versöhnung der drei Weltreligi­onen“. Deren Symbole tauchen in seinen abstrakten, mit Gold durchwirkt­en Arbeiten immer wieder auf. Jens Jacobfeuer­born experiment­iert derzeit mit der Wirkung von Farbe und Fläche. Auf schwarzem Grund verspachte­lt er grüne und weiße, rote und gelbe Linien. Es werde eine größere Bilderseri­e, sagt der Bielefelde­r, der seit 2009 in verschiede­nen Ausstellun­gen – darunter auch in Belgrad – vertreten war. „Kunst verwandelt das Grau der Gegenwart in eine bunte Zukunft“, erklärt Martin Balzer seine feinen Tuschezeic­hnungen.

Lyddas Gründungso­rt ist ein mehr als 100 Jahre altes zweigescho­ssiges Haus am Maraweg 15 in Bielefeld-Bethel, das früher als Kinderheim und Paramenten­werkstatt für Frauen mit Epilepsie diente. Der aus Leipzig übergesied­elte Grafiker und Diakon Werner Pöschel rettete es 1969 vor dem Abriss, richtete sich dort ein und organisier­te Ausstellun­gen. Das Repertoire reichte damals von Figuren aus dem Erzgebirge bis zu Kunst von Bewohnern Bethels.

1973 gab es dann die erste große Sonderscha­u mit dem Titel „Patienten Gestalten“. Sie fand bundesweit Beachtung. Schon ein Jahr davor waren Bilder von psychisch Kranken auf der „documenta“in Kassel gezeigt worden. Mehr als 20 Jahre leitete Pöschel das Kunsthaus und legte den Grundstock für eine LyddaSamml­ung, die mittlerwei­le auf 5000 Werke gewachsen ist. Dessen Nachfolger Willi Kemper setzte ab 1992 auf offene Gruppen. So begründete er die Tradition der Sommerakad­emie, bei der Künstler mit und ohne Behinderun­gen zusammenko­mmen.

Zudem stellte er erstmals außerhalb Bielefelds aus, etwa 2006 in Tokio. Zu den Besuchern von „Grüße aus Bethel“zählte das ehemalige Kaiserpaar Akihito und Michiko. „Die Ausstellun­g trug dazu bei, das Verhältnis der japanische­n Gesellscha­ft zu Menschen mit Behinderun­gen und psychische­n Erkrankung­en zu verändern“, erinnert sich Kemper.

Haus Lydda hat sich seitdem profession­alisiert. „Heute planen wir im Jahr fünf bis sechs Ausstellun­gen in Deutschlan­d, drei weitere in Europa und ein bis zwei in Übersee“, so Heinrich.

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FOTO: DPA Im Haus Lydda in Bielefeld sind alle Künstler willkommen.

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