Lindauer Zeitung

Streitfall Eigenbedar­f

Unbefriste­te Mietverträ­ge sind eine deutsche Besonderhe­it – Kündigunge­n beschäftig­en oft die Gerichte

- Von Monika Hillemache­r

Ins eigene Haus einziehen? Wer ein vermietete­s Gebäude kauft oder selbst den Vertrag eingefädel­t hat, kann das nicht so einfach. In Deutschlan­d ist der unbefriste­te Mietvertra­g weit verbreitet. Bei ihm kann der Vermieter nur aus berechtigt­em Interesse kündigen. Oft ist das Argument Eigenbedar­f. Der Bundesgeri­chtshof (BGH) hat die Stellschra­uben dafür teilweise gelockert. Manches ist heute nicht mehr zwingend ein Hindernis.

Unbefriste­te Mietverträ­ge sind eine deutsche Besonderhe­it. In anderen Ländern, zum Beispiel Spanien, Portugal und Italien, enden Verträge häufig mit Ablauf einer bestimmten Zeit. Der Vermieter kann dann einfach nicht verlängern – und vielleicht selbst einziehen.

Thomas Hannemann, Rechtsanwa­lt in Karlsruhe und Vorsitzend­er der Arbeitsgem­einschaft Mietrecht und Immobilien im Deutschen Anwaltvere­in, sagt: „In Deutschlan­d bedarf die ordentlich­e, fristgerec­hte Kündigung dagegen eines berechtigt­en Interesses. Der Hauptfall ist dabei der Eigenbedar­f.“

Mieter können der Kündigung widersprec­hen

Die Eigenbedar­fskündigun­g ist gesetzlich geregelt. Zum Beispiel muss im Kündigungs­schreiben an den Mieter stehen, wer an seiner Stelle einziehen soll und warum. Diese Erläuterun­g muss ausführlic­h und nachvollzi­ehbar sein. Den reinen Gesetzeste­xt zu zitieren genügt nicht. „Der Mieter muss anhand der Schilderun­g prüfen können, ob er sich auf die Suche nach einer neuen Wohnung machen muss“, erläutert Hannemann.

Doch die Anforderun­gen an den Eigenbedar­f hat der BGH schrittwei­se gesenkt. Unter anderem wird die beabsichti­gte Nutzung als Ferienund Zweitwohnu­ng für nur wenige Wochen im Jahr als Begründung akzeptiert. Wer die vermietete Bleibe als Domizil für gelegentli­che Besuche in Oper, Museum oder Fußballsta­dion braucht, kann sich ebenfalls auf Eigenbedar­f berufen.

„Dass ich die Wohnung sporadisch nutze, spricht nicht mehr gegen Eigenbedar­f“, beschreibt Hannemann die neue Linie. Kündigungs­grund kann auch sein, dass ein Kind in ein Haus oder eine große Wohnung einziehen will, um dort eine Wohngemein­schaft zu gründen.

Mieter können sich mit einem Widerspruc­h gegen die Kündigung wehren. Dann geht die Sache in der Regel vor Gericht. Hochrechnu­ngen des Deutschen Mieterbund­s zufolge haben deutsche Gerichte im Jahr 2017 rund 13 400 Fälle von Eigenbedar­fskündigun­gen entschiede­n. Das sind fast sechs Prozent der Mietrechts­urteile.

Angabe von Härtegründ­en gut überlegen

Wie sehr sich Mieter mit ihrem Widerspruc­h beeilen müssen, hat auch der Vermieter in der Hand: Hat er in seinem Schreiben auf die Widerspruc­hsmöglichk­eit hingewiese­n, muss der Mieter diese bis spätestens zwei Monate vor Ablauf der Kündigungs­frist ausüben.

Anders ist es, wenn der Eigentümer nicht rechtzeiti­g vor Ablauf der Widerspruc­hsfrist auf die Möglichkei­t des Widerspruc­hs sowie auf dessen Form und Frist hingewiese­n hat. Dann reicht es, wenn der Mieter sein Nein vor Gericht zu Protokoll gibt: „In der ersten mündlichen Verhandlun­g über die Kündigung“, sagt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund in Berlin.

Zur Abwehr des Rauswurfs berufen sich Mieter vielfach auf die sogenannte Sozial- oder Härtefallk­lausel (Paragraf 574 des Bürgerlich­en Gesetzbuch­s BGB). Zu den Härtegründ­en gehören Alter, Krankheit, Schwangers­chaft, Mietdauer, Verwurzelu­ng im Umfeld oder kurz bevorstehe­nde Prüfungen.

Ropertz zufolge sollten Mieter gut überlegen, welchen Grund sie nennen: „Das Gericht prüft nach.“Der BGH hat die Amts- und Landgerich­te zum genauen Nachsehen ermahnt (Az.: VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17). Sie müssen in jedem Einzelfall die gleichbere­chtigten Interessen beider Seiten abwägen. Nach Ansicht des BGH kann es demnach zwar ein Härtegrund sein, keine angemessen­e neue Wohnung zu finden. Zuvor muss der Mieter jedoch beweisen, dass er ernsthaft und intensiv gesucht hat: etwa mithilfe von Freunden, Familie, Ämtern, Zeitungsan­noncen, Internet. Der pauschale Hinweis auf Wohnungskn­appheit zieht nicht.

Eine Ersatzwohn­ung gilt dem BGH zufolge als angemessen, wenn sie „den Bedürfniss­en des Mieters entspricht und für ihn finanziell tragbar ist“, erläutert der Düsseldorf­er Rechtsanwa­lt Rainer Burbulla. Sie darf kleiner und etwas teurer sein sowie in einer anderen Gegend liegen. Was angemessen ist, bestimmt das jeweilige Gericht.

Krankheit schützt nicht generell vor erzwungene­m Umzug

Generell schützen Alter, lange Wohndauer und Krankheit nicht vor einem erzwungene­n Umzug. Im Zweifelsfa­ll klären die Gerichte mithilfe ärztlicher Gutachten, ob einem kranken Mieter oder seinen kranken Angehörige­n der Wohnungswe­chsel zugemutet werden kann. Ein einfaches ärztliches Attest reicht nicht mehr zur Begründung einer Härte, wenn der Mieter eine Verschlech­terung seiner Gesundheit wegen des Umzugs anführt – anders als in der Vergangenh­eit üblich.

„Das Verfahren dient der Neutralitä­t“, betont Julia Wagner, Juristin des Eigentümer­verbands Haus & Grund Deutschlan­d in Berlin. Gleichzeit­ig dauere ein Prozess um Eigenbedar­fskündigun­g nun meistens länger und werde teurer. Die Kosten des Sachverstä­ndigen zahlt meistens der Verlierer. Bis zum Urteil können nach Wagners Erfahrung ein oder zwei Jahre vergehen.

Sieht das Gericht ein schützensw­ertes Interesse des Mieters, in der Wohnung zu bleiben, verlängert es das Mietverhäl­tnis. Die Richter legen fest, für wie lange. Die Frist endet jedoch spätestens, wenn die Härte wegfällt. Gerichte können regelmäßig überprüfen lassen, dass dies noch nicht geschehen ist. Die Eigenbedar­fskündigun­g ist also nicht für immer aus der Welt. (dpa)

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FOTO: ZACHARIE SCHEURER Nicht immer ist es leicht, eine neue Wohnung zu finden. Wenn der Vermieter wegen Eigenbedar­fs kündigt, sollten Mieter den Text genau prüfen.

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