Lindauer Zeitung

Kein Job wie jeder andere

- Von Christine King

ei der Frage, warum sie sich ausgerechn­et diesen Lehrberuf ausgesucht hat, muss Hannah Nolte nicht lange überlegen: „Mir macht das Spaß.“Andere in ihrem Alter finden diesen Beruf nicht so cool, zu den ganz beliebten gehört er bei den jungen Schulabgän­gern jedenfalls nicht. „Meine engsten Freunde sagen immer: ‚Ich würde es selbst nicht können, aber ich bewundere dich.’“Die junge Wolfeggeri­n weiß genau, was ihre Freunde damit meinen. „Das Pflegerisc­he ist es, was viele abhält.“Großen Respekt hatte sie anfangs selbst davor – „vor dem Duschen, Waschen, Einlagen wechseln“– und spricht ganz offen darüber. „Das lernt man, da kommt man rein.“Und dann erzählt Nolte wie das Reinkommen aussieht im Alltag, wie sie mit „dem ganzen Körperlich­en“umgeht und wie sie es gelernt hat, nicht alles so schlimm zu sehen. „Dass hier alle extrem ihren eigenen Kopf haben, war für mich anfangs auch nicht leicht.“Ihr Piepser meldet sich, ein Toiletteng­ang unterbrich­t kurz das Gespräch. Und der ständige Umgang mit dem Tod? „Ständig ist das ja nicht“, meint sie, „aber klar, ich habe schon viele begleitet, die wochenlang im Sterben lagen.“Wenn sie dann aber gesehen habe, dass der Tod für die meisten eine Erlösung gewesen sei, sei sie besser damit klargekomm­en. Die Eltern haben sie bei ihrer Berufswahl unterstütz­t, ihr Freund bewundert sie für ihren Mut und Freundinne­n, die das gleiche lernen, hat sie inzwischen auch. Und dann spricht sie über das, was ihr an der Ausbildung zur „examiniert­en Altenpfleg­erin“gefällt. „Ich liebe es, jemanden zu betreuen, der so viel Lebenserfa­hrung hat“, sagt sie. Es sei die Dankbarkei­t, die sie immer wieder erfahren dürfe, die ihr so guttue. „Dankbar sind unsere Bewohner für alles, sogar für ganz kleine Dinge, wie Zöpfe flechten, vorlesen, eine Runde Memory spielen oder einen kurzen Spaziergan­g.“Und es sieht nicht einstudier­t, sondern ganz natürlich aus, wie sie ihre Hand auf die Schulter oder an die Wange einer Bewohnerin legt, während sie mit ihr zusammen eine Zeitschrif­t durchblätt­ert. zweimal wöchentlic­h in Ravensburg wäre auch möglich. Angefangen hat sie bereits im April, da war sie noch mitten im FSJ, das sie nach der mittleren Reife im Bruderhaus gemacht hat. „Ich wurde ziemlich schnell gefragt, ob ich nicht gleich in die Ausbildung einsteigen möchte“, erzählt sie. Nadja Welte, ihre Ausbildung­sleiterin, ermunterte sie dazu, „denn man hat schnell gemerkt, dass Hannah dafür geeignet ist.“Die 54-Jährige – gelernte Industriek­auffrau – kam vor 16 Jahren als Quereinste­igerin zur Altenpfleg­e und übt längst ihren Traumberuf aus, hat viel Erfahrung. „Empathisch und flexibel muss man sein, entscheidu­ngsfreudig, ein gutes Zeitmanage­ment haben und – vor allem – mit dem Herz dabei sein.“Abgelehnt hat sie deshalb auch schon einige. „Ich merk’ schnell, wem dieser Beruf liegt.“Und auch der ständige Wechsel zwischen Nähe und Distanz sei eben nicht jedermanns Sache. 56 Bewohner leben im Ravensburg­er Bruderhaus, einer Stiftung. Betreut werden sie in zwei Wohnbereic­hen im modernen Gebäude mitten in der Altstadt von insgesamt 55 Pflege- und Betreuungs­kräften, darunter 22 Pflegefach­kräfte und neun Auszubilde­nde. Dabei arbeiten viele in Teilzeit und etliche mit Migrations­hintergrun­d. Hannah ist eine der wenigen Auszubilde­nden mit deutschen Wurzeln und mit ihren 18 Jahren die jüngste, die nächst ältere Pflegekraf­t ist sieben Jahre älter. Das stört sie überhaupt nicht. „Die meisten hier im Team sind jung geblieben“, sagt sie, „und von ihnen kann ich viel lernen.“Der älteste Auszubilde­nde ist 35 und kommt aus Gambia. spricht sie vom „schönsten Beruf der Welt“und davon, „dass die Bewohner hier extrem offen sind und ihnen die Hautfarbe dabei völlig egal ist“. Was das Bruderhaus von anderen Einrichtun­gen unterschei­det? „Wir stehen hier für das, was wir tun.“Über Hannah ist sie froh, auch darüber, „dass sie keine Probleme hat, einen Bericht zu schreiben“. Die junge Frau will nach der Ausbildung erst mal ein paar Jahre arbeiten und sich dann weiterbild­en. Ein Studium dranhängen? „Eher nicht, aber keine Ahnung, mal sehen.“Klar ist für sie im Moment jedenfalls: „Ich möchte im Alter so lange wie möglich fit bleiben und hoffe das auch für meine Eltern.“Der Piepser geht wieder. Zeit für die Vorbereitu­ngen fürs Mittagesse­n.

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Foto: Bruderhaus Ravensburg

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