Adel verpflichtet
Den Welterbestätten in der Region fällt mit der Unesco-Auszeichnung nicht nur eine große Ehre zu, sondern auch eine Mammut-Aufgabe
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er Jubel ist groß, als im Juli dieses Jahres das UnescoWelterbekomitee das Augsburger Wassermanagement zum Weltkulturerbe ernennt. Ähnlich laut gejubelt wurde auch zwei Jahre zuvor, als die Unesco die Höhlen und Eiszeitkunst im Lone- und Achtal auf der Schwäbischen Alb mit dem Titel Welterbe adelte. Mindestens so groß war 2017 aber auch der Kater am Morgen danach. Weniger bedingt durch das übermäßige Feiern als durch die bohrende Frage, wie man dieser Ehre künftig gerecht werden kann. „Natürlich waren wir sehr stolz darauf, jetzt eine der sechs UnescoWelterbestätten in Baden-Württemberg zu sein. Aber wir wussten auch, dass eine schwierige Aufgabe auf uns zukommt“, erinnert sich Hermann Mader, ehemaliger Landrat Heidenheims und Vorsitzender des Fördervereins Eiszeitkunst im Lonetal. Denn in der Welterbekonvention steht bei Artikel 27 unter anderem: „Ziel der Welterbevermittlung ist es, eine Welterbestätte als Lernort interkultureller Begegnung erfahrbar zu machen.“Geld gibt es dafür aber von den Vereinten Nationen nicht. Allein der Titel sorge schließlich dafür, dass die Besucher in Massen strömen und so entsprechend viel Bares in die Kassen fließt, glaubt die Unesco.
Längst hat sich Ernüchterung breitgemacht im Kreis Heidenheim und vor allem im kleinen Niederstotzingen auf der Ostalb. In der Vogelherdhöhle ganz in der Nähe der 4700Einwohner-Stadt haben Archäologen der Universität Tübingen 2006 ein 40 000 Jahre altes Mini-Mammut aus Elfenbein gefunden – das älteste vollständig erhaltene figürliche Kunstwerk der gesamten Menschheit. Ein wichtiger Grund, warum die Unesco die Vogelherdhöhle zusammen mit den Höhlen Hohle Fels (Fundort der Venus) bei Schelklingen und Hohlenstein Stadel (Fundort des Löwenmenschen) im Lonetal in den Stand der Welterbestätten erhoben hat. Das sensationelle Mammut wollte man unbedingt vor Ort präsentieren und nicht in einem Museum in Ulm, Tübingen oder Stuttgart.
„Die Menschen in der Region sollen sich doch damit identifizieren können“, erklärt Marcus Bremer, Niederstotzingens Bürgermeister. Rund um die Vogelherdhöhle entstand deshalb ein Archäopark, der Erwachsenen wie Kindern das Leben in der Eiszeit näherbringt und in dessen sogenannter Schatzkammer das gerade mal 3,7 Zentimeter lange, 2,7 Zentimeter hohe und 5,3 Gramm schwere Mammut ausgestellt ist.
Rund 24 000 Menschen besuchen den Archäopark und das kleine Mammut jedes Jahr. Die meisten davon tummeln sich auf dem Freigelände. Die Kinder werfen sich gerne Felle über und schlüpfen in das Leben der Eiszeitjäger, während die Erwachsenen in der Höhle fasziniert den leisen Tönen der Elfenbeinflöten lauschen, die ebenfalls rund 40 000 Jahre alt und hier entdeckt worden sind. Nur wenige finden den Weg in die dunkle Schatzkammer, wo das Mammut – inszeniert hinter Glas und auf schwarzem Samt – ins rechte Licht gerückt wird. Seit dem Unesco-Titel sind die Besucherzahlen zwar leicht angestiegen. Ein Massenansturm, wie vom Welterbekomitee prophezeit, blieb aber aus.
Ähnliche Erfahrungen haben auch die anderen Unesco-Stätten im Land gemacht. „Der Welterbetitel löst nur kurzfristig einen Boom aus“, stellt Ralf Baumeister, Leiter des Federseemuseums in Bad Buchau fest. „Zwei, drei Jahre später pendeln sich die Zahlen wieder ein“, bestätigt auch Ermelinde Wody, Museumspädagogin des Limesmuseums in Aalen auf Anfrage. Karl Wehrle, Tourismuschef der Insel Reichenau, will dagegen beobachtet haben, dass tatsächlich mehr Führungen verlangt werden, seit die Klosterinsel im Bodensee Weltkulturerbe ist. Vor allem das Interesse ausländischer Touristen sei gestiegen. Ähnliches halten auch die Augsburger fest. Die Verleihung des Unesco-Titels habe schnell zu einem deutlichen Anstieg der Führungen geführt. Dabei scheinen die Chinesen am stärksten dem Unesco-Ruf zu folgen. Und die Pfahlbauten in Unteruhldingen brechen mit konstant 300 000 Besuchern im Jahr sowieso sämtliche Rekorde.
Von solchen Zahlen kann Bremer nur träumen. Sein winziges Mammut besitzt eben lange nicht so viel Anziehungskraft wie zum Beispiel die Pyramiden von Gizeh oder der Kölner Dom, den jährlich sechs Millionen Menschen aus aller Welt besuchen. „Außerdem stehen wir ganz klar auch in Konkurrenz zu anderen Freizeitangeboten der Region wie dem Legoland“, weiß der Bürgermeister. Zum jüngsten Welterbemitglied nach Augsburg wird er wohl etwas neidisch hinüberblicken. Dort hat die Stadt rund eine Million Euro in die Bewerbung gesteckt, macht jetzt fast noch mal so viel locker für den Umbau eines Welterbezentrums und unterhält allein vier Stellen fürs Welterbebüro. „Wir sind ganz gut aufgestellt“, findet dessen Leiter Ulrich Müllegger.
Für eine Kleinstadt wie Niederstotzingen allerdings ist der UnescoTitel mehr Last als Lust. Den Bürgermeister plagen Geldsorgen, muss er doch jedes Jahr rund 300 000 Euro Abmangel für den Unterhalt des Archäoparks in Kauf nehmen. „Noch trägt die Bevölkerung das mit. Aber wenn es dann mal so weit kommt, dass ich zum Beispiel eine Straße nicht ausbessern kann, weil das Geld fehlt, wird die Zustimmung der Niederstotzinger zum Archäopark schwinden“, befürchtet Bremer. Dank eines potenten und sehr rührigen Fördervereins, in dem auch Firmen wie der Voith-Konzern in Heidenheim sitzen, und einer Finanzspritze des Landkreises sowie viel ehrenamtlichen Engagements kann der Betrieb noch gut aufrechterhalten werden. „Doch wenn diese Gelder wegbrechen, wird es ganz bitter“, prophezeit Bremer. Kein Verständnis zeigt er dafür, dass vom Land BadenWürttemberg keinerlei finanzielle Mittel für die laufenden Kosten zur Verfügung gestellt werden.
Das Wirtschaftsministerium hat im vergangenen Jahr zwar knapp eine Million Euro für die Welterbestätten im Land ausgegeben, davon rund 300 000 für die Höhlen und Eiszeitkunst. Mit diesem Geld werden vor allem Forschungsarbeiten, bestimmte Projekte wie zum Beispiel das Anlegen von Themenwegen im Lonetal sowie der Erhalt der Denkmäler ermöglicht. Aber: „Laufende Betriebskosten an Vermittlungsorten können aus Mitteln des Landes nicht finanziert werden“, erklärt der Pressereferent des Wirtschaftsministeriums, Marius Ritter.
Niederstotzingens Bürgermeister Bremer und Heidenheims ehemaliger Landrat Mader schütteln den Kopf. Das Land hat es bisher nicht einmal geschafft, das versprochene braune Werbeschild an der A 7 anzubringen. Nur zu gerne erinnern sie Ministerpräsident Winfried Kretschmann an das, was er nach der Verleihung des Welterbe-Titels 2017 gesagt hat: „Lassen wir uns heute offiziell als Erben in die Pflicht nehmen, den Kulturschatz zu bewahren, der Tausende Jahre überdauert hat.“Politiker wie Tourismusminister Guido Wolf kommen zwar gerne in den Archäopark, um publikumswirksam Sonderausstellungen wie jüngst im August zu eröffnen, in die Pflicht nehmen lässt sich das Land aber trotzdem nicht. Stattdessen scheinen die verschiedenen Ministerien in Stuttgart eine Art Zuständigkeits-Bingo zu spielen. „Wie soll die Bevölkerung das hier wertschätzen, wenn das Land es nicht wertschätzt?“, fragt Bürgermeister Bremer mit einem Anflug leichter Verzweiflung. Und Mader droht in der „Heidenheimer Zeitung“, dass der Förderverein den Archäopark zwar weiter unterstützen wird, „aber nur, wenn sich das Land endlich auch mit einem signifikanten Betrag beteiligt“.
Bremer nützt es wenig, dass jeder im Land Verständnis für die Situation in Niederstotzingen zeigt, wenn nichts passiert. Seiner Meinung nach ist das ganz klar „keine Frage des politischen Könnens, sondern des Wollens“. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Heuneburg in Herbertingen, die das keltische Leben in Baden-Württemberg nachzeichnet, allerdings (noch) nicht zum UnescoWelterbe zählt. Dort ist das Land in die Trägerschaft miteingestiegen, was einhergeht mit einer entsprechend starken finanziellen Unterstützung. Sehr zum Unmut der Niederstotzinger, die gar nichts dagegen hätten, wenn das Land Träger des Archäoparks werden würde.
„Die Steinzeitler werden benachteiligt“, wettert auch Gunter Schöbel, Museumsdirektor der Pfahlbauten Unteruhldingen, Professor an der Uni Tübingen und Unterwasser-Archäologe. Er legt nach: „Wenn ein Land so reich ist wie Baden-Württemberg, sollte es in den Bildungsauftrag investieren und einen Landestopf für funktional durchdachte Vermittlungsansätze schaffen.“Denn den Bildungsauftrag, der mit dem Unesco-Titel verbunden ist, schätzt er als genauso wichtig ein wie den Schutz und die Erhaltung des Welterbes, für die in erster Linie das Landesdenkmalamt zuständig ist. Es sei eine große Aufgabe, die Menschen über das Welterbe zu informieren. Und bei Schätzen, die größtenteils auf dem Grund des Boden- oder Federsees liegen, im Abraum von Höhlen versteckt sind oder aus alten Mauerresten bestehen, liegt es nahe, dafür eine Art Schaufenster wie Freilichtmuseen oder Archäoparks zu schaffen. Das entspricht dem Unesco-Auftrag, der laut Statuten explizit die Vertragsstaaten in der Pflicht sieht.
Doch die Bundesrepublik Deutschland als eigentliche Inhaberin der Unesco-Urkunde gibt die Verantwortung an die Länder weiter und die fühlen sich offenbar für viele Belange nicht zuständig. Wenn es etwa darum geht, einen Parkplatz anzulegen oder einen Klostergarten auf der Reichenau neu zu gestalten, was nach Aussage des dortigen Tourismuschefs Wehrle dringend notwendig ist und etwa eine Million Euro kostet. Er hat ähnliche Erfahrungen gemacht wie Bremer und Schöber und weiß: „Man schmückt sich gerne mit den Welterbestätten, doch vergisst dabei die Unterstützung.“Auch er ist der Meinung: Denkmalpflege allein ist viel zu wenig.