Die Stromrebellen aus dem Allgäu
Wie der Mittelständler Sonnen den deutschen Energiemarkt revolutionieren will
RAVENSBURG/WILDPOLDSRIED Christoph Ostermann schaut auf sein Handy und grinst. Die App, die ihn in Hochstimmung versetzt, zeigt diverse Balken- und Kreisdiagramme und listet eine Reihe von Prozentangaben auf. „Seit Anfang Juli bin ich mit meinem Energieverbrauch zu 90 Prozent autark“, erklärt der Chef des Energieunternehmens Sonnen aus Wildpoldsried im Allgäu. Das verrät ihm das SmartphoneProgramm, das Ostermanns Photovoltaikanlage samt Batteriespeicher in seinen eigenen vier Wänden in Wildpoldsried auswertet und Daten wie Stromproduktion, Eigenverbrauch Netzbezug und Einspeisung darstellt. Fernab der Wohnung kann Ostermann nachvollziehen, wann etwa seine Frau nach Hause kommt und das Elektroauto an die Ladestation anschließt. Im Diagramm schießt der Balken Eigenverbrauch dann in die Höhe.
Anlagen wie sie Ostermann montiert hat, mit Solarstromspeichern von Sonnen, haben inzwischen rund 30 000 deutsche Haushalte. Und jährlich werden es mehr. Mit deutlich zweistelligen Wachstumsraten legt das 2010 unter dem Namen Prosol gegründete Unternehmen beim Umsatz zu. Im vergangenen Jahr kamen 86 Millionen Euro in die Kasse. Bei Batteriespeichern ist Sonnen in Deutschland inzwischen klarer Marktführer: Ein Viertel aller Solarstromspeichersysteme kommen von den Stromrebellen aus dem Allgäu. Damit behauptet sich das Unternehmen mit seinen rund 600 Mitarbeitern deutlich vor internationalen Großkonzernen wie LG Chem aus Korea oder BYD aus China.
Eine solche Wachstumsstory bleibt naturgemäß nicht lange verborgen. Schon drei Jahre nach der Gründung hatten sich erste Finanzinvestoren am Unternehmen beteiligt – große Namen wie GE Ventures, die Wagniskapitaltochter des USKonzerns General Electric. Im Februar dieses Jahres dann die Komplettübernahme – durch Shell. Seitdem ist Sonnen eine hundertprozentige Tochter des britisch-holländischen Öl- und Gasmultis. Wie passt das zusammen?
Perfekt, sagt Ostermann. „Shell hat erkannt, dass die Zukunft der Energiebranche nicht nur im Öl und Erdgas liegt“, erklärt der SonnenMitgründer. „Der Konzern ist in der Energiewende angekommen und will Strom zu einem gleichberechtigten Geschäftsfeld aufbauen.“Da passe Sonnen gut ins Portfolio. Zudem habe sich mit der Übernahme gar nicht so viel geändert. Sonnen sei eine „nichtintegrierte Company“, könne autark agieren. „Wir kriegen definitiv keine gelben Overalls mit einer roten Muschel übergezogen“, so Ostermann.
Wie ernst es Shell mit diesem radikalen Umbau ist, machte Konzernchef Ben van Beurden jüngst noch einmal klar: „Wir wollen im Stromgeschäft richtig groß werden“, sagte der Manager im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Bis zum Jahr 2035 wolle Shell das Stromgeschäft, das bisher kaum ins Gewicht fällt, zu einer tragenden Säule ausbauen, die rund ein Drittel des gesamten Konzerngeschäfts ausmachen solle.
Nicht nur Batteriespeicher
Warum Shell gerade auf Sonnen scharf war erklärt Unternehmer Ostermann so: „Wir bieten sichere und extrem langlebige Batteriespeicher sowie intelligente Energielösungen. So differenzieren wir uns von einem reinen Speicherhersteller.“
Mit diesen intelligenten Energielösungen meint Ostermann vor allem die Sonnen-Community – die nach eigener Aussage weltweit größte Plattform für Strom-Sharing. Rund 10000 Sonnen-Kunden haben sich mit ihren Batteriespeichern auf dieser Plattform bereits vernetzt. Sonnen sorgt dafür, dass die Anlagen intelligent miteinander verknüpft sind. Genau wie beim Car-Sharing viele Menschen gemeinsam Autos nutzen, ermöglicht die Community allen Mitgliedern, ihren selbst produzierten Sonnenstrom untereinander zu teilen – und zwar unter Ausschluss der großen Energiekonzerne und zu günstigeren Preisen. Denn die Gewinnmarge der Energiekonzerne entfällt.
Praktisch sieht das so aus: Übersteigt der Energiebedarf eines Mitglieds im regnerischen Hamburg seine eigene Solarstromreserve, hilft die SonnenCommunity mit nicht benötigter sauberer Energie aus dem sonnigen München aus. Dabei wird nur überschüssige Energie verwendet, die nicht im Batteriespeicher gespeichert werden kann. Ganz umsonst ist der aus der Community bezogene Strom, wenn das Mitglied seine Photovoltaikanlage samt Batteriespeicher für ein virtuelles Kraftwerk zur Verfügung stellt. Mit diesem Heimspeicher-Pool kann Sonnen, gemeinsam mit dem Übertragungsnetzbetreiber Tennet, gezielt Schwankungen im deutschen Stromnetz ausbalancieren. Die Erlöse aus der Netzstabilisierung reicht Sonnen an seine Kunden weiter, die den Strom kostenlos beziehen können. In fünf Jahren, so Ostermann, wolle man so viele Batteriespeicher im virtuellen Kraftwerk vernetzt haben, dass Sonnen „systemrelevant“sei.
„Das Energiegeschäft der Zukunft geht weit über den reinen Stromliefervertrag hinaus“, sagt Ostermann und zeigt auf, wo er mit seinen Produkten und Dienstleistungen hin will: „Dass der Kunde schon beim Kauf einer Anlage weiß, was ihn Energie in Zukunft kostet – egal wie sich der Strompreis entwickelt.“
Aktuell amortisiere sich eine Photovoltaikanlage samt Batteriespeicher nach rund zehn Jahren. Mit dem Beitritt in die Sonnen-Community sinke die Zeitspanne um ein bis zwei Jahre, sagt Ostermann. Priorität müsse für den Privatverbraucher dabei der Eigenverbrauch haben. „Wer ins Netz einspeist bekommt elf Cent. Die Kilowattstunde Haushaltsstrom muss für durchschnittlich 30 Cent eingekauft werden. Das klingt nicht nach einem guten Geschäft“, erklärt der Sonnen-Chef und macht eine weitere Rechnung auf: Ohne Batteriespeicher lasse sich durchschnittlich 30 Prozent des erzeugten Sonnenstroms selbst nutzen. Mit Batteriespeicher steige der Anteil auf bis zu 75 Prozent.
Die Aussichten für Sonnen scheinen also intakt – vor allem nach dem am Freitag beschlossenen Klimapaket der Bundesregierung. Darin nämlich wurde der 52-Gigawatt-Deckel für die Solarförderung gekippt. Fortan werden auch über das Erreichen einer installierten Leistung von 52 Gigawatt hinaus neue Photovoltaik-Anlagen bis 750 Kilowatt gefördert.
Für den Erfolg von Sonnen ist der Standort Deutschland aber ohnehin nicht mehr allein ausschlaggebend. Längst hat das Unternehmen internationale Märkte erschlossen – Australien etwa oder die Vereinigten Staaten. Mit Shell soll das Auslandsgeschäft nun richtig Fahrt aufnehmen. „Wir haben mit Shell den denkbar besten Partner gefunden. Jetzt sind wir in die Champions-League aufgerückt“, sagt Ostermann. Der Standort Wildpoldsried soll dadurch aber nicht an Bedeutung verlieren. Im Gegenteil. „Wir planen da gerade einen ordentlichen Ausbau unserer Produktionskapazitäten“, sagt Ostermann. Die Gemeinde sei in die Pläne bereits eingeweiht. Details dazu will der Sonnen-Gründer aber noch nicht verraten.