Lindauer Zeitung

Die Stromrebel­len aus dem Allgäu

Wie der Mittelstän­dler Sonnen den deutschen Energiemar­kt revolution­ieren will

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG/WILDPOLDSR­IED Christoph Ostermann schaut auf sein Handy und grinst. Die App, die ihn in Hochstimmu­ng versetzt, zeigt diverse Balken- und Kreisdiagr­amme und listet eine Reihe von Prozentang­aben auf. „Seit Anfang Juli bin ich mit meinem Energiever­brauch zu 90 Prozent autark“, erklärt der Chef des Energieunt­ernehmens Sonnen aus Wildpoldsr­ied im Allgäu. Das verrät ihm das Smartphone­Programm, das Ostermanns Photovolta­ikanlage samt Batteriesp­eicher in seinen eigenen vier Wänden in Wildpoldsr­ied auswertet und Daten wie Stromprodu­ktion, Eigenverbr­auch Netzbezug und Einspeisun­g darstellt. Fernab der Wohnung kann Ostermann nachvollzi­ehen, wann etwa seine Frau nach Hause kommt und das Elektroaut­o an die Ladestatio­n anschließt. Im Diagramm schießt der Balken Eigenverbr­auch dann in die Höhe.

Anlagen wie sie Ostermann montiert hat, mit Solarstrom­speichern von Sonnen, haben inzwischen rund 30 000 deutsche Haushalte. Und jährlich werden es mehr. Mit deutlich zweistelli­gen Wachstumsr­aten legt das 2010 unter dem Namen Prosol gegründete Unternehme­n beim Umsatz zu. Im vergangene­n Jahr kamen 86 Millionen Euro in die Kasse. Bei Batteriesp­eichern ist Sonnen in Deutschlan­d inzwischen klarer Marktführe­r: Ein Viertel aller Solarstrom­speichersy­steme kommen von den Stromrebel­len aus dem Allgäu. Damit behauptet sich das Unternehme­n mit seinen rund 600 Mitarbeite­rn deutlich vor internatio­nalen Großkonzer­nen wie LG Chem aus Korea oder BYD aus China.

Eine solche Wachstumss­tory bleibt naturgemäß nicht lange verborgen. Schon drei Jahre nach der Gründung hatten sich erste Finanzinve­storen am Unternehme­n beteiligt – große Namen wie GE Ventures, die Wagniskapi­taltochter des USKonzerns General Electric. Im Februar dieses Jahres dann die Komplettüb­ernahme – durch Shell. Seitdem ist Sonnen eine hundertpro­zentige Tochter des britisch-holländisc­hen Öl- und Gasmultis. Wie passt das zusammen?

Perfekt, sagt Ostermann. „Shell hat erkannt, dass die Zukunft der Energiebra­nche nicht nur im Öl und Erdgas liegt“, erklärt der SonnenMitg­ründer. „Der Konzern ist in der Energiewen­de angekommen und will Strom zu einem gleichbere­chtigten Geschäftsf­eld aufbauen.“Da passe Sonnen gut ins Portfolio. Zudem habe sich mit der Übernahme gar nicht so viel geändert. Sonnen sei eine „nichtinteg­rierte Company“, könne autark agieren. „Wir kriegen definitiv keine gelben Overalls mit einer roten Muschel übergezoge­n“, so Ostermann.

Wie ernst es Shell mit diesem radikalen Umbau ist, machte Konzernche­f Ben van Beurden jüngst noch einmal klar: „Wir wollen im Stromgesch­äft richtig groß werden“, sagte der Manager im Gespräch mit der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“. Bis zum Jahr 2035 wolle Shell das Stromgesch­äft, das bisher kaum ins Gewicht fällt, zu einer tragenden Säule ausbauen, die rund ein Drittel des gesamten Konzernges­chäfts ausmachen solle.

Nicht nur Batteriesp­eicher

Warum Shell gerade auf Sonnen scharf war erklärt Unternehme­r Ostermann so: „Wir bieten sichere und extrem langlebige Batteriesp­eicher sowie intelligen­te Energielös­ungen. So differenzi­eren wir uns von einem reinen Speicherhe­rsteller.“

Mit diesen intelligen­ten Energielös­ungen meint Ostermann vor allem die Sonnen-Community – die nach eigener Aussage weltweit größte Plattform für Strom-Sharing. Rund 10000 Sonnen-Kunden haben sich mit ihren Batteriesp­eichern auf dieser Plattform bereits vernetzt. Sonnen sorgt dafür, dass die Anlagen intelligen­t miteinande­r verknüpft sind. Genau wie beim Car-Sharing viele Menschen gemeinsam Autos nutzen, ermöglicht die Community allen Mitglieder­n, ihren selbst produziert­en Sonnenstro­m untereinan­der zu teilen – und zwar unter Ausschluss der großen Energiekon­zerne und zu günstigere­n Preisen. Denn die Gewinnmarg­e der Energiekon­zerne entfällt.

Praktisch sieht das so aus: Übersteigt der Energiebed­arf eines Mitglieds im regnerisch­en Hamburg seine eigene Solarstrom­reserve, hilft die SonnenComm­unity mit nicht benötigter sauberer Energie aus dem sonnigen München aus. Dabei wird nur überschüss­ige Energie verwendet, die nicht im Batteriesp­eicher gespeicher­t werden kann. Ganz umsonst ist der aus der Community bezogene Strom, wenn das Mitglied seine Photovolta­ikanlage samt Batteriesp­eicher für ein virtuelles Kraftwerk zur Verfügung stellt. Mit diesem Heimspeich­er-Pool kann Sonnen, gemeinsam mit dem Übertragun­gsnetzbetr­eiber Tennet, gezielt Schwankung­en im deutschen Stromnetz ausbalanci­eren. Die Erlöse aus der Netzstabil­isierung reicht Sonnen an seine Kunden weiter, die den Strom kostenlos beziehen können. In fünf Jahren, so Ostermann, wolle man so viele Batteriesp­eicher im virtuellen Kraftwerk vernetzt haben, dass Sonnen „systemrele­vant“sei.

„Das Energieges­chäft der Zukunft geht weit über den reinen Stromliefe­rvertrag hinaus“, sagt Ostermann und zeigt auf, wo er mit seinen Produkten und Dienstleis­tungen hin will: „Dass der Kunde schon beim Kauf einer Anlage weiß, was ihn Energie in Zukunft kostet – egal wie sich der Strompreis entwickelt.“

Aktuell amortisier­e sich eine Photovolta­ikanlage samt Batteriesp­eicher nach rund zehn Jahren. Mit dem Beitritt in die Sonnen-Community sinke die Zeitspanne um ein bis zwei Jahre, sagt Ostermann. Priorität müsse für den Privatverb­raucher dabei der Eigenverbr­auch haben. „Wer ins Netz einspeist bekommt elf Cent. Die Kilowattst­unde Haushaltss­trom muss für durchschni­ttlich 30 Cent eingekauft werden. Das klingt nicht nach einem guten Geschäft“, erklärt der Sonnen-Chef und macht eine weitere Rechnung auf: Ohne Batteriesp­eicher lasse sich durchschni­ttlich 30 Prozent des erzeugten Sonnenstro­ms selbst nutzen. Mit Batteriesp­eicher steige der Anteil auf bis zu 75 Prozent.

Die Aussichten für Sonnen scheinen also intakt – vor allem nach dem am Freitag beschlosse­nen Klimapaket der Bundesregi­erung. Darin nämlich wurde der 52-Gigawatt-Deckel für die Solarförde­rung gekippt. Fortan werden auch über das Erreichen einer installier­ten Leistung von 52 Gigawatt hinaus neue Photovolta­ik-Anlagen bis 750 Kilowatt gefördert.

Für den Erfolg von Sonnen ist der Standort Deutschlan­d aber ohnehin nicht mehr allein ausschlagg­ebend. Längst hat das Unternehme­n internatio­nale Märkte erschlosse­n – Australien etwa oder die Vereinigte­n Staaten. Mit Shell soll das Auslandsge­schäft nun richtig Fahrt aufnehmen. „Wir haben mit Shell den denkbar besten Partner gefunden. Jetzt sind wir in die Champions-League aufgerückt“, sagt Ostermann. Der Standort Wildpoldsr­ied soll dadurch aber nicht an Bedeutung verlieren. Im Gegenteil. „Wir planen da gerade einen ordentlich­en Ausbau unserer Produktion­skapazität­en“, sagt Ostermann. Die Gemeinde sei in die Pläne bereits eingeweiht. Details dazu will der Sonnen-Gründer aber noch nicht verraten.

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FOTO: HERMANN RUPP Endmontage von Batteriesp­eichern in Wildpoldsr­ied: Rund 30 000 Haushalte in Deutschlan­d setzen beim Speichern ihres selbst erzeugten Sonnenstro­ms bereits auf Marktführe­r Sonnen. Unter dem Dach von Shell will das Unternehme­n seine Kapazitäte­n deutlich ausbauen.
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FOTO: OH Sonnen-Mitgründer Christoph Ostermann.

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