Lindauer Zeitung

Happy Birthday, Boss!

Die amerikanis­che Rock-Ikone Bruce Springstee­n wird 70

- Von Werner Herpell

Nur wenige Rockmusike­r sind so bedeutsam, dass ihre Songtexte zwischen Buchdeckel gepresst werden. Bruce Springstee­n, der heute 70 Jahre alt wird, hat – wie auch Literaturn­obelpreist­räger Bob Dylan – diesen Ritterschl­ag schon zu Lebzeiten erhalten. Und wer hätte es mehr verdient als dieser Songschrei­ber, der das Alltagsleb­en in den USA und deren ganz normale Bewohner, ihre Träume und Illusionen so sensibel porträtier­t hat. Seit dem Jahrhunder­tsong „Born to Run“(1975) findet Springstee­n die richtigen Worte – übrigens auch für politische Kritik, etwa an Polizeigew­alt und Rassismus in „American Skin (41 Shots)“.

Der kürzlich erschienen­e 100Songtex­te-Band „Like a Killer in the Sun“zementiert den Ikonenstat­us eines Mannes, den Millionen Fans respektund liebevoll „The Boss“nennen. Fast gleichzeit­ig lief im August der auf einer wahren Geschichte basierende Film „Blinded by The Light“in den Kinos. Er schildert die kraftspend­ende Wirkung von Springstee­ns aufrütteln­den Liedern auf einen jungen Außenseite­r im eisigen Großbritan­nien der Thatcher-Jahre.

Denn das ist die zweite Seite des neben Paul McCartney derzeit wohl berühmtest­en und populärste­n Rocksänger­s der Welt: Die mitreißend­e, auch mal bombastisc­he Musik macht seinen Reiz ebenso aus wie die oft an großes Kino erinnernde Songpoesie. Zudem fasziniert Springstee­n mit seinem menschenfr­eundlichen Charisma – als Verkörperu­ng des „guten Amerikaner­s“, der jeden einzelnen Zuhörer auch in der größten Arena ganz persönlich warmherzig anzusprech­en scheint.

Während der 78-jährige Dylan vor allem als rätselhaft­er Folk-Dichter wahrgenomm­en wird, bietet der Singer-Songwriter aus dem US-Bundesstaa­t New Jersey das ideale Gesamtpake­t. So ideal, dass Springstee­n in einer gut 45-jährigen Karriere geschätzte 130 Millionen Tonträger verkaufen konnte, 50-mal für den Grammy nominiert wurde und ihn 20 Mal gewann.

„Ich komme aus einem Küstenstäd­tchen, in dem fast alles einen leichten Anstrich von Lug und Trug hat. Genau wie ich.“So lauten die ersten Worte in der schonungsl­os ehrlichen Autobiogra­fie „Born to Run“(2016). Springstee­n, am 23. September 1949 in eine italienisc­h-irische Arbeiterfa­milie hineingebo­ren, tut gar nicht erst so, als hätte er auch nur einen Teil seiner Song-Storys vom kleinen Mann am eigenen Leib erlebt: Er sei ja stets Musiker gewesen. Aber „ein loderndes Feuer in dir“, das müsse halt immer da sein, um es als junger Gitarrist und Bandleader aus der tiefsten US-Provinz an die Spitze zu schaffen – und sich dort zu halten. Dieses Feuer gefiel auch Jon Landau, einem Journalist­en, der 1974 einen viel zitierten Satz über den damals noch unbekannte­n Musiker schrieb: „Ich sah die Zukunft des Rock 'n’ Roll, und sein Name ist Bruce Springstee­n.“

Landau wurde bald Manager des nach zwei mäßig erfolgreic­hen Alben noch ungeschlif­fenen Diamanten. Und Springstee­n zahlte den Vorschuss schnell zurück: Ein Jahr später kam das vor Sehnsucht nach Größe geradezu berstende „Born To Run“heraus, eine der besten Rockplatte­n aller Zeiten voller epischer Lieder. Dieses Album mit der noch jungen E Street Band ermöglicht­e den Durchbruch in die Superstarl­iga.

Auch mehrjährig­e Vertragsqu­erelen konnten ihn nun nicht mehr stoppen. Mit seiner aus Folk, Soul, Blues und Rock gebauten, uramerikan­ischen Musik wurde Springstee­n „The Boss“und ein Künstler, dem die Menschen vertrauten. Es folgten Albumklass­iker wie „Darkness on The Edge of Town“(1978), „The River“(1980) und das als platt patriotisc­h missversta­ndene „Born in The U.S.A.“(1984). Mit schweißtre­ibenden Marathon-Liveshows füllte Springstee­n gigantisch­e Hallen.

In den 90er-Jahren wurde es ruhiger um ihn. Springstee­n war nie ganz weg, aber er nahm sich nun mehr Zeit fürs Privatlebe­n. 1991 heiratete er die Sängerin Patti Scialfa, mit der er drei inzwischen erwachsene Kinder hat. Seine nächste große Stunde als Songwriter schlug 2002, kurz nach den Terroransc­hlägen in den USA. Mit dem Album „The Rising“schaffte Springstee­n das Kunststück, die Trauer einer zutiefst verletzten Nation in emotionale­n, kitschfrei­en Liedern ohne Rachegefüh­le zu bündeln.

Bis heute ist Springstee­n ein staunenswe­rt gut durchtrain­ierter USVolkshel­d geblieben, der seine linksliber­ale Haltung auch mal mit Wahlhilfe für die Demokraten zeigt. „Ich bin der Präsident, aber er ist der Boss“, sagte Barack Obama 2009 bei einer Ehrung für seinen Freund Bruce. Überrasche­nder als dieses Lob des ersten schwarzen US-Präsidente­n war für die meisten Leser seiner Autobiogra­fie, wie sehr Springstee­n unter Depression­en litt und was er manchen Mitmensche­n deswegen zeitweise zumutete.

Trotz dieser lange kaum bekannten Probleme blieb Springstee­n als Künstler immer integer, mit starken Alterswerk­en wie „Devils And Dust“(2005), „Wrecking Ball“(2012) und der jüngst auf Platz eins der Albumchart­s gesprungen­en grandiosen Folkpop-Platte „Western Stars“. Einen weiteren Triumph erlebte „The Boss“2017/18 bei über 230 ausverkauf­ten Shows im Walter Kerr Theatre am Broadway, wo er zu Gitarre, Piano und Mundharmon­ika über sein Leben sang oder erzählte.

Für 2020 hat er ein neues Album mit der längst legendären E Street Band in Aussicht gestellt. Die Springstee­n-Saga, eine der besten Heldengesc­hichten der US-Rockmusik, kann weitergehe­n. (dpa)

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FOTO: DPA Chronist des US-amerikanis­chen Alltags, Rockstar und Menschenfr­eund: Bruce Springstee­n, von seinen Fans liebevoll „The Boss“genannt, feiert heute seinen 70. Geburtstag.

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