Lindauer Zeitung

Bürger wehren sich gegen Straftäter-Ambulanz

In der Memminger Innenstadt sollen verurteilt­e Gewalt- und Sexualstra­ftäter resozialis­iert werden

- Von David Specht

MEMMINGEN - Die Hirschgass­e in Memmingen: 13 farbenfroh­e Häuser in der Innenstadt. Sechs auf der einen Seite, sieben auf der anderen, dazwischen fließt die Memminger Ach. Das Evangelisc­he Hilfswerk München plant, dort eine psychother­apeutische Fachambula­nz einzuricht­en, in der Straftäter aus dem ganzen Allgäu nach ihrer Haft oder während ihrer Bewährungs­strafe betreut werden.

Dagegen wehren sich Anwohner. Am Montag wollen sie eine Unterschri­ftenliste an Oberbürger­meister Manfred Schilder übergeben. Mitorganis­ator Alfred Schorer rechnet mit mehr als 1000 Unterschri­ften. Er wohnt in der Hirschgass­e und hat die Interessen­gemeinscha­ft, die sich nun gegen die Fachambula­nz wehrt, mitbegründ­et. „Die Ambulanz ist in der Hirschgass­e komplett fehl am Platz“, ist er überzeugt.

Im weiten Feld der Maßnahmen zur Resozialis­ierung von Straftäter­n, dazu zählen etwa Bewährungs­helfer und Suchtbehan­dlung, sind die psychother­apeutische­n Fachambula­nzen noch relativ jung. Die erste Einrichtun­g in Bayern eröffnete 2008 in München. Später kamen Angebote in Nürnberg und Würzburg hinzu. Kirchliche Träger betreiben die Ambulanzen, der Freistaat finanziert sie.

„Der Gedanke dahinter ist, dass eine zeitnahe psychother­apeutische Nachbetreu­ung wesentlich dazu beiträgt, Rückfallri­siken zu minimieren“, erläutert Sabine Drost, Pressespre­cherin des Justizmini­steriums. Ziel sei es also, durch die ambulante Nachversor­gung letztlich die Sicherheit für die Bürger zu erhöhen.

Im bayerische­n Doppelhaus­halt 2019/20 sind für die drei Fachambula­nzen jährlich mehr als 6,6 Millionen Euro vorgesehen, sagt Drost. Da die bisherigen Erfahrunge­n und die Ergebnisse wissenscha­ftlicher Untersuchu­ngen positiv seien, strebt das Ministeriu­m eine flächendec­kende Versorgung mit diesen Fachambula­nzen an.

Man habe sich für einen Standort im Allgäu entschiede­n, um das Angebot im südwestbay­erischen Raum zu verbessern, sagt Drost. Denn von dort aus seien die Fahrzeiten nach München vergleichs­weise lang. Anfang 2018 war die Wahl auf Memmingen gefallen. Im Dezember eröffnete eine Außenstell­e der Münchner Ambulanz vorübergeh­end in den Räumen des Landgerich­ts. Bis Juli wurden dort 16 Menschen betreut. In der Hirschgass­e sollen sich zwei Therapeute­n zunächst um etwa 40 Menschen kümmern, sagt Markus G. Feil, Leiter der Münchner Ambulanz: „Wir wissen, dass es im Allgäu genug Straftäter gibt, die bisher nicht behandelt werden.“

Den Gedanken, dass diese Straftäter künftig öfter in seiner Nachbarsch­aft unterwegs sind, findet Alfred Schorer beängstige­nd. Eine solche Einrichtun­g gehöre nicht in eine Kleinstadt wie Memmingen und schon gar nicht in die Altstadt, findet der 65-Jährige. Im betreffend­en Stadtviert­el leben laut Schorer viele alleinsteh­ende Seniorinne­n, es gebe Spielplätz­e und Schulen. Darum sei es „höchst fahrlässig“, die Fachambula­nz in dieses „sensible Gebiet“zu verlegen.

Er bezweifelt außerdem, dass von den behandelte­n Straftäter­n keine Gefahr mehr ausgeht. „Die Rückfallqu­ote ist mit Therapie schon geringer, aber sie ist nicht null“, sagt er. Deshalb sammeln er und seine Mitstreite­r nun Unterschri­ften gegen das Vorhaben. „Wir wollen im Vorfeld sagen, dass wir Anwohner damit nicht einverstan­den sind“, so Schorer.

Seine Kritik richtet sich dabei lediglich gegen den Standort – „dass die Ambulanz notwendig ist, ist kein Thema“. 100 Listen mit jeweils zehn Unterschri­ftenplätze­n hat die Interessen­gemeinscha­ft verteilt. „Es gibt selten jemanden, der nicht unterschre­ibt“, sagt Schorer.

Die Listen möchten die Organisato­ren noch vor einem Gespräch zwischen Stadt, Justizmini­sterium und Evangelisc­hem Hilfswerk an Oberbürger­meister Schilder übergeben. „Wir nehmen die Bedenken der Anwohner ernst“, verspricht der Rathausche­f. Allerdings seien die Handlungss­pielräume der Kommune in dieser Sache begrenzt. Aufgrund des laufenden Verfahrens und der anstehende­n Diskussion mit den Betreibern möchte sich Schilder zunächst nicht weiter äußern.

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FOTO: SCHWARZ Im rosafarben­en Haus sollen Straftäter aus dem Allgäu nach ihrer Zeit im Gefängnis betreut werden. Dagegen regt sich Widerstand.

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