Friedrichshafen kann auch Open Air
Gute Stimmung beim perfekt organisierten FAB-Festival
FRIEDRICHSHAFEN - Friedrichshafen kann auch Open Air. Das ist das Fazit des FAB-Festivals im Fallenbrunnen. Auch wenn geschätzte 300 Besucher für acht Bands auf drei Bühnen freilich viel zu wenig waren.
Offenbar ist das Kulturhaus Caserne noch nicht in den Köpfen angekommen. Denn dass es noch an Publikumsresonanz fehlt, liegt weder an der Atmosphäre des Orts noch an den Organisationskünsten des Teams oder an der Güteklasse des Programms des FAB-Festivals. Die beiden prominentesten Stars bringen es auf den Punkt: „Das ist ein echtes Kleinod, das ihr hier habt“, sagt die Singer-Songwriterin Sarah Straub bei ihrem Auftritt über das Kulturhaus-Areal. Und Josh, der im Innenhof spielt, ist hin und weg von der herzlichen Betreuung durch die Organisatoren.
Eine Stunde lang zeigt der Wiener Sänger auf der neuen Open-Air-Festivalbühne, dass er viel mehr drauf hat als seinen Hit „Cordula Grün“. Stimmlich könnte Josh mit seiner rauen Röhre bei der Wiener Konkurrenzband Wanda einspringen, wenn ihn die Muse nicht mehr küsst. Allerdings ist er viel sympathischer, und in seinen Ansagen sitzt das Herz gleich neben dem Schmäh. „Einmal am Abend“, sagt er, „wird’s bei mir richtig emotional. Weil ich das so will und weil ich das so brauch’.“Daraufhin singt er eine Liebeserklärung, die so lässig nur ein Wiener hinkriegt: „Du bist die Einzige, die jeden Scheiß von mir wirklich weiß.“Josh auf der Bühne, das bedeutet aus allen Rohren gefeuerte Mitsing-Refrains und Rhythmen, die nicht unbedingt subtil sind. Aber da sind eben auch Songzeilen, bei denen man so richtig grinsen muss. Wie bei der Liebeserklärung Nummer zwei, die alle Konkurrenten locker aussticht: „Scheiß auf Klaus und scheiß auf Werner, ich hab’ di doch a bisserl gerner.“
Rohdiamant engagiert
Im Hof riecht’s nach Pizza und im Amicus raucht der Rock ’n’ Roll. Das deutsch-mexikanische Quartett Tom Allan and The Strangest wirkt, wie man sich die wildesten Träume junger Typen vorstellt: Breitbeinig gespielte Gitarren, giftige Substanzen, die die Blutwerte versauen und eine Lautstärke, die an Körperverletzung grenzt. Die Coolness des kaputten und des unausgeschlafenen Nölens ins Mikrofon trifft auf Gitarrengewitter, die an ein kaputtes Getriebe erinnern. Wer wildes Haar hat, schüttelt es und genießt es.
Der Kontrast zu Phil Siemers und seiner Band könnte nicht größer sein. Wie aus dem Ei gepellt steht der Sänger und Gitarrist im Casino auf der Bühne und wirkt mit seinem angejazzten Blue Eyed Soul recht gelackt. Smart und sophisticated kommt das Ganze rüber, und es bleibt stets im gleichen Schlafzimmertempo, über das Siemers seine nasale Stimme legt. Das könnte sexy wirken, würde der Sexappeal nicht in Eleganz ersticken. Zwischendurch deshalb geschmackvoller Applaus für geschmackvolle Musik.
Ganz anders Sarah Straub, die ebenfalls im Casino ganz allein vor einem Keyboard sitzt, aber aus der Mitte ihres Herzens musiziert. Die promovierte Psychologin mit der roten Mähne hat ihre Seele an die altgedienten Liedermacher wie Reinhard Mey und Konstantin Wecker verloren – mit Letzterem tourt sie derzeit durchs Land. Und im Casino singt sie seine Lieder, „als wären sie meine eigenen“. Hell, glockenklar und wunderschön intoniert sie Wecker-Hymnen und nimmt ihnen so Weckers Testosteron. Nicht aufrüttelnd, sondern eindringlich präsentiert sie eine seiner Revoluzzer-Hymnen: „Empört euch, beschwert euch und wehrt euch, es ist nie zu spät!“Lieblicher hat man Rio Reisers Liebesleid-Lied „Junimond“noch nie gehört, und der ganze Saal singt mit. Dass man den perfekten Ansagen Sarah Straubs anfangs ein wenig misstraute, weil sie an die werbende Freundlichkeit einer Fernsehmoderatorin erinnern – geschenkt. Die 33-Jährige eroberte ihr Publikum spielend.
Ebenso wie im Amicus Neon Diamond aus Ravensburg. Die Jungspunde um Sänger Marlon Knitz machen jeden Song zu einer Entdeckungsfahrt in unentdeckte Welten der Popmusik. Eine surreale Atmosphäre entsteigt ihren Melodien, die sich auf Reisen abseits der Eingängigkeit begeben. „Was siehst du, wenn du in den Himmel schaust? Ich seh’ Leere. Du siehst Sterne“, formuliert Marlon Knitz in einem für alles offenen Sprechgesang. Neon Diamond hört man ebenso fasziniert zu wie damals Genesis Anfang der 70erJahre. Auch mit Midnight Mission aus Tettnang wurde ein Rohdiamant engagiert, den man besser nicht auf Hochglanz schleift. Die junge Kerle krempeln die Ärmel hoch und verbinden Neurose mit Schmackes und herzlichem Gemüt. Die Indie-Disco von Bloc Party, der zeitlose Schrammel-Charme der Go-Betweens, The Cure in deren selten gut gelaunten Momenten – all das bündeln Midnight Mission zu einem eigenständigen Ganzen.
Paradiesvögel sind zuletzt Nosoyo auf der Open-Air-Bühne. Donata an Mikro und Gitarre sowie Daim am Stehschlagzeug lieben das Pathos, die Urwüchsigkeit und die Weite. Gewaltig ist die Soundkulisse, die diese beiden Menschlein basteln. Wuchtig-archaische Beats, schwellende Gesänge, sägende Gitarrenmotive – irgendwo zwischen den White Stripes, P.J. Harvey und Gossip finden Nosoyo ihre berauschende Nische, in der die neu gewonnenen Fans wie in Trance tanzen.
Und nächstes Jahr? Gibt es hoffentlich wieder ein FAB-Festival. Aber mit bitte nicht weniger als 900 Besuchern.