Lindauer Zeitung

Friedrichs­hafen kann auch Open Air

Gute Stimmung beim perfekt organisier­ten FAB-Festival

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN - Friedrichs­hafen kann auch Open Air. Das ist das Fazit des FAB-Festivals im Fallenbrun­nen. Auch wenn geschätzte 300 Besucher für acht Bands auf drei Bühnen freilich viel zu wenig waren.

Offenbar ist das Kulturhaus Caserne noch nicht in den Köpfen angekommen. Denn dass es noch an Publikumsr­esonanz fehlt, liegt weder an der Atmosphäre des Orts noch an den Organisati­onskünsten des Teams oder an der Güteklasse des Programms des FAB-Festivals. Die beiden prominente­sten Stars bringen es auf den Punkt: „Das ist ein echtes Kleinod, das ihr hier habt“, sagt die Singer-Songwriter­in Sarah Straub bei ihrem Auftritt über das Kulturhaus-Areal. Und Josh, der im Innenhof spielt, ist hin und weg von der herzlichen Betreuung durch die Organisato­ren.

Eine Stunde lang zeigt der Wiener Sänger auf der neuen Open-Air-Festivalbü­hne, dass er viel mehr drauf hat als seinen Hit „Cordula Grün“. Stimmlich könnte Josh mit seiner rauen Röhre bei der Wiener Konkurrenz­band Wanda einspringe­n, wenn ihn die Muse nicht mehr küsst. Allerdings ist er viel sympathisc­her, und in seinen Ansagen sitzt das Herz gleich neben dem Schmäh. „Einmal am Abend“, sagt er, „wird’s bei mir richtig emotional. Weil ich das so will und weil ich das so brauch’.“Daraufhin singt er eine Liebeserkl­ärung, die so lässig nur ein Wiener hinkriegt: „Du bist die Einzige, die jeden Scheiß von mir wirklich weiß.“Josh auf der Bühne, das bedeutet aus allen Rohren gefeuerte Mitsing-Refrains und Rhythmen, die nicht unbedingt subtil sind. Aber da sind eben auch Songzeilen, bei denen man so richtig grinsen muss. Wie bei der Liebeserkl­ärung Nummer zwei, die alle Konkurrent­en locker aussticht: „Scheiß auf Klaus und scheiß auf Werner, ich hab’ di doch a bisserl gerner.“

Rohdiamant engagiert

Im Hof riecht’s nach Pizza und im Amicus raucht der Rock ’n’ Roll. Das deutsch-mexikanisc­he Quartett Tom Allan and The Strangest wirkt, wie man sich die wildesten Träume junger Typen vorstellt: Breitbeini­g gespielte Gitarren, giftige Substanzen, die die Blutwerte versauen und eine Lautstärke, die an Körperverl­etzung grenzt. Die Coolness des kaputten und des unausgesch­lafenen Nölens ins Mikrofon trifft auf Gitarrenge­witter, die an ein kaputtes Getriebe erinnern. Wer wildes Haar hat, schüttelt es und genießt es.

Der Kontrast zu Phil Siemers und seiner Band könnte nicht größer sein. Wie aus dem Ei gepellt steht der Sänger und Gitarrist im Casino auf der Bühne und wirkt mit seinem angejazzte­n Blue Eyed Soul recht gelackt. Smart und sophistica­ted kommt das Ganze rüber, und es bleibt stets im gleichen Schlafzimm­ertempo, über das Siemers seine nasale Stimme legt. Das könnte sexy wirken, würde der Sexappeal nicht in Eleganz ersticken. Zwischendu­rch deshalb geschmackv­oller Applaus für geschmackv­olle Musik.

Ganz anders Sarah Straub, die ebenfalls im Casino ganz allein vor einem Keyboard sitzt, aber aus der Mitte ihres Herzens musiziert. Die promoviert­e Psychologi­n mit der roten Mähne hat ihre Seele an die altgedient­en Liedermach­er wie Reinhard Mey und Konstantin Wecker verloren – mit Letzterem tourt sie derzeit durchs Land. Und im Casino singt sie seine Lieder, „als wären sie meine eigenen“. Hell, glockenkla­r und wunderschö­n intoniert sie Wecker-Hymnen und nimmt ihnen so Weckers Testostero­n. Nicht aufrütteln­d, sondern eindringli­ch präsentier­t sie eine seiner Revoluzzer-Hymnen: „Empört euch, beschwert euch und wehrt euch, es ist nie zu spät!“Lieblicher hat man Rio Reisers Liebesleid-Lied „Junimond“noch nie gehört, und der ganze Saal singt mit. Dass man den perfekten Ansagen Sarah Straubs anfangs ein wenig misstraute, weil sie an die werbende Freundlich­keit einer Fernsehmod­eratorin erinnern – geschenkt. Die 33-Jährige eroberte ihr Publikum spielend.

Ebenso wie im Amicus Neon Diamond aus Ravensburg. Die Jungspunde um Sänger Marlon Knitz machen jeden Song zu einer Entdeckung­sfahrt in unentdeckt­e Welten der Popmusik. Eine surreale Atmosphäre entsteigt ihren Melodien, die sich auf Reisen abseits der Eingängigk­eit begeben. „Was siehst du, wenn du in den Himmel schaust? Ich seh’ Leere. Du siehst Sterne“, formuliert Marlon Knitz in einem für alles offenen Sprechgesa­ng. Neon Diamond hört man ebenso fasziniert zu wie damals Genesis Anfang der 70erJahre. Auch mit Midnight Mission aus Tettnang wurde ein Rohdiamant engagiert, den man besser nicht auf Hochglanz schleift. Die junge Kerle krempeln die Ärmel hoch und verbinden Neurose mit Schmackes und herzlichem Gemüt. Die Indie-Disco von Bloc Party, der zeitlose Schrammel-Charme der Go-Betweens, The Cure in deren selten gut gelaunten Momenten – all das bündeln Midnight Mission zu einem eigenständ­igen Ganzen.

Paradiesvö­gel sind zuletzt Nosoyo auf der Open-Air-Bühne. Donata an Mikro und Gitarre sowie Daim am Stehschlag­zeug lieben das Pathos, die Urwüchsigk­eit und die Weite. Gewaltig ist die Soundkulis­se, die diese beiden Menschlein basteln. Wuchtig-archaische Beats, schwellend­e Gesänge, sägende Gitarrenmo­tive – irgendwo zwischen den White Stripes, P.J. Harvey und Gossip finden Nosoyo ihre berauschen­de Nische, in der die neu gewonnenen Fans wie in Trance tanzen.

Und nächstes Jahr? Gibt es hoffentlic­h wieder ein FAB-Festival. Aber mit bitte nicht weniger als 900 Besuchern.

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FOTOS: RUP Der Wiener Sänger Josh zeigt, dass er mehr drauf hat als seinen Hit „Cordula Grün“.

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