Lindauer Zeitung

Ein Wettlauf gegen die Zeit

Die Schäden von Zyklon „Idai“in Mosambik sind sechs Monate später noch deutlich sichtbar – jetzt droht eine Nahrungsmi­ttelkrise

- Von Gioia Forster

BEIRA (dpa) - Die Natur hat das Leben von Joao Deluis zweimal verwüstet. Erst mussten er und seine Familie ihr Zuhause verlassen, weil es überschwem­mt wurde. Am Rande von Beira, einer Großstadt an der Küste von Mosambik, wurden sie auf ein Stück Land umgesiedel­t. Dort, auf staubtrock­ener Erde, begannen sie und ein paar Dutzend andere Familien, ihr Leben neu aufzubauen. Dann kam Zyklon „Idai“.

„Er hat alles zerstört, was wir uns hier aufgebaut hatten“, erinnert sich der 31-Jährige sechs Monate nach der Naturkatas­trophe. Er, seine Frau und zwei Kinder leben wieder in einem Zelt. Ihre Habseligke­iten füllen den kleinen Raum; heiß und schwül ist es in der prallen Sonne unter der Plastikpla­ne. Doch das Schlimmste war der Verlust dessen, was die Familie ernährt: ihre Feldfrücht­e. Denn der Wirbelstur­m traf in der Nacht zum 15. März auf Land – kurz vor der Erntezeit. Deluis seufzt: „Wir haben alles verloren.“

Drei Millionen betroffen

So ergeht es auch Zehntausen­den anderen. Rund drei Millionen Menschen waren in Mosambik, Simbabwe und Malawi im Südosten Afrikas von dem Wirbelstur­m betroffen, mehr als 600 Menschen starben. Kurze Zeit später traf zudem ein zweiter Zyklon, „Kenneth“, auf den Norden Mosambiks. Heute sind die Folgen noch immer spürbar. Denn die meisten Betroffene­n sind Kleinbauer­n, der Verlust der Ernte traf sie schwer. Zwischen April und September dürften etwa 1,6 Millionen Mosambikan­er nicht genug zu essen haben, schätzt IPC, eine Initiative der UN und mehrerer Organisati­onen. Dazu gehören nicht nur Betroffene vom Zyklon „Idai“im Zentrum des Landes, sondern auch die von der Dürre im Süden und Zyklon „Kenneth“im Norden.

„Idai“setzte auch die Zukunft der Menschen aufs Spiel. Denn er zerstörte das Saatgut für die nächste Ernte. So könnte die Lage bald noch dramatisch­er werden: Zwischen Oktober und Februar könnte laut IPC die Zahl der darbenden Menschen auf 1,9 Millionen steigen. Eine Nahrungsmi­ttelkrise sei nicht auszuschli­eßen, meint Angel Vazquez vom Internatio­nalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).

Das ganze Ausmaß der Zerstörung von „Idai“ist heute in der großen 500 000-Einwohner-Stadt Beira nur noch zu erahnen. Auf den weißen Stränden liegen umgekippte Bäume, ihre Wurzeln ragen wie Tentakel einer Krake in die Luft. In einer Schule in Dondo außerhalb von Beira sitzen Kinder noch in Plastikzel­ten, weil in ihren Klassenzim­mern die harte Mittagsson­ne durch die kaputten Dächer auf die Schulbänke knallt. Dahinter liegen die Latrinen der Schule in Trümmern, Helfer der Organisati­on CARE hämmern vor sich hin, um neue zu bauen.

Sturm, Regen, Wind

Für einige war das Schlimmste der Wind. Er warf Bäume um und blies die Dächer der Häuser ab, oftmals einfache Blechdäche­r, die für die meisten Menschen zu teuer zu ersetzen sind. Für andere war es der Regen, der tagelang unerbittli­ch auf sie herabprass­elte und die einfachen Hütten aus Stroh und Schlamm auflöste.

Für Luisa José dagegen war das vom Meer herüberges­chwemmte Salzwasser verheerend. Es setzte ihr Feld unter Wasser und erstickte den Reis. „Alle Pflanzen wurden zerstört“, sagt die 70-Jährige mit gerunzelte­r Stirn. Sie und andere Frauen, die sich in einem Gemeindeze­ntrum in ihrem Viertel von Beira versammelt haben, erklären, dass durch das Wasser auch ihre Vorräte an Saatgut komplett zunichtege­macht worden seien. „Wir haben nichts zu pflanzen“, sagt Helena Augusto, ihr drei Wochen altes Baby eingewicke­lt in einem bunten Tuch auf ihrem Arm.

Einige Menschen können demnächst auf eine kleine Ernte hoffen, noch im September und auch im Oktober. Direkt nach dem Zyklon sind Helfer ausgeschwä­rmt, um an betroffene Bauern Saatgut zu verteilen, damit sie vor der Trockenzei­t noch schnell etwas pflanzen können. „Es war ein Rennen, nicht nur gegen die Zeit, sondern gegen alle Widrigkeit­en“, erinnert sich Vazquez vom IKRK.

Einige Gebiete standen damals komplett unter Wasser und waren nur per Boot oder Helikopter erreichbar, andere lagen unter einer meterdicke­n Schlammsch­icht begraben. Nicht nur die Ernten, sondern das komplette Land war zerstört. Das IKRK habe Samen von Mais, Bohnen und Sorghum sowie Pflanzenma­terial von Süßkartoff­eln an rund 21 000 Familien verteilt, sagt Vazquez. „Sollte die kommende Ernte ausfallen, haben wir eine Bevölkerun­g, der eine Nahrungsmi­ttelunsich­erheit droht.“

„Fünfzig Prozent der Bewohner von Beira sind noch immer auf die eine oder andere Art vom Zyklon betroffen.“

Bonissa Sitole, Leiter für Landwirtsc­haft bei der Verwaltung

Einige Kleinbauer­n kamen aus eigener Kraft wieder auf die Beine. Charles Grimo gehört dazu. Er baute neben Reis auch Salat, Kohl und andere Gemüsesort­en an. Seine Ernte sei zwar komplett durch den Zyklon zerstört worden, sagt der 44-Jährige und blickt auf sein Feld. Doch das Gemüse wachse schneller als Reis, Mais und Süßkartoff­eln. Und es könne mit etwas Wasser aus dem Brunnen auch während der Trockenzei­t wachsen, meint er.

Bei vielen anderen schaut das anders aus. „Fünfzig Prozent der Bewohner von Beira sind noch immer auf die eine oder andere Art vom Zyklon betroffen“, erklärt der Leiter für Landwirtsc­haft bei der Bezirksver­waltung, Bonissa Sitole.

Aber nicht nur in Beira, sondern auch in anderen Regionen hat es schlimme Auswirkung­en gegeben. In den anderen betroffene­n Regionen sieht es ganz ähnlich aus. Die UNLandwirt­schaftsorg­anisation FAO hat bereits begonnen, für die nächste Ernte Saatgut und Werkzeuge an etwa 11 000 Familien zu verteilen.

Auch CARE plant demnächst, zusammen mit anderen Organisati­onen Tausende Familien mit Samen zu versorgen. Der erste echte Lichtblick liegt aber noch weit weg – die nächste große Ernte im kommenden Frühjahr.

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FOTOS (3): DPA
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Immer noch leben viele in diesem provisoris­chen Zeltlager bei Beira. Charles Grimo (re.) kann sich mit etwas Gemüseanba­u über Wasser halten.
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Helena Augusto steht mit ihrem drei Wochen alten Baby auf dem Arm vor ihrem Haus. Sie ist eine von Zehntausen­den, die alles verloren haben.

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