„Die Schuld werden Sie nie mehr los“
Prozess Jahnstraße: Landgericht verurteilt Angeklagte zu zwölf und elf Jahren Haft
TETTNANG/RAVENSBURG - Hohe Freiheitsstrafen für den 38-jährigen Hauptangeklagten und die 25-jährige Stieftochter des Opfers: Ursprünglich wegen Mordes an einem 59-Jährigen in der Tettnanger Jahnstraße angeklagt, wurde der Nebenbuhler des Getöteten vom Landgericht Ravensburg wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die 25-Jährige erhielt wegen Anstiftung zum Totschlag elf Jahre Freiheitsentzug. Das Verfahren gegen die wegen Körperverletzung angeklagte Ehefrau des Verstorbenen wurde eingestellt.
Dicht gedrängt verfolgten im Saal 1 des Landgerichts auch am Montag wieder viele Tettnanger die Verhandlung. Die meisten hatten an allen Tagen dem Geschehen beigewohnt, das einen Tag früher abgeschlossen wurde als geplant.
Äußerlich ohne Gefühlsregung nahmen beide Angeklagte die Urteile entgegen. Der Hauptangeklagte kommt zunächst für vier Jahre und drei Monate in Haft, tritt dann wegen seines Alkoholproblems eine Therapie an und wechselt wieder hinter schwedische Gardinen. Auch für die 25-Jährige ist eine Entziehung vorgesehen.
Noch einmal hatte der Vertreter der Anklage den Fall vom 28. April diesen Jahres Revue passieren lassen und die Vorgeschichte aufgerollt. Über Jahre hinweg hat das Opfer seine Ehefrau schlecht behandelt, sie während der Ehe geschlagen, obwohl sie für den Lebensunterhalt sorgte. Im Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung mit der Stieftochter und später dem 38-Jährigen – der vor allem an den Wochenenden Stammgast war – stand bei sogenannten Spieleabenden der Alkohol im Mittelpunkt. Wie mehrfach berichtet, schlugen am Tatabend die beiden Frauen auf das schlafende Opfer ein, es folgten Übergriffe des Hauptangeklagten, der den 59-Jährigen am Hals packte, ihm ein Kissen aufs Gesicht drückte und ihn bis zum Herzstillstand würgte. Rettungssanitäter und Notarzt reanimierten ihn und brachten ihn ins Krankenhaus, wo er am Nachmittag des folgenden Tages verstarb.
Der Kammer stellte sich die Frage, ob die 25-jährige Stieftochter den Hauptangeklagten zur Tat angestiftet hatte oder es dessen Eigeninitiative gewesen war. Letzterer schilderte, wie seine Mitangeklagte ihm berichtete, dass sie ihren Stiefvater früher einmal selbst versucht habe, umzubringen und das nicht geschafft habe. „Mach das“, habe sie ihn animiert, was die 25-Jährige allerdings abstritt. Trotz Zweifeln glaubte die Staatsanwaltschaft in ihrem einstündigen Plädoyer dem geständigen Täter. Zielgerichtet habe die 25-Jährige gehandelt, als sie Fotos vom Geschehen machte, um einen später gegen sie gerichteten Tatvorwurf gar nicht erst aufkommen zu lassen. Erst nach 20 Minuten setzte sie einen Notruf ab, als sie damit rechnen konnte, dass der Geschädigte tot war. Die Staatsanwaltschaft sah bei der Strafzumessung in beiden Taten keine minderschweren Fälle. Positiv beim Hauptangeklagten war allein dessen Geständnis und Beitrag zur Aufklärung, negativ seine üppigen Vorstrafen, nach denen er mehrfach die Bewährung gebrochen hat.
Verteidiger: Tötung eingeräumt
Verteidiger Norbert Kopfsguter votierte weg vom Mordvorwurf auf Totschlag und betonte, sein Mandant habe die Tötung eingeräumt. Der Alkohol
habe das Leben seines Klienten immer wieder begleitet und das Opfer sei ihm „nicht übermäßig“wohlgesonnen gewesen. Gleichwohl habe er sich an Beschimpfungen und Beleidigungen ihm gegenüber nicht beteiligt. Nach Schlägen gegen das Opfer habe er sogar zum Aufhören aufgefordert. Zur Tat durch ihn sei es „nicht aus eigenem Entschluss“gekommen, er sei vielmehr dazu angestiftet worden. „Seine Idee war das nicht“, sagte der Anwalt, der weder den Vorwurf der Arglosigkeit noch das Mordmerkmal als gegeben ansah und an die knapp drei Promille Alkohol zur Tatzeit seines Mandanten erinnerte. Norbert Kopfsguter plädierte auf Totschlag und eine Freiheitsstrafe von unter zehn Jahren.
Die Tat sei „einzig und allein“vom 38-Jährigen begangen worden, sagte dagegen der Verteidiger der 25Jährigen, die sich wegen Anstiftung zu verantworten hatte. Gerd Pokrop forderte Freispruch, nachdem seine Mandantin in der Tatnacht das spätere Opfer weder geschlagen noch zur Tat angestiftet habe. Die habe sich mit der Situation in der Wohnung abgefunden gehabt, habe für den 59Jährigen sogar gewaschen, während der Hautpangeklagte – der gewaltbereit sei und auch seine Frau und Kinder geschlagen habe – die Tat gewollt und ein Motiv hatte, denn der Getötete stand seinem Glück mit dessen Noch-Ehefrau im Weg
Beide Angeklagte hätten sich schwerwiegendster Verbrechen schuldig gemacht, die Frage sei nur, ob Mord oder Totschlag, so Kammervorsitzender Veit Böhm, der erneut das für Außenstehende kurios anmutende Verhältnis des Quartetts in einer Wohnung, in der der Kühlschrank mit einer Stahlkette verschlossen war und in der der Alkohol eine dominante Rolle spielte. Bis zum Abend hatte nichts auf die Tat hingedeutet. Die Situation sei am frühen Morgen schlagartig gekippt.
Von einem ersten Rettungseinsatz hatte man sich erwartet, dass das spätere Opfer mit ins Krankenhaus genommen wird, was aber medizinisch nicht erforderlich gewesen sei. Nachdem die Mitangeklagte auf dem Handy des Geschädigten kompromittierende Fotos von sich und ihrer Mutter entdeckte, setzte es Schläge und Schimpfworte gegen den schlafenden Mann, wurde ihm vorgeworfen, nichts zu tun als zu Saufen und zu Schlafen. Mit den genannten Fotos wollte die 25-Jährige beweisen, mit dem Tod des auf dem Sofa Liegenden nichts zu tun zu haben, er sollte sterben, und sie sollte dafür nicht verantwortlich sein, sagte der Richter. Möglich, dass sie bewusst den 38-Jährigen belastete, etwa aus verschmähter Liebe.
Der zu zwölfeinhalb Jahren Gefängnis Verurteilte wiederum fühlte sich in der Situation mit der Frau des Opfers wohl. Mit dem „harmonischen“Ambiente in der Wohnung habe er möglicherweise das Jugendamt täuschen wollen, um seine beiden Kinder wieder treffen zu dürfen. Eventuell hätte der Tod des 59-Jährigen verhindert werden können, wenn die 25-Jährige nach dem Fotografieren der Tat nicht 20 Minute gewartet hätte, ehe sie einen Notruf absetzte. Deren Anstiftung zur Tat habe tatsächlich und bewusst stattgefunden, befand Veit Böhm. Harsch ins Gericht ging der Vorsitzende mit ihren wechselnden Einlassungen von Vernehmung zu Vernehmung und ihren vorgegebenen Erinnerungsausfällen. Unterlassene Hilfeleistung sei allemal, was sie gemacht habe, der Strafrahmen hierfür bewege sich zwischen fünf und 15 Jahren. „Im nüchternen Zustand sind Sie nicht der Mensch, der anderen nach dem Leben trachtet“, konstatierte der Vorsitzende. Das ändere sich, wenn sie Alkohol getrunken habe – erst recht in solchen Mengen.
Dem Hauptangeklagten – der vom letzten Wort keinen Gebrauch machte – gab der Kammervorsitzende mit auf den Weg: „Die Schuld, die Sie auf sich geladen haben, werden Sie nie mehr los.“