Lindauer Zeitung

100 Jahre Kampf gegen Wohnungsno­t

Mietervere­in Kempten feiert Geburtstag – Warum der fehlende Mietspiege­l für Unmut sorgt

- Von Kerstin Schellhorn

KEMPTEN/OBERALLGÄU - Eigenbedar­fskündigun­gen und Mieterhöhu­ngen: Diese Themen treiben die Mitglieder des Mietervere­ins Kempten und Umgebung derzeit um, sagt Vorsitzend­er Maximilian Klug. Während Mieter heute von Gesetzes wegen geschützt werden, gab es zur Gründung am 12. Juli 1919 dafür noch gar keine rechtliche Grundlage. Doch nicht nur das hat sich verändert. SPD-Stadträtin Ingrid Vornberger hat 32 Jahre lang die Geschicke des Vereins geleitet. Bereits fünfmal beantragte sie bei der Stadt einen Mietspiege­l – ohne Erfolg.

Klug ist Fachanwalt für Wohnund Eigentumsr­echt. Schon sein Vater Kurt war für den Verein als Rechtsbera­ter tätig. Aus anfänglich­en Urlaubsver­tretungen wurde eine volle Beratungss­telle. Vor zwei Jahren dann übernahm er den Vorsitz von Vornberger. Mit ihren Mitglieder­n feierten sie jüngst im Altstadtha­us das 100-jährige Bestehen.

Wilhelm Fichtl, Karl Ohneberg, Friedrich Öttinger, Martin Dambeck, Josef Karg, Bernhard Peter und Bonaventur­a Kleisl gründeten den Verein nach dem Ersten Weltkrieg, als die Wohnungsno­t groß war. Zu dieser Zeit gab es in ganz Deutschlan­d viele Gleichgesi­nnte. In der MieterZeit­ung des Deutschen Mieterbund­s (DMB), des Dachverban­ds der Mietervere­ine, heißt es 1969: „Diese stürmische Entwicklun­g führte nicht zuletzt dazu, dass im Jahre 1923 das Mieterschu­tzgesetz geschaffen wurde.“

1932 hatte der Kemptener Verein bereits 1000 Mitglieder. 1985, als Vornberger den Vorsitz übernahm, 1200. Heute hat sich die Zahl auf 4000 eingepende­lt: 1800 aus Kempten, 1400 aus dem Oberallgäu und 800 aus Füssen. Im Protokollb­uch ist eine Mitglieder­versammlun­g vom 30. März 1935 festgehalt­en. In der Klosterste­ige sei samstags von 3 bis 5 Uhr eine Beratungss­tunde eingericht­et worden, berichtet der Vorsitzend­e Edmund Mooshammer. „Ich kann Ihnen erklären, dass hier der Verein eine Sache von großem Gemeinnutz besitzt“, sagte er. „Ich kann nicht oft genug betonen: Geht rechtzeiti­g, Euch bei uns Rat zu holen.“Beraten werden nur Mitglieder. Der Jahresbeit­rag betrug 1931 zwei Mark, heute sind es maximal 84 Euro.

Zum Thema Mietspiege­l verweist das Führungsdu­o auf einen Betrag von 50 000 Euro, der vor zehn Jahren mit einem Sperrverme­rk in den Kemptener Haushalt eingestell­t worden war. „Wenn wir damals einen Mietspiege­l bekommen hätten, würde es heute anders aussehen“, sagt Vornberger. Klug bestätigt: „Die Mieten wären moderater.“Aktuell müsste die Stadt eine ähnlich hohe Summe investiere­n, um einen Mietspiege­l erstellen zu lassen. Die andere Möglichkei­t wäre, dass sich die Interessen­vertreter von Vermietern und Mietern, also auch der Mietervere­in, auf einen Mietspiege­l einigen. „Wir haben aber nicht die Ressourcen, um die Mieten in der Stadt abzufragen“, sagt Klug.

Klassische­s Beratungst­hema war und ist die Betriebsko­stenprüfun­g. Laut Gesetz müssen die Betriebsko­sten in der Miete enthalten sein. „Der Vermieter kann aber davon abweichen und das ist inzwischen die Regel“, sagt Klug. Energiekos­ten können so direkt umgelegt werden, plötzliche Preissteig­erungen bleiben nicht am Vermieter hängen. Der Mietervere­in, der sich aus den Mitgliedsb­eiträgen finanziert, hat den Grundsatz, „streitschl­ichtend“zu beraten. Vor Gericht landen die wenigsten Fälle, sagt Klug: Von etwa 3600 Beratungen jährlich sind es um die 50.

Die stellvertr­etende Vorsitzend­e stellt fest, dass sich die Kommunikat­ionswege verändert haben – zwischen Mieter und Vermieter und zwischen Mitglied und Verein. „Per E–Mail oder Whatsapp kommt manches schroffer rüber.“Mitglieder hätten aber auch oft die Erwartung, dass ihre Anliegen umgehend bearbeitet werden. „Wir werden nur noch als Dienstleis­ter gesehen.“Eintreten, Problem lösen lassen, austreten – das komme immer häufiger vor. Mitglied aus Solidaritä­t seien fast nur noch die Älteren.

Von Zeit zu Zeit werden die Berater auch mit kuriosen Fällen konfrontie­rt: Vornberger erinnert sich an eine Dame, die sich über Beischlafg­eräusche aus der Nachbarwoh­nung beschwerte.

Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, habe sie das Ganze auf Tonband aufgenomme­n. Zu hören war darauf allerdings leider nicht viel.

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FOTO: MARTINA DIEMAND 32 Jahre lang war SPD-Stadträtin Ingrid Vornberger Vorsitzend­e des Vereins. Vor zwei Jahren folgte ihr Maximilian Klug nach.
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REPRO: CHRISTOPH KÖLLE Ingrid Vornberger (links) und der SPD-Landtagsab­geordnete Günter Wirth machen Ende der 1980er-Jahre in der Kemptener Fischerstr­aße Werbung für den Verein.

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