Die Tanne steht noch immer
Zum 75. Geburtstag von Klaus Fichtel, der mit 43 noch in der Bundesliga spielte
GELSENKIRCHEN (SID/dpa) - Allmählich spürt Klaus Fichtel die Auswirkungen seiner langen Sportlerkarriere. Mit 43 Jahren, sechs Monaten und zwei Tagen stand der frühere Nationalspieler und Profi des FC Schalke 04 und des SV Werder Bremen einst noch in der Bundesliga auf dem Platz, bis heute ist er der älteste Bundesligaspieler der Geschichte. Bis vor ein paar Jahren stand Fichtel, der heute seinen 75. Geburtstag feiert, noch für Schalke in der Traditionsmannschaft. „Jetzt macht die Hüfte Probleme, der Verschleiß ist da“, erzählt Fichtel, der darum nur noch als Trainer der Truppe der Altgedienten fungiert. Vor der nötigen Hüftoperation wird er seinen Ehrentag „im engsten Kreis mit Familie und Freunden“in seinem Wohnort Waltrop feiern.
Als Klaus Fichtel, EM-Dritter 1970, am 21. Mai 1988 nach der Partie seiner Schalker gegen seinen Ex-Club Bremen von der großen Bühne abtrat, huldigten die Fans dem Rekordspieler mit dem legendären Transparent: „Der Wald stirbt – die Tanne steht!“
Erste Karriere als Bergmann
Die „Tanne“, wie der Libero auf Schalke genannt wurde, war ein echter Knappe, als er zu den Königsblauen kam. Fichtel arbeitete als Bergmann, als ihn 1965 der damalige S04Trainer Fritz Langner bei Arminia Ickern entdeckte und für 1200 Mark Grundgehalt nach Schalke lockte. „Der Fußball“, sagt Fichtel, „war das Ticket für ein besseres Leben.“
Was folgte, ist bis heute einmalig. 552 Bundesligaspiele, davon 477 für Schalke, bestritt Fichtel – nur KarlHeinz Körbel, Manfred Kaltz und Oliver Kahn brachten es auf mehr. Im August 1986 war eigentlich schon alles zu Ende, doch das Abschiedsspiel mit Johan Cruyff und Uwe Seeler war verfrüht. Es folgten das Comeback und der Rekord, der womöglich einer für die Ewigkeit ist. Höchstens ein Torhüter könne seine Marke knacken, glaubt Fichtel: „Wenn es ein Feldspieler schafft, ziehe ich den Hut.“
Doch wie kam es überhaupt zu dem Rekord? „Wir hatten viele verletzte Abwehrspieler, da hab’ ich noch ein paar Spiele gemacht“, erzählt Fichtel. Er habe auch deshalb so lange wie möglich weitergespielt, weil er „nicht zurück in die Zeche“wollte. Dass er nur auf 23 Länderspiele kam, lag an Franz Beckenbauer, der uneingeschränkten Nummer 1 als Libero.
Doch die Rekordkarriere hatte auch Schattenseiten. In den Bundesligaskandal war Fichtel ebenso verwickelt wie die meisten seiner Teamkollegen. „Es war eine schwere Zeit“, erinnert er sich an das verschobene 0:1 am 17. April 1971 gegen Arminia Bielefeld,
„es ist halt passiert, ich will nicht mehr drüber reden.“Die Sperre, im Januar 1974 vorzeitig aufgehoben, kostete ihn weitere Bundesligaspiele.
Als er in dieser Zeit sein Haus in Waltrop baute, pinselten wütende Fans auf das Bauschild den Zusatz: „Hier baut Arminia Bielefeld.“Es lag nicht zuletzt am Bundesligaskandal, dass Fichtels größter Traum nicht in Erfüllung ging: die Meisterschaft.
Die junge Schalker Mannschaft um Torjäger Klaus Fischer, Kapitän Stan Libuda und die Kremers-Zwillinge, 1972 Vizemeister und Pokalsieger, wurde auseinandergerissen. Königsblau verlor den Anschluss. Mit Werder Bremen fehlten Fichtel 1983 nur acht Tore zum Titel, der punktgleiche HSV holte die Schale. Als er nach Gelsenkirchen zurückkehrte, befand sich der Club schon im Sinkflug. Als die Tanne beim 1:4 gegen Bremen zum letzten Mal auf dem Platz stand, war S04 als Letzter längst abgestiegen.