Die bittersüße Geschichte von Nicole und Charlie
Stiche in die Magengrube: Noah Baumbachs Tragikomödie „Marriage Story“mit Scarlett Johansson und Adam Driver
Marriage Story“, der neue Film des Regisseurs Noah Baumbach, ist ein Melodram, das auch lustig ist – auch wenn er vom Scheitern einer Ehe erzählt. „Was ich an Charlie liebe: Er liebt es, Vater zu sein. Es nervt schon fast, wie er darin aufgeht. Er weint schnell bei Filmen. Er versteht sich zu kleiden. Er sieht nie peinlich aus, was den meisten Männern schwerfällt.“„Was ich an Nicole liebe: Sie ist ’ne tolle Tänzerin, mitreißend. Sie ist eine Mutter, die spielt. Also richtig spielt. Sie macht tolle Geschenke.“Was mit solchen Lobeshymnen anfängt, ist trotzdem in der Krise. Denn die schönen Worte fallen im Büro eines Trennungsberaters.
Es könnte eine Traumehe sein, und nicht nur weil Nicole und Charlie von Scarlett Johansson und Adam Driver gespielt werden, zwei der attraktivsten, sympathischsten Filmstars. Zwei, die am ehesten an die goldene Zeit von Hollywood erinnern, als Leinwandgötter uns noch alle glaubwürdig und unironisch zu repräsentieren vermochten.
Aber die Leinwandgötter gibt es nicht mehr. Und darum ist auch die Ehe nicht mehr, was sie mal war. In der Postmoderne scheint alles profan und banal geworden, und die Ehe taugt heute weder fürs Melodram voller Herzschmerz, noch für eine Komödie à la Lubitsch. Höchstens Albernheiten und Zynismus sind noch möglich, Woody Allen baut darauf den größten Teil seiner Karriere auf.
Und dann kommt so ein Film: Ein Melodram, traurig und lustig zugleich. Keine Klamotte, keine eindeutigen Witzchen. Sondern etwas ganz Ungewohntes: Geschmack. Die Leinwandgötter sind wieder auferstanden, zumindest für knappe zwei Stunden im Kino, zusammen mit großen Gefühlen, mit Kitsch und Stichen in die Magengrube und spontanem Auflachen, das nicht befreit, aber tröstet.
Aus dem Leben gegriffen
Wir lernen die zwei Hälften eines Ehepaares kennen, eines Ehepaares, das sich allmählich trennt. Auch dieser Film wird von seinem Ende her erzählt. Die beiden führen eine Beziehung, die von außen aus betrachtet gut funktioniert. Aber von außen kann man Beziehungen eben nicht betrachten. Eigentlich erzählt „Marriage Story“eine ganz banale Geschichte. Aber Baumbach ist ein Meister der Nuancen. Und gerade darum, weil hier etwas mit aus dem Leben gegriffen und von Kamera, Regie und den Darstellern erhöht wird, ist es großes Kino.
Ein bisschen macht uns dieser Film auch zu Voyeuren, denn das Paar ist berühmt. Nicole ist eine bekannte Schauspielerin, die davon träumt, nach ein paar Jahren Kinderpause ihre Karriere fortzusetzen. Und Charlie ist ein aufstrebender Theaterregisseur, der gerade vor dem Durchbruch am Broadway steht. Wer soll zurückstecken? Was ist wichtiger: die hohe, aber ein bisschen elitäre Theaterkunst? Oder große, aber ein bisschen vulgäre Fernsehmassenunterhaltung?
An diesen Eitelkeiten, an den Karrierewünschen und beruflichen Ambitionen zerbricht die Ehe – ganz banal, ganz normal im Zeitalter der Individualisierung. Manche sehen Baumbach als jüngeren Woody Allen, in jedem Fall ist er einer der begabtesten Regisseure seiner Generation. Zugleich aber einer, der zwar seit 1995 neun Filme gedreht hat, unter anderem „The Squid and the Whale“, „Greenberg“und „Frances Ha“. Der große Durchbruch blieb ihm bislang allerdings versagt. Die bittersüße Tragikomödie „Marriage Story“nun erzählt meisterlich von uns, unserer Gesellschaft, unseren hohen Erwartungen und unerfüllten Träumen.
Wer kann, sollte sich diesen Film auf Englisch ansehen, klingt vieles im Original doch so viel klüger, subtiler. Aber ansehen sollte man ihn sich auf alle Fälle. Denn „Marriage Story“ist traurig und lustig, aufregend und tränenreich, ein leider zu seltenes Beispiel von im besten Sinne altmodischem Kino.