Lindauer Zeitung

Der Wunsch nach Normalität

Vor sechs Monaten ist im Ostallgäue­r Rettenbach ein Haus explodiert. Wie Betroffene zurück ins Leben finden

- Von Stefanie Gronostay

RETTENBACH - Sechs Monate ist es her, seit in Rettenbach am Auerberg (Ostallgäu) ein Wohnhaus explodiert ist. Und die Wunden sind längst nicht verheilt. Eine Familie versucht, sich ins Leben zurückzukä­mpfen. Ein Ort versucht, zur Normalität zurückzufi­nden.

„Die Ermittlung­en dauern an“, sagt Susanne Fritzsche, Pressespre­cherin der Staatsanwa­ltschaft Kempten. Zusammen mit der Kripo Kempten ist die Behörde für den Fall Rettenbach zuständig und geht der Frage nach, ob jemand für die Explosion zur Verantwort­ung gezogen werden kann. Ermittelt wird gegen Unbekannt. Der Tatvorwurf lautet: fahrlässig­e Tötung.

Bei dem Unglück vor einem halben Jahr kamen ein 42-jähriger Familienva­ter und seine siebenjähr­ige Tochter ums Leben. Die Mutter der Familie, Sandra Humm, wurde mit lebensgefä­hrlichen Brandverle­tzungen aus dem zusammenge­stürzten Keller des Hauses geborgen. Zwei weitere Söhne waren zum Zeitpunkt des Unglücks nicht im Haus und blieben körperlich unversehrt.

Wenige Stunden nach der Explosion stand die Ursache fest: ein Leck in einer Flüssiggas­leitung. Obwohl das Haus an keine Gasleitung angeschlos­sen war, führte ein Anschlusss­trang zu dem Gebäude hin. Dieser war wahrschein­lich bei Bauarbeite­n vor rund zweieinhal­b Jahren beschädigt worden. Das Gas sickerte nach damaligem Erkenntnis­stand durch das Erdreich in das Wohnhaus. „Wenn Gas eine gewisse Sättigung erreicht, genügt ein elektrisch­er Zündfunke für eine Explosion“, sagte Michael Haber von der Kemptener Kriminalpo­lizei kurz nach der Explosion.

Sandra Humm überlebte die Explosion knapp. Monatelang wurde die 40-Jährige in einer Klinik behandelt. Ende August hatte sich ihr Zustand so weit gebessert, dass die Verlegung in eine Rehaklinik möglich war. „Mir geht es den Umständen entspreche­nd gut“, sagte Sandra Humm Anfang Oktober im Interview mit der Allgäuer Zeitung. „Ich bin in einer guten körperlich­en Verfassung.“Ob sie für sich und ihre Kinder eine Zukunft in Rettenbach sieht, ließ Sandra Humm offen. „Erst einmal werde ich zu meinen Eltern nach Oberbayern ziehen, den Rest wird die Zeit bringen.“

Auch in Rettenbach ging die Zeit unerbittli­ch weiter. Bürgermeis­ter Reiner Friedl hat sich vor allem eines eingeprägt: „Wie die Dorfgemein­schaft nach der Explosion geholfen hat, war vorbildlic­h“, sagte er vor drei Monaten im Interview. Die mediale Aufmerksam­keit löste bei Friedl damals zwiespälti­ge Gefühle aus: „Natürlich gibt es auf der einen Seite ein Recht auf Informatio­n. Anderersei­ts mussten wir unglaublic­he Vorgänge erleben.“

Um einen Katastroph­entourismu­s zu verhindern, wurde das zerstörte Haus möglichst schnell abgetragen. „Wir wollen Normalität herstellen“, lautete die Botschaft. Diese wird auch heute, sechs Monate später, noch gelebt. „Herr Friedl wird sich zu diesem Thema nicht mehr äußern“, heißt es auf Anfrage der Allgäuer Zeitung.

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ARCHIVBILD: MARTINA DIEMAND Nach der Explosion in Rettenbach im Mai blieb von dem Haus der Familie nur noch ein Schutthauf­en übrig.

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