Spuren ausgestorbener Liebesarten
Gleich zwei neue Bücher von Botho Strauß: Eines davon dürfte ordentlich Sprengkraft besitzen
Droht nach dem Nobelpreis für Peter Handke jetzt der nächste Literaturstreit? Schon zu seinem letzten runden Geburtstag vor fünf Jahren brachte Botho Strauß gleich zwei neue Bücher heraus. Neben seinem Gedankenbuch „Allein mit allen“auch ein autobiografisches, dünnes Büchlein mit dem Titel „Herkunft“, in dem sich der mittlerweile in der Uckermark lebende Schriftsteller so persönlich wie nie zeigte. Am 2. Dezember steht nun sein 75. Geburtstag an, und erneut erscheinen kurz davor zwei neue Bücher. Das eine dürfte ordentlich Sprengkraft besitzen.
Zunächst aber ist da mal der Band „zu oft umsonst gelächelt“. Ein typischer Botho Strauß. Eine Sammlung von Kurzprosa, Bildern und Skizzen mit szenischem Charakter, die eher Stimmungen evozieren als eine Geschichte erzählen. Immer wieder hat der 1944 in Naumburg geborene Schriftsteller solche Bücher geschrieben. Meistens geht es um „Paare, Passanten“(1981), um nur das bekannteste davon zu nennen. Er hat diese kurze Form zu einer Perfektion getrieben, die ihresgleichen sucht in der deutschsprachigen Literatur.
Exzellent beobachtet, psychologisch fundiert und sprachmächtig aufgeschrieben sind auch die Szenenfolgen im neuen Buch, das von einem in die Jahre gekommenen Romancier zusammengehalten wird. Fast alle Szene umspielen die „Spuren ausgestorbener Liebesarten“, wie es im Buch einmal etwas geschwollen heißt. Es wimmelt nur so von Verlassenen, Betrogenen, Erkalteten. So restlos ernüchtert und hoffnungslos waren die Episoden von Botho Strauß bisher nie.
Für deutlich mehr Furore sorgen dürfte das andere Büchlein, bei dem es sich um ein Theaterstück handelt. Unscheinbar kommt es in seinem grünen Leineneinband daher, auch der Titel „Saul“lässt an nichts Brisantes denken. Die Handlung greift den alttestamentarischen Stoff von Saul und David auf, erzählt wie Saul zum ersten König der Israeliten gewählt wird, in der Schlacht die Amalekiter schlägt, aber anders als von Gott befohlen, deren König Agag verschont und fortan ohne Gottes
Beistand sein Volk regieren muss. Er wird schwermütig, lässt sich vom jungen David mit Musik trösten, bis der in Ungnade fällt und fliehen muss. Am Ende verliert Saul die Schlacht im Gebirge von Gilboa und seinen Sohn Jonathan gleich mit dazu. Er stürzt sich selbst in sein Schwert, um den Feinden nicht in die Arme zu fallen.
Dass Botho Strauß ausgerechnet die Geschichte von Saul aufgegriffen hat, lässt sich durchaus als Israelkritik werten. Handelt es sich doch um den Übergang von der Theokratie zur Monarchie, an dessen Beginn die „Selbstherrlichkeit der kriegsführenden Israeliten“steht, wie in einer Notiz nachzulesen ist, die er seinem Stück im Anhang angefügt hat.
So erklärt sich auch, warum er das Volk laut Regieanweisung in einem Glaskasten agieren lässt. Als handle es sich um eine Käseglocke, unter der die Juden nach dem Leid, das sie im Holocaust erfahren mussten, unangreifbar erscheinen. Nur subtil übt Strauß Missbilligung, der Mann, den seine Kritiker immer wieder in die rechte Ecke stellen wollen. Er ist zu klug, vielleicht auch zu gebrannt, um sich wie Martin Walser 1998 in der Paulskirche an ein Rednerpult zu stellen und lauthals über die „Moralkeule“Auschwitz zu wettern.
Strauß übt seine Kritik an der expansiven Politik Israels leiser. Es gibt keine Sätze, die man instrumentalisieren könnte. Keiner kann ihm vorwerfen, sich bewusst oder unbewusst als Sprachrohr der neuen Rechten missbrauchen zu lassen. Beinahe so, wie in totalitären Systemen auf die Antike zurückgegriffen wurde, weil man über die aktuelle Situation nicht schreiben durfte, bedient er sich in dieser Zeit des biblischen Stoffes. Keine Frage: Da schwingt schon ein gutes Stück der Trotz eines alten Mannes mit. Auch möge ein jeder für sich selbst entscheiden, ob ausgerechnet ein Deutscher Kritik am Staat Israel üben sollte. Botho Strauß deswegen aber einen geistigen Brandstifter zu nennen, wäre ein Fehler.