Gestresste Gesellschaft
Jana Simon blickt in „Unter Druck“auf Deutschland
Deutschland hat sich verändert. Erst schleichend, dann immer schneller. Bankenkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise, Wohnungskrise, Klimakrise, dazwischen der Aufstieg der AfD. All das hat Spuren hinterlassen. Die Stimmung ist aufgewühlt, der Diskurs verroht. Gewissheiten sind ins Wanken geraten, die Zukunft scheint ungewiss. Wie spiegeln sich all diese Erschütterungen in den Biografien einzelner Menschen wider?
Beginnend mit dem Jahr 2013 verfolgt die Journalistin Jana Simon (46) in ihrem Buch „Unter Druck“den Lebensweg ganz unterschiedlicher Personen. Es sind Entscheider und Politiker darunter, aber auch ganz normale Bürger wie ein Polizist, eine Krankenschwester, ein Ingenieur und eine Modebloggerin. All diese Personen hat Simon über Jahre hinweg beobachtet und interviewt. Und obwohl die Auswahl subjektiv ist, gelingt ihr in diesen Porträts eine erstaunlich präzise Aufnahme einer gestressten Gesellschaft.
Alexander Gauland spielt eine besondere Rolle. Die „Zeit“Journalistin kommt dem Politiker so nahe wie nur wenige. Sie interessiert die Frage, wie aus dem konservativen Grandseigneur alter Schule ein radikaler Zündler werden konnte. Die Journalistin zeichnet ihn als einen Mann der Widersprüche. Seine Radikalisierung hat für ihn persönliche Konsequenzen: Bildungsbürgerliche Freunde und die Familie haben sich von ihm losgesagt. Doch Gauland ist bereit, diesen Preis zu zahlen. Denn er ist jetzt wer in der Politik.
Auch das Leben von Jörn Reichenbach hat sich verändert. Als Ingenieur bei Bosch in Stuttgart ist er unmittelbar von der Dieselkrise betroffen. Reichenbach ist einer, der es geschafft hat. Er verdient überdurchschnittlich, hat ein Eigenheim gebaut, seine Kinder sind in guten Schulen. Und doch ist er ein Getriebener. Der Druck bei Bosch ist extrem, er muss funktionieren und die finanziellen Belastungen sind hoch.
Jana Simons Porträts sind kleine Meisterwerke. Sie sind emphatisch und einfühlsam geschrieben. Die Reporterin selbst nimmt sich zurück, nur selten kommentiert sie oder gibt eine Bewertung ab. Und dennoch bringt sie die Dinge auf den Punkt. „Unter Druck“vermittelt ein sehr verstörendes Bild des gegenwärtigen Deutschland. (dpa)