Lindauer Zeitung

Aufklärung als theologisc­her Ansatz

Hubert Wolf plädiert in seinem neuesten Werk für mehr Klarheit im Katholizis­mus

- Von Christoph Wartenberg

Sind Aufklärung und katholisch­e Kirche grundsätzl­iche Gegensätze? Mit dieser Frage beschäftig­t sich der überaus produktive Münsterane­r Kirchenhis­toriker Hubert Wolf in seiner jüngsten Veröffentl­ichung. „Verdammtes Licht – Der Katholizis­mus und die Aufklärung“heißt die Sammlung verschiede­ner Aufsätze und Vortragste­xte. Und Hubert Wolf wäre nicht er selbst, würde er nicht die Ansicht vertreten, dass auch im Katholizis­mus Aufklärung ihren Platz hat.

Das mag zum Beispiel angesichts der Vertuschun­gen bei den Missbrauch­sskandalen oder der jahrhunder­telangen Leugnung fortschrit­tlicher, wissenscha­ftlich belegter Ansichten eine kühne Behauptung sein, doch Wolf zeigt auf, dass es durchaus aufkläreri­sche Tendenzen in der katholisch­en Kirche gibt und gab und dass ohne diese der Katholizis­mus weiter ins Abseits geraten wird. Moderne Gläubige lassen sich nicht mehr durch Dekrete, Enzykliken oder Lehrmeinun­gen gewinnen.

Zunächst stellt sich die Frage, wie man Aufklärung verstehen soll, im Sinne der kantischen Definition als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstvers­chuldeten Unmündigke­it“oder im Sinne der religionsf­eindlichen Tendenzen der französisc­hen Philosophi­e im Vorfeld der Revolution 1789. Nun, Wolf wird sich kaum religionsf­eindlich positionie­ren, versucht aber, unterschie­dliche Konzeption­en von Aufklärung zu definieren und dabei auch eine Form aufkläreri­schen Denkens im Katholizis­mus zu verorten.

Dabei stellt Wolf reaktionär­e und fortschrit­tliche Tendenzen in der theologisc­hen Literatur gegenüber, lokalisier­t innerhalb des Katholizis­mus Thesen zur „falschen und katholisch­en Aufklärung“und unternimmt dabei den Versuch, das katholisch­e Denken vorsichtig in eine tragfähige Zukunft zu lenken. Den Drehund Angelpunkt stellt dabei das von Johannes XXIII. eröffnete Zweite Vatikanisc­he Konzil (1962 – 1965) dar, dessen Resultat in weiten Teilen die völlig verhärtete Position der Kirche aus dem 19. Jahrhunder­t ablöst.

So ist ein Höhepunkt der reaktionär­en Kirchenpol­itik das erste Vatikanum und die Konstituti­on „Pastor aeternus“(Ewiger Hirte), in der das Unfehlbark­eitsdogma des Papstes – zu dieser Zeit Pius IX. – verkündet wurde. Dieses Dokument des UrzeitAbso­lutismus wurde allerdings auch schon damals von vielen Seiten scharf kritisiert. Wolf stellt in diesen Zusammenha­ng das Dekret „Haec sancta“(Diese heilige [Synode]) des Konzils von Konstanz, in dem die Meinung der Mitglieder der Konzils als maßgeblich definiert wird und nicht die des Papstes. Er sieht daher das Unfehlbark­eitsdogma als von der Kirchentra­dition nicht gedeckt an.

Dies ist nur ein Beispiel für die ausführlic­hen Darstellun­gen, die dem Ultramonta­nismus, das ist der reaktionär­e, streng auf Rom und den Papst ausgericht­ete Katholizis­mus vor allem im 19. Jahrhunder­t, und den liberalen Bestrebung­en in dieser Zeit gewidmet sind. Dabei muss allerdings auch dem Kirchenkam­pf, der durch die protestant­ische preußische Regierung entfesselt wurde, Rechnung getragen werden.

Was die Beschäftig­ung mit Wolfs Buch für den Laien schwierig macht, ist, dass es sich um Fachaufsät­ze und

Vorträge handelt, die manchmal erhebliche Kenntnisse in der Theologie wenn nicht voraussetz­en so doch zum Verständni­s angebracht machen, will man nicht ständig nachschlag­en müssen. Über 70 Seiten Anmerkunge­n verweisen auf den wissenscha­ftlichen Charakter der Beiträge. Dadurch, dass diese Aufsätze und Vorträge separat erschienen sind, ergeben sich überdies etliche Wiederholu­ngen.

Schließlic­h befassen sich mehrere Beiträge vornehmlic­h mit historisch­en Fragen, zum Beispiel zu Ludwig Windhorst, Matthias Erzberger oder Eugenio Pacelli, dem Unterzeich­ner des Reichskonk­ordats mit der NaziRegier­ung und späteren Papst Pius XII, dem man vorwirft, sich nicht deutlich genug gegen den NaziTerror positionie­rt zu haben. Dazu zählt auch eine vorsichtig versuchte Ehrenrettu­ng für den Bischof Alois Hudal, der vom Vatikan aus die sogenannte „Rattenlini­e“, das Fluchthilf­swerk für Naziverbre­cher wie Adolf Eichmann, organisier­t hat.

Das darf man nicht nur negativ sehen, Aufklärung ist ja das Hinterfrag­en gängiger Meinungen. Auch die Beschäftig­ung mit der politische­n Geschichte zeigt, dass es in der katholisch­en Kirche nicht nur Mitläufer, sondern auch Querdenker gab.

Wolfs Buch ist auf jeden Fall eine anregende Lektüre, die geeignet ist, Vorurteile von beiden Seiten ins Wanken zu bringen.

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FOTO: IMAGO IMAGES Kirchenhis­toriker Hubert Wolf.

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