Aufklärung als theologischer Ansatz
Hubert Wolf plädiert in seinem neuesten Werk für mehr Klarheit im Katholizismus
Sind Aufklärung und katholische Kirche grundsätzliche Gegensätze? Mit dieser Frage beschäftigt sich der überaus produktive Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf in seiner jüngsten Veröffentlichung. „Verdammtes Licht – Der Katholizismus und die Aufklärung“heißt die Sammlung verschiedener Aufsätze und Vortragstexte. Und Hubert Wolf wäre nicht er selbst, würde er nicht die Ansicht vertreten, dass auch im Katholizismus Aufklärung ihren Platz hat.
Das mag zum Beispiel angesichts der Vertuschungen bei den Missbrauchsskandalen oder der jahrhundertelangen Leugnung fortschrittlicher, wissenschaftlich belegter Ansichten eine kühne Behauptung sein, doch Wolf zeigt auf, dass es durchaus aufklärerische Tendenzen in der katholischen Kirche gibt und gab und dass ohne diese der Katholizismus weiter ins Abseits geraten wird. Moderne Gläubige lassen sich nicht mehr durch Dekrete, Enzykliken oder Lehrmeinungen gewinnen.
Zunächst stellt sich die Frage, wie man Aufklärung verstehen soll, im Sinne der kantischen Definition als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“oder im Sinne der religionsfeindlichen Tendenzen der französischen Philosophie im Vorfeld der Revolution 1789. Nun, Wolf wird sich kaum religionsfeindlich positionieren, versucht aber, unterschiedliche Konzeptionen von Aufklärung zu definieren und dabei auch eine Form aufklärerischen Denkens im Katholizismus zu verorten.
Dabei stellt Wolf reaktionäre und fortschrittliche Tendenzen in der theologischen Literatur gegenüber, lokalisiert innerhalb des Katholizismus Thesen zur „falschen und katholischen Aufklärung“und unternimmt dabei den Versuch, das katholische Denken vorsichtig in eine tragfähige Zukunft zu lenken. Den Drehund Angelpunkt stellt dabei das von Johannes XXIII. eröffnete Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 1965) dar, dessen Resultat in weiten Teilen die völlig verhärtete Position der Kirche aus dem 19. Jahrhundert ablöst.
So ist ein Höhepunkt der reaktionären Kirchenpolitik das erste Vatikanum und die Konstitution „Pastor aeternus“(Ewiger Hirte), in der das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes – zu dieser Zeit Pius IX. – verkündet wurde. Dieses Dokument des UrzeitAbsolutismus wurde allerdings auch schon damals von vielen Seiten scharf kritisiert. Wolf stellt in diesen Zusammenhang das Dekret „Haec sancta“(Diese heilige [Synode]) des Konzils von Konstanz, in dem die Meinung der Mitglieder der Konzils als maßgeblich definiert wird und nicht die des Papstes. Er sieht daher das Unfehlbarkeitsdogma als von der Kirchentradition nicht gedeckt an.
Dies ist nur ein Beispiel für die ausführlichen Darstellungen, die dem Ultramontanismus, das ist der reaktionäre, streng auf Rom und den Papst ausgerichtete Katholizismus vor allem im 19. Jahrhundert, und den liberalen Bestrebungen in dieser Zeit gewidmet sind. Dabei muss allerdings auch dem Kirchenkampf, der durch die protestantische preußische Regierung entfesselt wurde, Rechnung getragen werden.
Was die Beschäftigung mit Wolfs Buch für den Laien schwierig macht, ist, dass es sich um Fachaufsätze und
Vorträge handelt, die manchmal erhebliche Kenntnisse in der Theologie wenn nicht voraussetzen so doch zum Verständnis angebracht machen, will man nicht ständig nachschlagen müssen. Über 70 Seiten Anmerkungen verweisen auf den wissenschaftlichen Charakter der Beiträge. Dadurch, dass diese Aufsätze und Vorträge separat erschienen sind, ergeben sich überdies etliche Wiederholungen.
Schließlich befassen sich mehrere Beiträge vornehmlich mit historischen Fragen, zum Beispiel zu Ludwig Windhorst, Matthias Erzberger oder Eugenio Pacelli, dem Unterzeichner des Reichskonkordats mit der NaziRegierung und späteren Papst Pius XII, dem man vorwirft, sich nicht deutlich genug gegen den NaziTerror positioniert zu haben. Dazu zählt auch eine vorsichtig versuchte Ehrenrettung für den Bischof Alois Hudal, der vom Vatikan aus die sogenannte „Rattenlinie“, das Fluchthilfswerk für Naziverbrecher wie Adolf Eichmann, organisiert hat.
Das darf man nicht nur negativ sehen, Aufklärung ist ja das Hinterfragen gängiger Meinungen. Auch die Beschäftigung mit der politischen Geschichte zeigt, dass es in der katholischen Kirche nicht nur Mitläufer, sondern auch Querdenker gab.
Wolfs Buch ist auf jeden Fall eine anregende Lektüre, die geeignet ist, Vorurteile von beiden Seiten ins Wanken zu bringen.