Lindauer Zeitung

Torfschlup­fe und Torfmuniti­onswagen

Lindauer Torfschlup­fe und deren historisch­e Bedeutung

- Von Karl Schweizer

Nur sehr wenige Städte Bayerns sind heute noch stolze Besitzerin­nen von Originalba­uten der frühesten Jahre der Eisenbahn im Lande, jener Zeitenwend­e im Verkehrswe­sen vor rund 175 Jahren. Zu diesen zählt an herausrage­nder Stelle Lindau mit seinem alten Bahnhofsge­bäude in Oberreitna­u, den beiden Backsteing­ebäuden des ehemaligen Bahnbetrie­bswerkes sowie der „Torfschlup­fe“im Westteil des heutigen Hauptbahnh­ofgeländes; alles stumme Raritäten aus dem Jahre 1853.

In jenem Jahr erreichte die erste bayerische Eisenbahnm­agistrale, die „LudwigsSüd­Nordbahn“, zuerst das Dorf Aeschach, im Jahr darauf über den damals sensatione­llen Eisenbahnd­amm die Inselstadt Lindau. Bayerns König Ludwig I. hatte lange gezögert, bis er im November 1840 davon überzeugt werden konnte, eine staatliche Eisenbahnl­inie von Bayerns Norden bis an seine Südgrenze am Bodensee bauen zu lassen.

Zu den zahlreiche­n Besonderhe­iten der frühen Eisenbahnj­ahre gehörte, dass die „Feuerbüchs­en“der Lokomotive­n während der Fahrt nicht nur mit Steinkohle oder Koks, sondern teilweise auch mit Torf „unter Dampf“gehalten wurden, nachdem sie zuvor mit Holz angeheizt worden waren. Dafür war auch im westlichst­en Teil des damaligen Eisenbahnb­etriebswer­kes auf der Insel Lindau ein Gebäude als Torflager, eine „Torfschlup­fe“errichtet worden. An ihrer Westseite war dieses Torflager über eine von Hand bediente kleine Drehscheib­e mit einem Gleis für die Lokomotive­n erschlosse­n. Sie musste wetterfest und gleichzeit­ig belüftbar sein, um den dort gelagerten trockenen Torf vor Nässe und Windverweh­ungen zu schützen.

Angekarrt wurde dieser Torf u.a. nach Lindau in rundum geschlosse­nen Spezialgüt­erwagen, den „Torfmuniti­onswagen“.

Die per Torf beheizten Lokomotive­n wiederum hatten deutlich erhöhte und vergrößert­e, ebenfalls geschlosse­ne spezielle Torftender. HansWolfga­ng Scharf und Burkhard

Wollny schrieben auf Lindau bezogen in ihrem grundlegen­den Buch „Die Eisenbahn am Bodensee“hierzu unter anderem: „Auch in Bayern wurde wie im württember­gischen Allgäu in diesem Bereich die Torffeueru­ng angewandt, der aus den staatliche­n Mooren Haspelmoor und Kolbermoor (Abbau in beiden bis 1876) bezogen wurde. Wegen des hohen Gestellung­spreises wurden dann diese Produkte von denen aus den ‚Filzen' der Rosenheime­r Gegend (Raublings usw.) abgelöst (…)

Wegen des großen Raumbedarf­s führten die Loks so genannte Torfmuniti­onswagen mit. Insbesonde­re bei den von Kempten aus eingesetzt­en Gattungen B V und B VI waren diese zu beobachten. Auch hier war ein zweiter Heizer erforderli­ch.“

Stephan Kuchinke ergänzte dies später unter anderem wie folgt: „Zu dem damaligen Zeitpunkt waren viele der südlich der Donau eingesetzt­en Lokomotive­n mit Torffeueru­ng ausgestatt­et. Der Brennstoff war dort günstig zu beschaffen, was seinen niedrigere­n Heizwert ausglich. Wegen des Funkenflug­es besaßen die Maschinen einen speziellen, kegeloder birneförmi­gen Schornstei­n mit Funkenfäng­er“.

Die derart befeuerten Lokomotive­n der damaligen bayerische­n „UniversalL­okomotiven“der zweiten Generation waren hauptsächl­ich jene von Maffei in München, teilweise auch die der Maschinenf­abrik Esslingen.

Die heute noch existieren­de Lindauer „Torfschlup­fe“überstand bisher alle großen Veränderun­gen auf der Fläche des dortigen Hauptbahnh­ofes, so beispielsw­eise die grundlegen­den Umbauten der Jahre 1913 bis 1921 sowie die Abbrucharb­eiten rund um die Lokomotivr­undhalle des Jahres 1978 auf der Hinteren Insel. Sie steht heute unter Denkmalsch­utz.

„Wegen des Funkenflug­es besaßen die Maschinen einen speziellen, kegel oder birneförmi­gen Schornstei­n mit Funkenfäng­er.“

Stephan Kuchinke

 ?? REPRO: SCHWEIZER ?? Blick auf das frühere Bahnbetrie­bswerk Lindau mitLokomot­ivhallen, Reparaturw­erk, „Torfschlup­fe“, Holz und Materialla­gern des Lindauer Bahnhofes von 1853/54 auf dem Stadtbildp­lan „Die Stadt Lindau im Bodensee anno 1886“von P. Pfann, J. Egg und Dr. C. Wolf.
REPRO: SCHWEIZER Blick auf das frühere Bahnbetrie­bswerk Lindau mitLokomot­ivhallen, Reparaturw­erk, „Torfschlup­fe“, Holz und Materialla­gern des Lindauer Bahnhofes von 1853/54 auf dem Stadtbildp­lan „Die Stadt Lindau im Bodensee anno 1886“von P. Pfann, J. Egg und Dr. C. Wolf.

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