Mit Willy Brandt in die Zukunft
Neue SPDChefs Esken und WalterBorjans versprechen Rückkehr zu alter Stärke: „Ab heute gewinnt ihr mit uns“
BERLIN Mehr Gerechtigkeit durch einen Stopp der Umverteilung von unten nach oben, höhere Löhne, Frieden und Abrüstung verspricht das neue SPDFührungsduo Norbert WalterBorjans und Saskia Esken der Partei. In einer jeweils halbstündigen Rede halben sich die beiden dem Parteitag vorgestellt und einen Linkskurs begründet.
Das Ziel der neuen Parteichefs ist es, der Basis wieder näherzukommen. Immer wieder betont die 58jährige Saskia Esken aus Calw, dass sie als ehemalige Paketzustellerin, spätere Informatikerin und als Mutter von drei Kindern die Lebensbedingungen der Menschen kenne. Der Arbeitsmarkt sei nicht besser geworden seit ihrer Zeit als Paketzustellerin. Deutschland habe mit 20 Prozent einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa, in Schweden seien es nur drei Prozent. „Ich will schwedische Verhältnisse in Deutschland“, sagt Esken. Sie fordert 12 Euro Mindestlohn. Die Menschen wollten Taten sehen.
Esken betont, dass sie gegenüber der Großen Koalition immer noch skeptisch sei. „Ich war und bin skeptisch, was die Zukunft der Großen Koalition angeht.“Dass die Zusammenarbeit mit ihr nicht leichter wird, zeigt sie kurz darauf, sie wirft der CDUChefin Annegret KrampKarrenbauer vor, es sei respektlos, wenn sie versuche, die Grundrente in Geiselhaft zu nehmen für die GroKo. Nach ihrer Wahl mit fast 76 Prozent der Stimmen, nimmt Esken den Vorsitz „sehr, sehr gerne an“. Esken, sie umarmt gerührt Norbert WalterBorjans. Sie war es, die ihn zur Kandidatur für den Parteivorsitz ermuntert hat.
Der frühere NRWFinanzminister Norbert WalterBorjans beginnt humorvoll. Als er von den Mitgliedern gewählt wurde, habe ihn am meisten die Reaktion von FDPChef Christian Lindner gefreut, der getwittert hatte, er sei einfach baff. Ein sprachloser FDPChef, das sei doch kein schlechter Einstieg, so WalterBorjans.
Als Erstes erinnert er daran, dass er mit 67 Jahren immer in Frieden, Wohlstand und Sicherheit leben konnte. Es gebe jetzt aber ein zunehmendes Säbelrasseln in der Welt, und CDUChefin Annegret KrampKarrenbauer liege falsch, wenn sie die Bundeswehr an vielen Orten der Welt sehen wolle. „Das ZweiProzentZiel der Nato ist eine unselige Kombination, die Rüstung wächst mit dem Wirtschaftswachstum“, so WalterBorjans. Das sei kein Beitrag zur Friedenssicherung. Er warnt vor einer „Militarisierung der Außenpolitik“, zu der die SPD nicht die Hand reiche. Er sei froh, dass Heiko Maas Außenminister sei und Rolf Mützenich die Fraktion führe.
WalterBorjans fühlt sich in der Tradition Willy Brandts und natürlich auch von Johannes Rau, dessen Regierungssprecher er einst war. Er prangert die zunehmende Umverteilung von unten nach oben an – und erinnert an seine eigenen Maßnahmen wie den Kauf von SteuerCDs als Finanzminister in NordrheinWestfalen. Für 19 Millionen Euro von Whistleblowern gekauft, habe er dank der CDs sieben Milliarden Euro hin
terzogene Steuern einkassieren können. Diese Aktion hatte ihm den Spitznamen Robin Hood eingebracht. Er erzählt aber auch von seiner Tochter, die mit einem Vollzeitjob 1700 Euro netto verdiene und davon 700 für die Miete zahle.
Parteitag sucht Geschlossenheit
„Wenn die Rückkehr zu Willy Brandt und Johannes Rau ein Linksruck ist, dann bitte sehr!“, sagt WalterBorjans. Wenn es links sei, Wohnen bezahlbar zu halten und für Renten einen Beitrag der Starken einzufordern, dann sei er links. Und seine Partei habe allen Grund, eine linke Volkspartei zu sein. WalterBorjans erzielt 89,2 Prozent der Stimmen und wird in Berlin umjubelt.
„Die beiden haben das Herz auf dem rechten linken Fleck“, zollt die Ulmer Abgeordnete Hilde Mattheis Respekt. Trotzdem hatte sie den Antrag eingereicht, über den Fortbestand der Großen Koalition abzustimmen, „weil wir meinen, dass die Leute, die Borjans/Esken gewählt haben, keine GroKo wollten“. Mattheis will wenigstens, dass die Delegierten entscheiden sollen. Doch der Parteitag sucht die Geschlossenheit, der Antrag für ein GroKoAus wird mit großer Mehrheit abgelehnt.
Malu Dreyer, der die Herzen der Partei zufliegen, hat als kommissarische Vorsitzende den „ganz besonderen Parteitag“mit großem Lob für die Arbeit der SPD in der Regierung eingeleitet. Und der erste große Applaus des Parteitags galt Olaf Scholz, dem unterlegenen Kandidaten. Vor allem Scholz sei für den Erfolg der SPD in der Regierung verantwortlich so Dreyer. Die Aalener Abgeordnete Leni Breymaier ermahnt in der Aussprache, man dürfe nicht nur von Solidarität rumschwafeln, sondern man müsse sie leben. Viele Menschen nähmen die SPD nicht mehr als Wertepartei sondern nur noch als PaktPartei wahr.
Weniger begeistert dürfte man in der Union von der neuen Spitze sein. „Wir werden die Koalition nicht nach links verschieben“, hat UnionsFraktionschef Ralph Brinkhaus vorsichtshalber schon am Morgen noch einmal betont.