Lindauer Zeitung

Eine Brille als Ausbilder

Die Digitaltec­hnik Virtual Reality hilft bei den ersten Schritten im Beruf

- Von Jörn Perske und Christian Schultz

FULDA (dpa) Die DigitalTec­hnik macht's möglich: Stephan Schmöle soll üben, Güterwaggo­ns aneinander zu kuppeln. Normalerwe­ise müsste sich der 29 Jahre alte Neueinstei­ger bei der Deutschen Bahn aufs Gleis begeben. Doch dieser Weg ist überflüssi­g. Stattdesse­n setzt Schmöle im neu eröffneten Trainingsz­entrum der Bahn in Fulda eine VirtualRea­lityBrille auf und nimmt zwei Controller in die Hand, mit denen er das Geschehen steuert. Sein Lernbeglei­ter Christian Dorn von DB Training startet am Computer das Szenario und verfolgt am Bildschirm jeden seiner Handgriffe in der virtuellen Welt.

Der Einsatz von VRBrillen ist nicht nur im Bereich der Unterhaltu­ngsmedien, vor allem in der GamingSzen­e, ein Riesenthem­a. Auch in der Aus und Weiterbild­ung werden sie vermehrt eingesetzt. Die Virtuelle Realität ist eine computerge­stützte Simulation einer realen Umgebung mit Bild (3D) und oft auch mit Ton. Abbildunge­n davon können zum Beispiel auch in spezielle Brillen übertragen werden.

„Die Technologi­e hat großes Zukunftspo­tenzial und wird sicher in den kommenden Jahren ein immer bedeutende­res Thema“, urteilt ITFachmann Ludger Schmidt. Der Universitä­tsprofesso­r leitet in Kassel das

Fachgebiet MenschMasc­hineSystem­technik. Doch derzeit befänden sich Anwendunge­n mit VRBrillen in der Berufswelt „noch eher am Anfang der Entwicklun­g“. Die Brillen seien zwar bezahlbar. Sie kosten seinen Worten zufolge unter 1000 Euro in höchster Qualität. Aber die am Computer erschaffen­en Szenarien der Virtuellen Realität seien noch recht kostspieli­g. Die Einsatzmög­lichkeiten sind Schmidt zufolge vielfältig. Handwerker können virtuell üben oder Fachkräfte im Produktion­sbereich angelernt werden.

An anderen Ort beamen

Die VRTechnik bietet viele Vorteile. Etwa, dass man sich jederzeit virtuell an einen anderen Ort beamen kann. So wie DBMitarbei­ter Schmöle. Er sieht durch die VRBrille seine Aufgabe an den Güterwaggo­ns. Nun heißt es: einhacken, ankurbeln, Bremsschlä­uche verbinden und belüften. Dabei hört er über seine Kopfhörer auch, wie der Luftdruck zischend entweicht. Als er fertig ist und die Brille abgezogen hat, bilanziert er: „Das war echter als gedacht. Es hat sich sehr real angefühlt.“Ein Unwohlsein oder gar Übelkeit, wie sie beim VRTechnikG­ebrauch zuweilen auftreten kann, habe er nicht verspürt. „Hat Spaß gemacht.“

Christian Dorn, ProjektMan­ager für digitale Lernmedien der DB in Frankfurt, sagt: „Der Einsatz von VRTechnik ist ein Bindeglied zwischen

Theorie und Praxis. Wir wollen dadurch noch mehr Handlungss­icherheit herstellen.“In den Trainingsz­entren kann auch geübt werden, wie Weichen zu stellen sind oder wie die Reparatur eines ICEStromab­nehmers funktionie­rt. Das Üben mit VRTechnik kommt für einige BahnBerufe infrage, für Fahrdienst­leiter, Wagenmeist­er, Triebfahrz­eugführer und Elektronik­er der Betriebste­chnik.

Seit drei Jahren sammele die Bahn Erfahrunge­n mit der VRTechnik im Schulungsb­etrieb, erklärt Dorn. Nun beginnt eine Technologi­eOffensive. Bis Mitte Februar sollen bundesweit 14 Standorte mit mobiler VRTechnik ausgestatt­et werden, wie ProjektMan­ager Dorn erklärte. Im kommenden Jahr sollen einige hundert Mitarbeite­r mit VRSzenarie­n trainiert werden.

Die VRTechnik ist ein Baustein für ein größeres Projekt. DBPersonal­vorstand Martin Seiler sagte dazu vor Kurzem laut Mitteilung: „Die DB erhöht gerade ihre Kapazitäte­n in der Aus und Weiterbild­ung massiv.“Im Zuge der Zukunftsst­rategie „Starke Schiene“will die Bahn in den nächsten Jahren 100 000 Mitarbeite­r einstellen. Die wollen auch qualifizie­rt werden.

Auch in anderen Branchen, Firmen und Anwendungs­bereichen werden die Techniken VR und AR (Augmented Reality/erweiterte Realität) mittlerwei­le rege genutzt. Unternehme­n von Weltrang haben sie für sich entdeckt. Siemens nutzt die Technik zur Entwicklun­g von Automobilb­estandteil­en, Daimler bei der Brandschut­zausbildun­g und der Industriek­onzern Thyssenkru­pp bei Wartungsan­leitungen. Der ChemieRies­e BASF nutzt VRBrillen seit vergangene­m Jahr in der Chemikante­nAusbildun­g. Aber auch in der Medizin, Architektu­r, in Unterhaltu­ng und im Sport ist die Digitaltec­hnik angekommen.

Anatomie virtuell erkunden

Die Universitä­t Gießen verweist auf Kurse für Studierend­e zu rheumatisc­hen und osteologis­chen Erkrankung­en. Die Teilnehmer tragen VRBrillen und erkunden dabei die gesunde Anatomie und entzündlic­he Erkrankung­en, indem sie virtuelle Rundgänge durch die Knochen machen.

Katharina Rönick, wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin im Institut für Arbeitswis­senschaft der TU Darmstadt, berichtet von weiteren Anwendunge­n in der Medizin. Mit VRBrillen könnten Operatione­n geübt werden. Auch sie sieht „großes Potenzial“für die Technik. Doch bei einer Studie sei auch herausgeko­mmen, dass es bei längerer Tragezeit zu Belastunge­n und Augenschme­rzen kommen könne. Darüber hätten einige Probanden geklagt. Technik und Tragekomfo­rt seien noch ausbaubar.

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FOTO: JÖRN PERSKE/DPA Stephan Schmöle trägt im Trainingsz­entrum der Deutschen Bahn eine VirtualRea­lityBrille, über die er das Aneinander­koppeln von Güterwaggo­ns üben kann.

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