Lindauer Zeitung

Methusalix lebt in Deutschlan­d

Bundesrepu­blik gilt inzwischen als gefährlich­es Pflaster für Ausländer. Fremdenfei­ndlichkeit ist nichts Neues, aber sie wird von bestimmten Gruppen befeuert

- Von Claus Wolber

M ethusalix lebt, und das nicht nur irgendwo im Norden Galliens, in jenem Dorf, das seit Asterix und Obelix weltberühm­t ist. Dass Fremde in sein Dorf kommen, mag er gar nicht. „Ich habe nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden da sind nicht von hier“, bruddelt er. Methusalix lebt auch in Deutschlan­d. Man erkennt ihn an seiner Glatze und den Springerst­iefeln oder an seiner Krawatte mit den Hundemotiv­en. Und er gilt im Ausland als der hässliche Deutsche, dem man nicht begegnen will. Ein in den USA lebender Manager schließt deshalb eine Rückkehr in sein Geburtslan­d Deutschlan­d trotz attraktive­r Jobs in seiner Branche in Rostock aus. Der Amerikaner ist mit einer Frau aus den Philippine­n verheirate­t. Soll er riskieren, dass sie in Rostock als „Fidschi“(dort die gebräuchli­che Bezeichnun­g für Asiaten) beschimpft oder gar noch schlimmer angegangen wird? „Das kann ich ihr nicht zumuten.“

Gute Jobs nur für reinrassig­e Deutsche – das ist ein Luxus, den sich dieses Land nicht leisten kann. Ein weltweit agierender Konzern wie Daimler erhöht deshalb den Anteil an Managern aus dem Ausland, denn dort lebt ein großes Potenzial an Führungskr­äften. Etwa die Hälfte des Nachwuchse­s für TopPositio­nen soll künftig aus dem Ausland kommen, sagt Personalvo­rstand Wilfried Porth, „aus Amerika, China, Indien oder anderen Ländern“. Viele von ihnen werden später im Konzern wieder Jobs im Ausland antreten, aber werden jene, die hier bleiben, sich auch wohlfühlen? Wo jeder vierte Deutsche, im Osten sogar knapp jeder dritte, Ausländer ablehnt? Auch ein noch so schönes deutsches Fachkräfte­Einwanderu­ngsgesetz, das die Rekrutieru­ng von Fachkräfte­n erleichter­n soll, die in Deutschlan­d nachgefrag­t werden, ist da nur ein schwacher Trost.

Verantwort­lich dafür ist natürlich Angela Merkel. Hätte sie nicht im Jahr 2015 so viele Flüchtling­e ins Land gelassen, wären viele Deutsche auch nicht so fremdenfei­ndlich. Das ist leider eine ganz billige, falsche Erklärung. Viel zu viele Deutsche hatten schon immer etwas gegen Fremde, selbst gegen Fremde, die fast von hier waren. Als 1945 Millionen Deutsche aus Pommern, Ostpreußen, dem Sudetenlan­d und anderswo aus dem Osten im Westen Zuflucht suchten, warnte Johannes Tiedje, Landrat von Flensburg, vor der „Mulattenzu­cht, die der Ostpreuße nun einmal im Völkergemi­sch betrieben hat“. Ein Jahr später ermahnte Konrad Adenauer seine Rheinlände­r darauf zu achten, „dass die Vertrieben­en nicht den preußische­n Geist in die rheinische Jugend pflanzen“.

Eine eigene Erfahrung aus der Zeit, als Ausländer noch Gastarbeit­er genannt wurden: Ort: München, Hackerbrüc­ke. Personen der Handlung ein Mann in lederner Kniebundho­se, mit Haferlschu­hen und GamsbartHu­t sowie ein offensicht­lich südländisc­her Straßenkeh­rer. Dieser hatte aus irgendeine­m Grund das Missfallen des Urbayern erregt, der den Straßenkeh­rer beschimpft­e, was dieser offensicht­lich nicht verstand. Um die Sache abzukürzen, holte der Gamsbarträ­ger mit dem rechten Fuß aus, versetzte seinem Gegenüber einen kräftigen Tritt in den Hintern und entfernte sich.

Nein, Angela Merkel kann nichts dafür. Sie hat 2015 nur den Vorwand dafür geliefert, dass Methusalix endlich laut sagen konnte, was er schon immer gewusst hat: Dass Fremde, die nicht von hier sind, hier auch nichts zu suchen haben. Entweder nehmen sie ihm den Arbeitspla­tz weg oder sie tun gar nichts und plündern seine Sozialkass­e. Wer dagegen die statistisc­h erwiesene Wahrheit setzt, macht alles noch viel schlimmer. Etwa, dass 2016 jede fünfte Firmengrün­dung – vom Spezialitä­tenladen um die Ecke bis zum ITDienstle­ister – von Ausländern ausging, also Arbeitsplä­tze geschaffen wurden. Oder dass rund 70 Prozent der im Bereich der IHK MünchenObe­rbayern beschäftig­ten Ausländer hoch qualifizie­rt sind und gut verdienen, also die Sozialkass­en füllen und dazu beitragen, den Fachkräfte­mangel zu mindern. Oder dass ein junger Syrer, der erst vor drei Jahren als Flüchtling nach Deutschlan­d gekommen war, das Abitur mit Auszeichnu­ng geschafft hat.

Solche Beispiele machen Angst. Angst davor, dass eines Tages ein Ausländer in der Firma an seinen deutschen Kollegen vorbei befördert, womöglich gar ein Vorgesetzt­er wird. Dass er das große Haus in der Straße kauft und ein dickes Auto davorstell­t. „Du bist ein wichtiges Mitglied unserer großen Nation gewesen, doch Ausländer, Einwandere­r und deine eigenen elitären Landsleute haben sich verschwore­n, um dich niederzudr­ücken. Dein Land gehört dir nicht mehr, und du wirst in ihm nicht mehr respektier­t.“So beschreibt der amerikanis­che Politikwis­senschaftl­er Francis Fukujama die Empfindung­en der Fremdenhas­ser. Meist leiden sie keine Not, haben eine guten Beruf, aber sie haben Angst. Angst vor einer Zukunft, die nicht einfach die Fortschrei­bung der Vergangenh­eit und Gegenwart ist. Weil sie nicht wissen, was kommt, soll alles so bleiben, wie es ist. Der Ausländer, dem sie auf der Straße oder am Arbeitspla­tz begegnen, ist das physische Symbol für diesen Wandel, von dem der Fremdenhas­ser sich bedroht fühlt, der greifbare Sündenbock. Er ist nicht der Feind, er ist das künstlich aufgebaute Feindbild. Zum Beispiel jener Abiturient, dessen eindeutig fremdländi­scher Name von einem PegidaOrts­verband ins Internet gestellt wurde, versehen mit dem höhnischen Kommentar „Immer mehr Deutsche machen Abitur“. Seitdem wird er auf Facebook mit Hassbotsch­aften zugemüllt. „Wir werden uns unser Land jetzt wieder zurückhole­n“, verspricht der AfDRechtsa­usleger Björn Höcke, indem er die Ausländer rauswerfen will. Aber das Land, das ihm dabei vorschwebt, ist nicht einmal Vergangenh­eit, es ist verklärte Vergangenh­eit. Deutschlan­d wird sich zwangsläuf­ig ändern müssen, so wie es sich schon immer im Lauf der Jahrhunder­te verändert hat, auch und gerade durch den Zuzug von Ausländern. Der Geschichts­lehrer Höcke sollte das eigentlich wissen.

Im Grunde, so der Politikwis­senschaftl­er Matthias Quendt, sind die rechtsradi­kalen Ausländerh­asser Angsthasen. Sie fühlen sich ständig benachteil­igt, bedroht, suhlen sich geradezu in ihrer Opferhaltu­ng. Da genügt schon der lächerlich­ste Anlass für einen empörten Aufschrei. Dass das Nürnberger Christkind heuer ein Mädchen mit ausländisc­hen Wurzeln ist, wird in den sozialen Medien als Indiz für die Verdrängun­g der deutschen Bevölkerun­g gewertet. Es hat eben kein „goldenes Haar“. Deutsche haben blond zu sein und auch sonst ihre typischen Eigenschaf­ten. Die hat schon 1751 Benjamin Franklin, einer der Gründervät­er der USA, erkannt. Sie bauten Zäune um ihre Häuser, sie seien am liebsten unter sich, sie passten sich nicht der amerikanis­chen Kultur an, hingen sehr an ihrer Sprache und würden Krankheite­n mitbringen, schrieb er. Auch hätten sie wie die Italiener, Franzosen, Russen und Schweden eher eine olivfarben­e Haut. Sie seien nicht weiß wie die Briten. Methusalix hätte gesagt: Es sind Fremde, die nicht von hier sind. Aber dass die USA heute „great“sind, ist auch ihnen zu verdanken.

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