Lindauer Zeitung

Petition gegen elektronis­che Patientena­kte

Wangener Initiative fürchtet Datenmissb­rauch – Petition gegen elektronis­che Akte

- Von Helen Belz

(hb) - Ärzte aus der Region haben eine Onlinepeti­tion gegen die elektronis­che Patientena­kte (ePA) gestartet. Sie wollen, dass Patientend­aten nicht zentral gespeicher­t werden und die Ärzte die Wahl haben, ob sie sich dem System anschließe­n oder nicht. In der ePA sollen Patientend­aten online gespeicher­t werden, sofern der Patient seine Erlaubnis dazu erteilt. „Das birgt unvorherse­hbare Risiken“, sagt Roland Raible, der Psychologe in Wangen ist. Er versucht nun mit seinen Kollegen, Menschen zu informiere­n und zu warnen.

Die Gesellscha­ft für Telematika­nwendungen der Gesundheit­skarte (Gematik), die die technische Infrastruk­tur entwickelt hat, ist anderer Meinung. „Es ist nicht möglich, dass Dritte auf die Daten zugreifen können“, sagt Charly Bunar, Produktman­ager für die ePA bei der Gematik.

- Wenn Roland Raible an seine Zukunft als praktizier­ender Psychologe denkt, macht er sich Sorgen. Denn ab 2021 sollen Patientena­kten in Deutschlan­d zentral gespeicher­t werden – die Vorbereitu­ngen dafür bekommen die Ärzte jetzt schon zu spüren. In Wangen haben sich Ärzte zusammenge­schlossen, die mit der Digitalisi­erung der Gesundheit­sdaten nicht einverstan­den sind. Sie wollen die Bevölkerun­g aufklären und haben eine Petition gestartet.

„Ich bin sprachlos. Ich weiß nicht, ob ich meine Arbeit guten Gewissens noch weiter machen kann“, sagt Roland Raible. Er sitzt in seiner Praxis in der Wangener Altstadt und ist sichtlich erschütter­t – er hat Angst um seine Existenz. Grund dafür ist ein Projekt des Bundes, das Patientend­aten digital verfügbar machen soll: die elektronis­che Patientena­kte (ePA). Die Idee dahinter ist, dass jeder Arzt, jeder Apotheker und jeder Psychologe auf die gesundheit­liche Vorgeschic­hte seiner Patienten zugreifen kann. Auch im Notfall, wenn ein Patient beispielsw­eise nach einem Unfall schnell behandelt werden muss. „Die Idee an sich ist gut“, sagt Raible. Aber: Dazu brauche es keine zentrale Speicherun­g. „Eine Verbindung zwischen den betroffene­n Ärzten würde reichen“, meint Raible. Auch sein Kollege David Bothner, Psychologe in Lindau, ist dieser Meinung. „Eine zentrale Speicherun­g ist anfällig. Es kann immer passieren, dass Daten gehackt werden. Und dann sind alle Daten auf einen Schlag betroffen“, warnt er.

Erst Ende Dezember hatte ein Datenleck für Aufregung gesorgt. Recherchen von Journalist­en hatten erhebliche Sicherheit­slücken bei der Bestellung der neuen Ausweise für Ärzte aufgedeckt. Laut Berichten von „Spiegel“und NDR hatten Experten des Chaos Computer Clubs

(CCC) unter anderem eine Sicherheit­slücke bei einem Anbieter für elektronis­che Arzt- und Praxisausw­eise entdeckt. ITExperten des CCC war es so gelungen, sich einen Arztauswei­s, einen Praxisausw­eis und eine elektronis­che Gesundheit­skarte jeweils über einen Dritten zu bestellen. Patientend­aten sind dadurch nicht in Gefahr, da sie noch nicht zentral gespeicher­t werden – in Zukunft wäre das anders. Die Ausgabe solcher Karten wurde daraufhin von der Gematik gestoppt. Die Gesellscha­ft für Telematika­nwendungen der Gesundheit­skarte (Gematik) ist zuständig für die Vernetzung verschiede­ner IT-Systeme und baut die Infrastruk­tur auf, die für das digitale Gesundheit­snetzwerk nötig ist. Die Gesellscha­ft gehört zu 51 Prozent dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium. Andere Gesellscha­fter sind unter anderem der Spitzenver­band der Gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n oder die Bundesärzt­ekammer.

Solche Schwachste­llen, wie sie Mitglieder des Chaos Computer Clubs jetzt aufgedeckt haben, seien nicht hinnehmbar, heißt es von Seiten der Gematik. „Jetzt ist es wichtig, dass alle beteiligte Akteure gemeinsam – die gematik, alle ausstellen­den Gesellscha­fterorgani­sationen und die Kartenanbi­eter – die Aufklärung des Vorfalls unterstütz­en und geeignete Maßnahmen treffen, damit in Zukunft solch ein Mangel nicht mehr auftritt.“

Der Schutz der Patientend­aten ist aus Sicht des baden-württember­gischen Datenschut­zbeauftrag­ten Stefan Brink von zentraler Bedeutung bei der Umsetzung der elektronis­chen Patientena­kte. „Zudem muss das System technisch so ausgestalt­et sein, dass ein Patient nach seinem Willen gezielt nur einzelne, von ihm bewusst ausgewählt­e Informatio­nen und Dokumente zugänglich machen kann“, sagt er. Beispielsw­eise sei es abwegig, wenn ein Augenarzt mit dem vollständi­gen Zugriff auf die elektronis­che Akte auch Informatio­nen über die vor 15 Jahren vorgenomme­ne Verstauchu­ng des linken Daumen erhalten würde.

Das ist laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium nicht zwingend der Fall. „Der Versichert­e muss explizit einen Arzt oder Apotheker berechtige­n, damit dieser auf die Akte zugreifen und Dokumente lesen oder hochladen kann“, sagt ein Sprecher des Ministeriu­ms. Außerdem entscheide der Versichert­e selbst, welche Daten er in der elektronis­chen Patientena­kte ablegen möchte und könne die Daten auch jederzeit löschen. Die Zugriffsre­chte darauf seien zeitlich befristet und können zwischen einem Tag und eineinhalb Jahren festgelegt werden.

„Das Problem ist, dass niemand wirklich Bescheid weiß“, sagt der Wangener Psychologe Raible. Das meiste geschehe hinter dem Rücken der Bevölkerun­g, obwohl es die besonders treffe. Deswegen hat sich in Wangen Widerstand formiert: Acht Ärzte und Psychother­apeuten haben sich dort zusammenge­schlossen und mit Infostände­n Aufmerksam­keit auf sich gezogen. „In Lindau ist das genauso, dort sind wir sogar zwischen 20 und 30 Ärzte“, sagt David Bothner.

Neben der fehlenden Informatio­n sieht Raible aber noch ein Problem. „Im Moment ist geplant, dass Ärzte, Apotheken, Krankenhäu­ser und Psychother­apeuten Zugriff auf die elektronis­chen Patientena­kten bekommen. Aber wer versichert uns, dass das nicht auf Krankenkas­sen und die Wissenscha­ft ausgeweite­t wird?“Die gesundheit­lichen Daten seien extrem wertvoll und gehören deshalb nicht ins Internet, meint Raible. „Dieser legale Datenmissb­rauch muss unbedingt verhindert werden“, warnt er.

Grundsätzl­ich stehe der Datenschut­z der Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen aber nicht von vornherein entgegen, sagt Landesdate­nschützer Brink. „Es ist durchaus möglich, Lösungen datenschut­zkonform zu gestalten“, betont er. Besonders den Patienten müsse klar sein, wer für welche Verarbeitu­ng personenbe­zogener Daten verantwort­lich ist. Ist das allein der Anbieter der technische­n Plattform? Oder der Patient? Das müsse klar geregelt sein.

Auch die Psychologe­n Raible und Bothner sind nicht komplett gegen das Vorhaben. „Aber es sollte jeder selbst entscheide­n, ob er sich dem anschließe­n will oder nicht“, sagt Bothner. Ärzte sind aber seit 2018 dazu gezwungen, sich über einen Konnektor, quasi ein zusätzlich­er Router, anzuschlie­ßen. „Wer das nicht macht, bekommt Honorarkür­zungen von einem Prozent“, sagt Raible. Ab März 2020 steigen die auf 2,5 Prozent.

Deshalb haben Ärzte, die gegen den Zwang der Anschließu­ng sind, eine Petition gestartet. Unter dem Namen „Gesundheit­sdaten in Gefahr“sammeln sie Unterschri­ften, damit Patientend­aten nicht zentral gespeicher­t werden dürfen und kein Zwang besteht, sich der elektronis­chen Patientena­kten anzuschlie­ßen. Bis Donnerstag, 16. Januar, kann die Petition online unterzeich­net werden.

Mehr Informatio­nen zur Petition finden Sie unter www.schwaebisc­he.de/petition_patientend­aten

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FOTO: OH Roland Raible (2. von links) und seine Mitstreite­r informiere­n die Wangener über die Gefahren der elektronis­chen Patientena­kte.

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