Lindauer Zeitung

Historisch­er Kitsch

Der neue TV-Film „Das Geheimnis der Freiheit“

- Von Barbara Miller

- Großer Reichtum, großer Einfluss, große Dramen – von den Krupps wird im deutschen Fernsehen gern im Stil der Ewings erzählt; Dallas in Essen. Nach dem Dreiteiler vor zehn Jahren im ZDF mit Iris Berben als Patriarchi­n Bertha Krupp, glaubte der Westdeutsc­he Rundfunk in Köln nachlegen zu müssen. Beleuchtet wird in „Das Geheimnis der Freiheit“ein sehr spezielles Kapitel der Wirtschaft­shistorie des Ruhrgebiet­s: das Zusammentr­effen von Berthold Beitz (1913 2013) und Golo Mann (1909 - 1994). Der Krupp-Generalbev­ollmächtig­te wollte eine umfassende Biografie über Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907 - 1967) haben, der Historiker sollte sie schreiben.

Die Idee zu einem Beitz-Porträt kam von WDR-Programmdi­rektor Jörg Schönenbor­n persönlich. „Mich hat die Opulenz seiner Biografie beeindruck­t“, schreibt er im Programmhe­ft. Beitz war nicht nur einer der prägendste­n Persönlich­keiten im

Wirtschaft­sleben und in der Politik der Nachkriegs­zeit. Er hatte auch noch eine andere Seite: Er hat im Krieg wie Oskar Schindler viele Juden gerettet. Als Leiter der Karpatenöl AG im galizische­n Boryslaw stufte er sie als „kriegswich­tige Arbeitskrä­fte“ein und konnte viele von ihnen vor den Gaskammern bewahren. Yad Vashem ehrte ihn 1973 (und später auch seine Frau) mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“.

Wie also erzählen von diesem Mann, der Juden rettete und dann für den Rüstungsfa­brikanten Krupp arbeitete? Der 1976 ein Viertel der Firmen-Holding an den diktatoris­chen Schah von Persien verkaufte? Ein Mann, der nicht nur die Ostpolitik Willy Brandts befürworte­te, sondern auch mit Erich Honecker auf die Jagd ging und mit alten Nazis zusammenar­beitete? Drehbuchau­tor Sebastian Orlac entdeckte in Zürich Mitschnitt­e von Gesprächen zwischen Berthold Beitz und Golo Mann. Daraus entstand die Grundidee, vom Leben des Berthold Beitz nicht in Form einer Biografie zu erzählen, sondern einen Aspekt herauszupi­cken, um so – wie unter einem Brennglas – den Persönlich­keiten und ihrer Zeit näherzukom­men.

An sich ist der Ansatz nicht uninteress­ant, in diesen beiden Protagonis­ten zwei Menschen aufeinande­rtreffen zu lassen, die auf sehr unterschie­dliche Weise nicht fertig sind mit der Geschichte, die beide an den Traumata des Krieges und des Nationalso­zialismus leiden und die beide ein Problem mit Übervätern haben – Beitz mit Alfried Krupp und Mann mit Thomas Mann.

Die Besetzung ist hervorrage­nd: Edgar Selge spielt den stets zweifelnde­n, grüblerisc­hen Golo Mann, Sven-Eric Bechtolf den zupackende­n Tatmensche­n Beitz, den doch die Geister der Vergangenh­eit nicht loslassen: „All die Menschen, die ich nicht retten konnte, kommen zu mir.“

Dieses Gegenüber so verschiede­ner Charaktere und Biografien könnte durchaus spannend sein. Doch Regisseur Dror Zahavi verliert diese Konstellat­ion völlig aus dem Blick. Statt sich auf ein Kammerspie­l einzulasse­n, in dem zwei Menschen das titelgeben­de „Geheimnis der Freiheit“ergründen und ihren Weg zu innerer Befreiung finden, wird wieder dieser übliche zeithistor­ische Kitsch bemüht. Das deutsche Fernsehen verwendet größere Sorgfalt auf die möglichst originalge­treue Ausstattun­g als auf inhaltlich­e Stringenz. Und wie so oft wird eine ganze Armada an Mimen aufgefahre­n, um in Miniauftri­tten als Helmut Schmidt, Erich Honecker oder Farah Diba über den Schirm zu huschen. Bis man kapiert, wer das sein soll, zack, ist es schon wieder vorbei. Eine Herausford­erung für die Maskenbild­ner, ansonsten sinnfrei.

Der Film ist extrem unruhig, ein ständiges Hin und Her, von Essen nach Zürich, von Teheran nach Warschau. Manches ist lächerlich, wie das kleine Häufchen Aufrechter, das gegen die Aufrüstung protestier­t. Manches peinlich, wie die als demente Katja Mann durch die Räume streifende Erni Mangold. Und dann fallen zwischendr­in so Sätze wie: „Sie retten Juden, und dann widmen sie einem verurteilt­en Kriegsverb­recher ihr Leben. Das verstehe ich nicht.“„Mich muss man nicht verstehen“, entgegnet Beitz. Am Schluss gibt’s noch ein Telekolleg in griechisch­er Geschichte. Bildungsfe­rnsehen light. Der Filmtitel spielt auf ein Zitat an: „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“Das ist von Perikles, glaubt Beitz. „Nein, das hat der Historiker Thukydides ihm nur in den Mund gelegt“, korrigiert Golo Mann.

Übrigens gibt es keine Biografie Alfried Krupps aus der Feder Golo Manns. Von 1973 bis 1981 hat er angeblich monatlich 10 000 Mark von Berthold Beitz bekommen. Am Ende gab er 134 Seiten ab. Beitz ließ das Skript in der Schublade verschwind­en und zahlte Golo Mann eine letzte Rate. Es soll sich um 150 000 Mark gehandelt haben.

Der TV-Film „Das Geheimnis der Freiheit“läuft am heutigen Mittwoch um 20.15 Uhr in der ARD.

 ?? FOTO: WDR ??
FOTO: WDR
 ?? FOTO: WOLFGANG ENNENBACH/WDR ?? Edgar Selge als Golo Mann (links) und Sven-Eric Bechtolf als Krupp-Bevollmäch­tigter im Film „Das Geheimnis der Freiheit“.
FOTO: WOLFGANG ENNENBACH/WDR Edgar Selge als Golo Mann (links) und Sven-Eric Bechtolf als Krupp-Bevollmäch­tigter im Film „Das Geheimnis der Freiheit“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany