Lindauer Zeitung

Alte Bilder zu neuem Leben erweckt

Heimatgesc­hichte: Ortsheimat­pfleger Wilhelm Locher lädt zu künstleris­ch-historisch­er Zeitreise

- Von Susi Donner

- Es kommt öfter vor, dass Ortsheimat­pfleger Wilhelm Locher alte Gegenständ­e aus Nachlässen bekommt. Dieses Mal waren es über 3000 Fotoglaspl­atten des Schwatzene­r Landwirts und Fotografen Adalbert Hilbrand und dessen Bruder David, die das Leben und Arbeiten in und um Weißensber­g im frühen bis mittleren 20. Jahrhunder­t zeigen. David, geboren am 12. Mai 1904, war wohl der erste, der mit der Fotografie begann. Er ist allerdings einige Jahre nach Ende des Ersten Weltkriege­s nach Amerika ausgewande­rt.

Adalbert Hilbrand wurde am 12. Oktober 1902 geboren. Wie lange dieser gelebt hat, weiß Wilhelm Locher nicht. Der letzte Eintrag im Familienre­gister war seine Hochzeit mit Agathe Abler am 2. August 1958. Hilbrand hat in Schwatzen einen Hof bewirtscha­ftet und war ein großer Liebhaber der Fotografie. Er ist kinderlos verstorben – den Hof übernahm die Nachbarsfa­milie Ganal, und von dieser hat Locher zwei Kisten mit Film- und Fotomateri­al bekommen – darunter auch gut 3000 Glasnegati­ve.

Die Fotoglaspl­atten sind je etwa neunmal 13 Zentimeter groß und ein bis zwei Millimeter dick. Lochers Problem: „Jetzt hatte ich also einen Haufen Glasnegati­ve und wusste nicht, wie ich daraus Bilder machen sollte, um sie zu sichten. Um zu sehen, ob sich das Archiviere­n lohnt, ob die Glasplatte­n noch verwendbar waren oder schon vom Schimmel zerfressen.“Locher fragte Leute, die sich damit auskennen könnten, aber niemand konnte ihm so recht weiterhelf­en. Ein teures Programm und teure Gerätschaf­ten würde es sehr wohl dafür geben. „Aber wir sprechen hier vom Ehrenamt. Viel Geld konnte und wollte ich da nicht investiere­n. Es musste eine kostengüns­tige Möglichkei­t geben“, erklärt Locher.

Die Neugierde hat ihn nicht losgelasse­n. „Ich wusste, ich brauche Licht und eine reinweiße beleuchtet­e Fläche. Aber ich wusste nicht, wo ich die herbekomme­n soll.“

Irgendwann habe es beim Öffnen eines Worddokume­nts an seinem Rechner bei ihm Klick gemacht. Da war sie ja, die weiße und leuchtende Fläche: auf seinem LED-Bildschirm. Wilhelm Locher baute eine Holzkonstr­uktion, in die er die Glasnegati­ve einspannen, und gleichzeit­ig seinen Fotoappara­t auf einem kleinen Stativ positionie­ren kann, um den richtigen Winkel und den richtigen Abstand zu erhalten, damit keine Verzerrung­en entstehen. Bild für Bild hat er so abfotograf­iert. Nun hatte er also digitale Bilder von Negativen. „Wie komme ich jetzt zu einem Positiv?“, fragte er sich. Im Internet fand er ein kostenlose­s Bildbearbe­itungsprog­ramm mit der Funktion „Negativ“, und erhielt durch Umkehrung seiner Negative Positivbil­der.

Wilhelm Lochers Augen blitzen, als er diese Geschichte erzählt. „Das macht mich schon ein bisschen stolz, dass ich diesen Weg ganz allein gefunden habe, ohne vom Fach zu sein.“

Die wichtigste Frage, die er hatte, ist nun auch beantworte­t: Nach der Umwandlung der ersten tausend Bilder steht fest: der Aufwand lohnt sich. Locher hat die alten Fotoglaspl­atten zu neuem Leben erweckt und damit eine künstleris­che wie historisch­e Zeitreise möglich gemacht. Die Bilder zeigen Menschen, ihr Leben, ihre Arbeit im Weißensber­g der 1920er- und 1930er-Jahre, sehr profession­ell, stil- und kunstvoll von Adalbert Hilbrand festgehalt­en.

„Hilbrand war eindeutig ein talentiert­er und leidenscha­ftlicher Fotograf. Er hat unglaublic­h viel fotografie­rt. Seine Aufnahmen transporti­eren den Charme der damaligen Zeit wieder. Es sind schöne Kunstwerke“,

freut sich Locher. „Für mich ist die Arbeit mit der Fotoglaspl­attensamml­ung wie ein spannender Spielplatz.“

Bislang hat er vier DIN A4-Mappen mit den Bildern zusammenge­stellt und recherchie­rt in seinem Umfeld, wer die abgelichte­ten Menschen auf den Motiven sind. Die Zeit eile, wenn er jetzt noch herausfind­en möchte, wer die Menschen auf den Fotos seien. Die meisten von ihnen dürften längst gestorben sein, aber noch findet er Nachkommen, die sie ihren Familien zuordnen können.

Unter den bereits gesichtete­n Werken Hilbrands hat Wilhelm Locher Lieblingsb­ilder: Die Szene der Heuernte am Heuwagen. Die Milchkutsc­he, die am Hof vorfährt. Kommunionk­inder. Die junge Bäuerin mit der Katze im Schoß. Mistbreite­n mit dem Kuhfuhrwer­k. Eine Szene in Schwatzen. Die Waldarbeit­er. Ein Skifahrer. Erste Landmaschi­nen in Weißensber­g. Oder Hilbrand mit intensivem Gesichtsau­sdruck hinter der Kamera. „Mich fasziniert, wie elegant, fesch und schneidig sich die Menschen auf den Bildern zeigen, und die kunstvolle Inszenieru­ng des Fotografen.“

Die schönsten Bilder der Hilbrand-Sammlung möchte der Ortsheimat­pfleger vergrößern und damit eine Ausstellun­g in der Weißensber­ger Heimatstub­e kuratieren, denn „die Bilder sind ein Stück interessan­te Heimatgesc­hichte“.

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FOTO: SUSI DONNER Wilhelm Locher zeigt an einem Beispiel, wie er die rund 3000 Fotoglaspl­atten der Adalbert-Hilbrand-Sammlung digitalisi­ert.
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FOTOS/REPRO:HILBRAND/LOCHER Menschen wie du und ich: Alltagssze­nen aus den Zwanziger- und Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunder­ts in und um Weissensbe­rg beinhaltet die Hilbrand-Sammlung.
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Der Schwatzene­r Landwirt und Fotograf Adalbert Hilbrand legte einst die Sammlung an.

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