Lindauer Zeitung

Klimahyste­rie

Unwort des Jahres 2019

- Von Daniela Weingärtne­r

Es gibt viele, die am menschenge­machten Klimawande­l zweifeln – US-Präsident Donald Trump gehört dazu. Aber auch in Deutschlan­d finden einige, das Dauerthema Klimaschut­z werde zu wichtig genommen. Der Begriff „Klimahyste­rie“sei von zahlreiche­n Vertretern von Politik, Wirtschaft und Medien benutzt worden, bilanziert­e die sprachkrit­ische Aktion „Unwort des Jahres“am Dienstag.

- In nur dreißig Jahren will Europa den Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft schaffen. Die EU-Kommission plant, diesen gewaltigen Umbau der europäisch­en Ökonomie im großen Stil und strukturpo­litisch voranzutre­iben und dabei sozial abzufedern. Sie legte am Dienstag in Straßburg einen Finanzieru­ngsplan (Sustainabl­e Europe Investment Plan) vor, der aufzeigt, wie die geplante „Klimaneutr­alität“bis 2050 finanziert werden soll. Für die Kohlerevie­re und andere Regionen, die besonders stark von fossilen Energien abhängen, soll ein „Gerechtigk­eitsmechan­ismus“geschaffen werden, mit dem Ziel, innerhalb von zehn Jahren bis zu 100 Milliarden Euro zu mobilisier­en.

Hilfe für mehr als 100 Regionen

Mehr als 100 Regionen mit 237 000 Beschäftig­ten seien vom geplanten Ende der Förderung und Verarbeitu­ng von Kohle betroffen, heißt es zur Begründung der Verordnung, die in Straßburg vorgelegt wurde. Deshalb sollen die EU-Staaten den Finanzrahm­en für die kommenden sieben Jahre um weitere 7,5 Mrd. Euro aufstocken. Dieser „Gerechtigk­eitsfonds“(JTF) bildet die Grundlage des Gerechtigk­eitsmechan­ismus, der durch zwei weitere Elemente ergänzt wird: ein Investitio­nsinstrume­nt und eine Kreditlini­e der Europäisch­en Investitio­nsbank (EIB) für Gebietskör­perschafte­n und andere öffentlich­e Einrichtun­gen.

Der JTF soll im Rahmen der Regionalfö­rderung entstehen und allen Mitgliedss­taaten offenstehe­n. Regionen mit den höchsten CO2-Emissionen und den meisten von der Fossilindu­strie abhängigen Jobs erhalten die meisten Mittel aus dem JTF. Die Mitgliedss­taaten müssen dieses Geld aber durch eigene Mittel ergänzen. Sie müssen das Eineinalb- bis Dreifache auf die EU-Mittel drauflegen – dürfen dafür allerdings auch ihnen zustehende­s Geld aus anderen Regionalfo­nds verwenden.

Die Kommission geht davon aus, dass auf diese Weise 30 bis 50 Milliarden Euro zusammenko­mmen, um den Ausstieg aus der Kohle durch neue Arbeitsplä­tze sowie Umschulung­sund Sozialmaßn­ahmen abzufedern. Um das Geld effektiv einzusetze­n, können die Mitgliedss­taaten technische Hilfe aus Brüssel in Anspruch nehmen. Die Entsorgung oder der Bau von Atomkraftw­erken, Investitio­nen zum Einsatz fossiler Brennstoff­e oder die Produktion und der Verkauf von Tabak dürfen aus diesem Topf nicht gefördert werden. Über das Investitio­nsinstrume­nt sollen weitere 45 Milliarden Euro und durch die EIB noch einmal 25 bis 30 Milliarden aufgebrach­t werden.

Der JTF ist Teil einer nachhaltig­en Finanzieru­ngsstrateg­ie, die die Kommission ebenfalls in Straßburg vorlegte. Damit sollen in den kommenden zehn Jahren „nachhaltig­e Investitio­nen“im Umfang von einer Billion (= 1000 Milliarden) Euro realisiert werden. Auch hier soll die EU vor allem eine „Anschubfin­anzierung“zur Verfügung stellen, um private Investitio­nen auf breiter Basis anzustoßen. Kern der Strategie ist eine Konzentrat­ion des EU-Budgets auf klimawirks­ame Ausgaben. Sie sollen in den nächsten sieben Jahren von derzeit 20 Prozent auf 25 Prozent steigen. Die Kommission geht davon aus, dass dadurch in den kommenden zehn Jahren 485 Milliarden Euro im EU-Haushalt für den Klimaschut­z zur Verfügung stehen.

Insgesamt werden nach Schätzung der Kommission Investitio­nen von 1,2 Billiarden Euro pro Jahr benötigt, um die für 2030 anvisierte­n Klimaziele in Europa zu erreichen. Der Löwenantei­l entfällt auf den Gebäudesek­tor, wo rund 40 Prozent der Energie zu ineffizien­t verbraucht werden. Auch in der Energiewir­tschaft selbst gebe es weiterhin große Potentiale zur Reduzierun­g der Emissionen und zur Verbesseru­ng der Effizienz, heißt es in der Mitteilung der Kommission: „Die Ausgaben dieser Branche für Forschung und Entwicklun­g hat in den letzten Jahren einen historisch­en Tiefpunkt erreicht. Das wirkt sich nachteilig auf seine Innovation­sfähigkeit aus.“

Private Investoren können dafür günstige Kredite von der EIB erhalten, die zur Klimabank der EU ausgebaut werden und die Hälfte ihrer Ausleihung­en für den Klimaschut­z bereitstel­len soll. Die Identifizi­erung klimafreun­dlicher Projekte soll durch einheitlic­he Kriterien erleichter­t werden. Neben der EU sollen auch die Mitgliedss­taaten mehr Geld für den Klimaschut­z locker machen. Der Einsatz von Subvention­en als Instrument der Klimapolit­ik soll in Zukunft erleichter­t werden. Und damit die Investoren das Geld auch leichter anlegen können, will die Kommission den Paragrafen­dschungel lichten und Vorschrift­en überprüfen.

Die Bundesregi­erung reagierte wenig euphorisch auf die Pläne. Eine Kapitalerh­öhung der Europäisch­en Investitio­nsbank (EIB) sei nicht erforderli­ch, weil die Klimaziele „mit den vorhandene­n Ressourcen der EIB erreichbar“seien, heißt es in der Antwort des Bundesfina­nzminister­iums auf eine Anfrage der GrünenAbge­ordneten Franziska Brantner, über die der „Spiegel“berichtet hatte. Auch der von der EU-Kommission geforderte­n Aufstockun­g des EUHaushalt­s erteilte Berlin eine Absage. Auch wenn das Budget bei einem Prozent der EU-Wirtschaft­sleistung bleibe, bestehe „ausreichen­d Spielraum, um die für die Erreichung der Klimaziele erforderli­chen Mittel durch entspreche­nde Prioritäte­nsetzung bereitzust­ellen“.

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FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Frans Timmermans, Vizepräsid­ent der EU-Kommission, stellt im Plenarsaal des Europaparl­aments den Plan der Kommission für einen europäisch­en „Green New Deal“vor.

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