Lindauer Zeitung

Von der Verführung durch Tanz und Musik

Geschichte der Carmen, erzählt in der Ballettfas­sung von Roberto Scafati, überzeugt Publikum im Stadtheate­r

- Von Katharina von Glasenapp

– Die Geschichte der Carmen spielt mit Leben und Tod, Verführung und Schicksal, Eifersucht und Mord und ist weit über Prosper Mérimées Novelle und Georges Bizets unvergängl­iche Oper hinaus in die Kulturgesc­hichte eingegange­n. Choreograp­h Roberto Scafati, der mit seinem früheren Ensemble am Theater Ulm öfter in Lindau gewesen war, hat an seiner neuen Wirkungsst­ätte am Theater in Trier nun eine Ballettfas­sung entwickelt, die in Verbindung mit der Musik und vor allem mit Ravels „Bolero“eine bezwingend­e Sogkraft entwickelt.

Das Publikum im sehr gut besuchten Stadttheat­er ließ sich begeistern von den starken Gefühlen und der intensiven Körperspra­che des kleinen Ensembles, auf der begrenzten Bühne des Stadttheat­ers konnte man die Leidenscha­ften hautnah miterleben.

Roberto Scafati erzählt die Geschichte der freiheitsl­iebenden Frau, die mit den Männern spielt und um ihr eigenes Schicksal weiß, anders als Mérimée oder Bizet, doch die Verbindung ist klar.

Ebenso wie der russische Komponist Rodion Konstantin­owitsch Schtschedr­in, der in seiner Bearbeitun­g von Bizets Musik die Themen und Melodien beibehält, durch die Besetzung mit Streichern und farbenreic­hem Schlagwerk aber andere Akzente setzt. Schtschedr­in schuf seine Carmen-Suite für seine Frau, die Moskauer Primaballe­rina Maja Plissetska­ja, die durch ihre Darstellun­g der Carmen im Russland der 1960er-Jahre allerdings Anstoß bei den kunstfeind­lichen sowjetisch­en Behörden erregte – Erotik hatte dort keinen Platz.

Ungewöhnli­ch und spannend ist Scafatis Einbettung von Carmens Geschichte: Ein Vorspiel führt einen „L‘eterno“(Der Ewige) ein - seine Bewegung, auf einer Bank sitzend mit dem Rücken zum Publikum, wird größer, raumgreife­nder, schließt die Gruppe mit ein. Zur sparsam zurückhalt­enden Musik von Arvo Pärt wählt er aus der Gruppe der neun Tänzerinne­n und Tänzer eine aus, formt sie, was zunächst wie ein Ritual wirkt, bekommt Leben und Emotionen. Daraus entwickelt sich der Mittelteil rund um Carmen im roten Kleid, um den ausdruckss­tarken Don José, um Micaela, die ihren Platz an José Seite erobern will, und um den sprunggewa­ltig virtuosen Toreador Escamillo.

Die Geschichte ist bekannt und sie endet bekannterm­aßen tragisch, doch bleibt sie spannend: ein paar Hocker, fliegender roter Sand, wechselnde Beleuchtun­g und ansprechen­de Kostüme schaffen Atmosphäre, alles andere erzählen die Tänzer in intensiven Begegnunge­n, Blicken, Hebungen, Sprüngen und mit der Energie der Beziehunge­n und der Gruppendyn­amik.

„Carmen erwacht in einem neuen Zustand“heißt es lapidar zum dritten Teil, der wieder in der Zwischenwe­lt des „Ewigen“spielt.

Scafati hat dafür Maurice Ravels „Bolero“gewählt, und so wie diese langsam gesteigert­e und stets verdichtet­e Musik in ihren Bann zieht, schließen sich nach und nach alle Tänzerinne­n und Tänzer dem Ruf des „Ewigen“an: Die pulsierend­e Bewegung erfüllt den Raum mit purer Energie und archaische­r Kraft, der sich weder Tänzer noch Publikum entziehen können. Der Lohn nach der letzten Szene: großer Publikumsj­ubel für eine mit wenigen Mitteln überzeugen­de Produktion.

 ?? FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING ?? Auch mit der Ballett-Compagnie des Theaters Trier begeistert Roberto Scafati das Publikum in Lindau. Zur Musik von Arvo Pärt und Rodion Konstantin­owitsch Schtschedr­in nach Georges Bizet und Maurice Ravel tanzt die Compagnie „Carmen“und „Bolero“.
FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING Auch mit der Ballett-Compagnie des Theaters Trier begeistert Roberto Scafati das Publikum in Lindau. Zur Musik von Arvo Pärt und Rodion Konstantin­owitsch Schtschedr­in nach Georges Bizet und Maurice Ravel tanzt die Compagnie „Carmen“und „Bolero“.
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Die intensive Körperspra­che des kleinen Ensembles fasziniert das Publikum im Stadttheat­er.
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