Von der Verführung durch Tanz und Musik
Geschichte der Carmen, erzählt in der Ballettfassung von Roberto Scafati, überzeugt Publikum im Stadtheater
– Die Geschichte der Carmen spielt mit Leben und Tod, Verführung und Schicksal, Eifersucht und Mord und ist weit über Prosper Mérimées Novelle und Georges Bizets unvergängliche Oper hinaus in die Kulturgeschichte eingegangen. Choreograph Roberto Scafati, der mit seinem früheren Ensemble am Theater Ulm öfter in Lindau gewesen war, hat an seiner neuen Wirkungsstätte am Theater in Trier nun eine Ballettfassung entwickelt, die in Verbindung mit der Musik und vor allem mit Ravels „Bolero“eine bezwingende Sogkraft entwickelt.
Das Publikum im sehr gut besuchten Stadttheater ließ sich begeistern von den starken Gefühlen und der intensiven Körpersprache des kleinen Ensembles, auf der begrenzten Bühne des Stadttheaters konnte man die Leidenschaften hautnah miterleben.
Roberto Scafati erzählt die Geschichte der freiheitsliebenden Frau, die mit den Männern spielt und um ihr eigenes Schicksal weiß, anders als Mérimée oder Bizet, doch die Verbindung ist klar.
Ebenso wie der russische Komponist Rodion Konstantinowitsch Schtschedrin, der in seiner Bearbeitung von Bizets Musik die Themen und Melodien beibehält, durch die Besetzung mit Streichern und farbenreichem Schlagwerk aber andere Akzente setzt. Schtschedrin schuf seine Carmen-Suite für seine Frau, die Moskauer Primaballerina Maja Plissetskaja, die durch ihre Darstellung der Carmen im Russland der 1960er-Jahre allerdings Anstoß bei den kunstfeindlichen sowjetischen Behörden erregte – Erotik hatte dort keinen Platz.
Ungewöhnlich und spannend ist Scafatis Einbettung von Carmens Geschichte: Ein Vorspiel führt einen „L‘eterno“(Der Ewige) ein - seine Bewegung, auf einer Bank sitzend mit dem Rücken zum Publikum, wird größer, raumgreifender, schließt die Gruppe mit ein. Zur sparsam zurückhaltenden Musik von Arvo Pärt wählt er aus der Gruppe der neun Tänzerinnen und Tänzer eine aus, formt sie, was zunächst wie ein Ritual wirkt, bekommt Leben und Emotionen. Daraus entwickelt sich der Mittelteil rund um Carmen im roten Kleid, um den ausdrucksstarken Don José, um Micaela, die ihren Platz an José Seite erobern will, und um den sprunggewaltig virtuosen Toreador Escamillo.
Die Geschichte ist bekannt und sie endet bekanntermaßen tragisch, doch bleibt sie spannend: ein paar Hocker, fliegender roter Sand, wechselnde Beleuchtung und ansprechende Kostüme schaffen Atmosphäre, alles andere erzählen die Tänzer in intensiven Begegnungen, Blicken, Hebungen, Sprüngen und mit der Energie der Beziehungen und der Gruppendynamik.
„Carmen erwacht in einem neuen Zustand“heißt es lapidar zum dritten Teil, der wieder in der Zwischenwelt des „Ewigen“spielt.
Scafati hat dafür Maurice Ravels „Bolero“gewählt, und so wie diese langsam gesteigerte und stets verdichtete Musik in ihren Bann zieht, schließen sich nach und nach alle Tänzerinnen und Tänzer dem Ruf des „Ewigen“an: Die pulsierende Bewegung erfüllt den Raum mit purer Energie und archaischer Kraft, der sich weder Tänzer noch Publikum entziehen können. Der Lohn nach der letzten Szene: großer Publikumsjubel für eine mit wenigen Mitteln überzeugende Produktion.