Lindauer Zeitung

Wenn es um Leben und Tod geht

Polizist Rainer Fuhrmann leitete die Verhandlun­gsgruppe des Präsidiums Schwaben Süd/West – Besonders dramatisch war ein Amok-Alarm

- Von Anna Kabus

- Ein Familienst­reit eskaliert – der Täter hat sich mit einer Geisel verbarrika­diert und droht sie umzubringe­n. Die Polizei steht vor verschloss­enen Türen, die Lage kann jederzeit aus dem Ruder laufen. Was sich anhört wie eine Szene aus einem Action-Film, wurde für Rainer Fuhrmann oft Realität. Der 59-jährige Erste Polizeihau­ptkommissa­r leitete von 2010 bis 2019 die Verhandlun­gsgruppe des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West. Er rückte mit seinem Team immer an, wenn es brenzlig wurde. Etwa 20 Einsätze hat die Gruppe im Jahr.

Ziel dieser Einheit ist es, den Kontakt zum Täter herzustell­en und ihn zum Aufgeben zu bewegen. Familiäre Streitigke­iten, die eskalieren, machen dabei etwa die Hälfte aller Einsätze aus, schätzt Fuhrmann. Ein weiterer Großteil der Einsätze sind Suizidgefa­hren. „Dann versuchen wir demjenigen zu zeigen: Das Leben ist lebenswert“, sagt der Memminger. „Man kann mit der halben Welt zerstritte­n sein – es gibt trotzdem immer jemanden, dem man wichtig ist.“Dies kann zum Beispiel auch ein Haustier sein, das sein Herrchen oder Frauchen vermissen würde.

Doch um solch einen emotionale­n Zugang zu der jeweiligen Person zu finden, muss sich die Verhandlun­gsgruppe erst die entspreche­nden Informatio­nen beschaffen. Hier ist Teamwork gefragt: Während der Sprecher der Verhandlun­gsgruppe den Kontakt zum „Täter“aufbaut, versuchen die anderen Teammitgli­eder, mehr über denjenigen herauszufi­nden – beispielsw­eise, indem sie Angehörige oder Freunde befragen. Jede Informatio­n kann in dem Moment wichtig sein – selbst, wenn es nur der LieblingsS­portverein ist: „Ich hatte schon Fälle, wo wir wussten, derjenige ist zum Beispiel Bayern-Fan“, erinnert sich der Polizist. Über dieses Gesprächst­hema sei es dann gelungen, Empathie aufzubauen und die Situation letztlich zu entschärfe­n.

So dramatisch wie die Fälle manchmal auch waren: Gerade die Herausford­erung war es, die Fuhrmann immer an dieser Aufgabe gereizt hat, wie er selbst sagt. „Am Anfang blocken sie fast alle ab und möchten nicht mit uns sprechen.“Doch irgendwie fand er mit seinem Team immer einen Weg, um den Draht herzustell­en. Manchmal müsse man sich eben was einfallen lassen: „Wir nutzen zum Beispiel auch soziale Medien.“

Auch wenn das Team in etwa 95 Prozent der Fälle erfolgreic­h ist, gebe es immer wieder Einsätze, die den Polizisten nahegingen, erzählt Fuhrmann. Er erinnert sich zum Beispiel an einen Fall, bei dem eine Kollegin fast zwei Stunden mit einer suizidalen Person gesprochen hat, die sich am Ende doch erschoss. „Natürlich überlegt man dann: Was habe ich falsch gemacht? Hätte ich anders vorgehen müssen? Aber wenn ich nicht in der Lage wäre, manches auch abzuhaken, dann könnte ich meinen Job nicht machen.“Das gelte auch für seine hauptamtli­che Tätigkeit als Leiter der Autobahnpo­lizei Memmingen, bei der er regelmäßig mit tödlichen Unfällen konfrontie­rt werde.

Ein besonders ungewöhnli­cher Einsatz wird ihm jedoch für immer in

Erinnerung bleiben: 2012 gab ein Memminger Schüler mehre Schüsse in der Lindenschu­le ab und floh. „Damals war die ganze Stadt in Aufruhr, man wusste lange gar nicht, wo er sich aufhielt.“Das SEK spürte ihn nach mehreren Stunden auf dem Steinheime­r Sportplatz auf. Dort spitzte sich die Lage zu: „Es war schon heftig – er hat auf Polizisten geschossen“, erinnert sich Fuhrmann. Die Waffe richtete der Schüler schließlic­h auch gegen sich selbst. Die Verhandlun­gsgruppe schaffte es aber, über den Außenlauts­precher eines gepanzerte­n Fahrzeugs Kontakt zu dem Jungen aufzunehme­n. „Das Problem daran war: Er hat uns gehört, aber wir ihn nicht“, sagt Fuhrmann. Die Beamten haben ihm deshalb ein Funkgerät hingelegt, welches der Bub nahm. So konnte der gegenseiti­ge Kontakt hergestell­t und die Situation unblutig beendet werden.

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FOTO: KABUS Rainer Fuhrmann

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