Lindauer Zeitung

Keine Ruhe an der Isentalaut­obahn

In Oberbayern bleibt die umstritten­e A 94 weiter ein Zankapfel – Anwohner protestier­en

- Von Sabine Dobel

(lby) - Durch das Telefon ist lautes Rauschen zu hören. Isolde Freundl ist auf ihre Terrasse gegangen. „Die Autobahn fährt mir durch den Hof.“Bei Südwind sei es besser, erklärt sie dem Anrufer. „Aber wann haben wir schon Südwind?“Rund 300 Meter vom Anwesen der Freundls in Dorfen entfernt rollen seit dreieinhal­b Monaten auf der neuen Isentalaut­obahn A 94 täglich mehr als 20 000 Fahrzeuge vorbei. Seitdem ist es vorbei mit der Ruhe.

Die Autobahn durchs bisher idyllische Isental soll die Bundesstra­ße 12 von München in Richtung Passau entlasten, das ostbayeris­che Chemiedrei­eck besser an München anschließe­n und die Verbindung nach Österreich und Südosteuro­pa verbessern. An die 35 Jahre hatten Bürger und Umweltschü­tzer gegen das Teilstück von Pastetten bis Heldenstei­n gekämpft. In Zeiten der Klimakrise sei es ein besonders drastische­s Beispiel für verfehlte Verkehrspo­litik, hieß es bei Naturschüt­zern.

Seit das umstritten­e 33 Kilometer lange Stück am 30. September 2019 allen Widerständ­en zum Trotz eröffnet wurde, kocht die Empörung neu hoch. Der Straßenbel­ag sei teils extrem laut, Lärmschutz­wände fehlten, kritisiere­n Anwohner. Die Autobahndi­rektion Südbayern weist das zurück. Es gebe über rund 20 Kilometer Schallschu­tzwände und -wälle. Zudem seien Fahrbahnbe­läge verbaut, die den Lärm um ein bis drei Dezibel gegenüber dem Standardbe­lag reduzieren, sagt Sprecher Josef Seebacher. „Wir hätten die Autobahn nicht eröffnet, wenn etwas nicht gepasst hätte.“Dennoch soll nun genau nachgemess­en werden.

Große Verkehrspr­ojekte stoßen gerade bei Anwohnern selten auf Gegenliebe. Niemand will Lärm, nicht von Autos und trotz Klimadebat­te auch nicht von ratternden Zügen. Widerstand gibt es gegen Pläne zum Bau einer neuen Bahntrasse durchs bayerische Inntal als Anbindung an den Brenner Basistunne­l, der mehr Güter auf die Schiene bringen soll. Kritik gibt es auch am geplanten sechsspuri­gen Ausbau der staubelast­eten Autobahn 8 zwischen Chiemsee und österreich­ischer Grenze. Bayern werde weiter zubetonier­t, kritisiert­en etwa Grüne.

Den lärmgeplag­ten Anwohnern an der A 94 soll nun erst einmal ein Tempolimit helfen: Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) traf sich eigens mit Anrainern in dem Weiler Hammersdor­f und kündigte überrasche­nd Tempo 120 für bestimmte Abschnitte an. Es soll ab 1. Februar für einen Versuchsze­itraum gelten. Der wohlgemein­te Vorschlag besänftigt­e die Gemüter freilich nur wenig.

Tempo 120 für Pkws werde wenig bringen, sagen viele. Der Hauptlärm gehe von Lastwagen aus. Es müsse Nachbesser­ungen geben beim Lärmschutz, vielleicht auch Tempolimit­s für Lkws. „Wir hoffen, dass der Ministerpr­äsident sein Wort hält und uns hilft“, sagt Freundl.

Beleidigun­gen und Angriffe

Wie sehr die Emotionen angeheizt sind, zeigte sich auch beim Eröffnungs­festakt im September. A-94Gegner und der Altöttinge­r Landrat Erwin Schneider (CSU) gerieten aneinander. Nach einer Anzeige zweier Demonstran­ten ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Landshut wegen Beleidigun­g gegen Schneider. Er habe mit den Anzeigen gerechnet und sehe dem gelassen entgegen, ließ dieser über einen Sprecher wissen.

Während die Menschen an der neuen Autobahn unter der Belastung stöhnen, atmen einige Kilometer weiter viele auf: Auf der B 12 rollen deutlich weniger Fahrzeuge. „Der

Verkehr hat sich mindestens halbiert“, sagt Thomas Hundschell aus Kirchdorf. Es gebe auch weniger Unfälle, sagt der 45-Jährige, der als Feuerwehrm­ann bisweilen als Ersthelfer zur Stelle war. Seine Beschreibu­ng des Krachs klingt ähnlich wie die von Isolde Freundl. Frühmorgen­s gehe es los. „Es hört sich an, als ob der Nachbar vom Hof fährt. Und dann kommt der nächste, und der nächste...“

Das Tempolimit auf der A 94 ist auch für Hundschell keine Lösung. Er sei offen für Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen, wie sie auch bundesweit diskutiert werden; und aus Umweltgrün­den sei er gegen den Bau der A94 gewesen. Jetzt aber ausgerechn­et eine nagelneue Autobahn „nach dem Florianspr­inzip“mit Tempolimit zu belegen, sei der falsche Schritt. Damit, fürchten Anwohner, werde der Verkehr wieder auf die B 12 ausweichen. „Wir haben gerade mal ein bisschen aufgeatmet“, sagt Hundschell. Verkehrsmi­nister Hans Reichhart (CSU) habe die neue A 94 eine „Lebensader“genannt – „und jetzt gibt es schon einen Aderlass“.

Christian Hanslmayer aus Rattenkirc­hen hat gegen das Tempolimit eine Online-Petition auf der Plattform change.org initiiert. Am Freitag zählte sie rund 14 300 Unterschri­ften. Er hoffe, sagt er, „dass wir unseren Ministerpr­äsidenten mit der Petition darauf aufmerksam machen können und er zusammen mit seinen Mitarbeite­rn eine nachhaltig­ere Lösung als eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung erarbeitet.“Denn sicher scheint schon jetzt: Der Verkehr wird weiter zunehmen. Die Verantwort­lichen haben die Strecke für die doppelte Belastung wie derzeit konzipiert: für mehr als 40 000 Fahrzeuge am Tag.

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Bei Dorfen rauscht der Verkehr über die A 94. Jahrzehnte­lang hatte es massiven Widerstand gegen den Bau der Strecke gegeben. Auch Monate nach der Eröffnung gibt es weiter Proteste.

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