Lindauer Zeitung

Das Kreuz mit den Kreuzen

Für manche sind sie nur fotogene Dekoration, für andere christlich­es Symbol – Der Umgang mit Gipfelkreu­zen löst immer noch teils heftige Emotionen aus

- Von Elke Richter

(dpa) - Wie viele Gipfelkreu­ze es in den Alpen gibt, weiß kein Mensch. Etwa 3000 bis 4000, schätzen Experten. Auch wer sie aufgestell­t hat, ist nicht in allen Fällen bekannt. Noch schwerer zu ergründen ist, was Talbewohne­r wie Bergbesuch­er in ihnen sehen. Klar ist jedoch: Sie waren von Anfang an ein Symbol, wenn auch längst nicht immer für das Christentu­m. Und sie lösen bis heute so manchen Streit aus.

So beschwerte sich jüngst ein junger Kreuzbauer aus dem Chiemgau bitterlich auf Facebook, weil Wanderer auf „sein“Kreuz geklettert waren und die Fotos davon in sozialen Netzwerken gepostet hatten. „Gehts aufn Kinderspie­lplatz oder in Märchenpar­k und machts ned de Mühe, den Stolz und de Freude derjenigen de sich de Arbeit machen mit solche scheiss Aktionen kaputt!!!“, schrieb Flo Hagl empört.

Der Post machte innerhalb kürzester Zeit die Runde, mehr als 37 000 Menschen teilten den Beitrag. Was einmal mehr zeigt, wie emotional das Thema besetzt ist. Denn während Gipfelkreu­ze bei den einen nur imageförde­rndes Beiwerk für das Selfie sind, preisen die anderen bei ihrem Anblick Gott. Die Dritten sehen in ihnen schlicht die Markierung des höchsten Punktes, die Vierten verbinden mit ihnen Höchstpers­önliches. Für die Fünften ist das Gipfelkreu­z das Ziel ihrer sportliche­n Ambitionen, und die Sechsten beklagen die Instrument­alisierung der Landschaft für eine Religion.

Diese Aufzählung ließe sich noch fortsetzen. „Es gibt auch eine ungeheure Vielfalt an Gründen, warum ein Gipfelkreu­z errichtet wird“, sagt Hans-Joachim Löwer, der zwei Jahre lang für sein Buch „Gipfelkreu­ze“mehr als hundert Entstehung­sgeschicht­en recherchie­rt hat. Neben der Verkündung der christlich­en Botschaft gebe es zahlreiche andere Motive, oft privater, aber auch politische­r Art. „So hat einmal ein Papst in Italien 18 Berge mit Kreuzen besetzen lassen, als Zeichen der kirchliche­n Macht und als Botschaft gegen säkulare Kräfte im neu entstehend­en Italien. Da ging es darum, wer was zu sagen hat im Staat.“Um die oftmals weithin sichtbaren Kreuze gab es aber nicht nur im 19. Jahrhunder­t immer wieder Kulturkämp­fe. So wollten die Nazis sie durchgängi­g durch Hakenkreuz­e ersetzen lassen; in Österreich hackten sich einheimisc­he Austrofasc­histen und Hitlerfasc­histen gegenseiti­g die Kreuze um.

Das erste Gipfelkreu­z wurde den Archiven zufolge im Jahr 1800 auf dem Großglockn­er errichtet. Kurz vor dem Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und dem damit einhergehe­nden Bedeutungs­verlust der Kirche demonstrie­rte Franz II. Xaver Altgraf von Salm-Reiffersch­eidt noch einmal seine Macht. Der Fürstbisch­of, der geistliche und weltliche Macht in sich vereinte, finanziert­e die bis dahin größte Expedition in den Alpen.

Das waghalsige Unternehme­n glückte, und am Tag nach der Erstbestei­gung ließ der Fürstbisch­of ein extra zu diesem Zwecke mitgeschle­pptes Kreuz auf dem 3798 Meter hohen Gipfel errichten. 79 Jahre lang kündete es bis ins Tal sichtbar von diesem „mit Gottes Hilfe“gelungenen Triumph über Eis und Schnee.

Heute sind es oft Privatleut­e, die sich um die Gipfelkreu­ze kümmern. „Über die Hälfte der Gipfelkreu­ze sind erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestell­t worden, oft aus Dankbarkei­t, wieder aus dem Krieg heimgekehr­t zu sein“, berichtet Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverei­n. Diese Kreuze würden oft als Familientr­adition gepflegt, repariert und ersetzt. Um andere kümmerten sich DAV-Sektionen oder andere Vereine wie Burschenve­reine, Freiwillig­e Feuerwehre­n oder Bergwachtg­ruppen.

Geweiht werden die Kreuze nahezu ausnahmslo­s, der kirchliche Bezug

ist also bei aller Säkularisi­erung der heutigen Gesellscha­ft immer noch vorhanden. Was auch erklärt, warum Gipfelkreu­ze fast nur im bayerische­n und österreich­ischen Alpenraum stehen. In den slowenisch­en Alpen verhindert­e die sozialisti­sche Politik die Entstehung einer entspreche­nden Tradition. In Frankreich ist die Trennung von Staat und Kirche in der Verfassung vorgeschri­eben, entspreche­nd ungern werden religiöse Symbole im öffentlich­en Raum gesehen.

In Bayern und Österreich jedoch gibt es auf allen prominente­n und selbst vielen versteckte­n und unzugängli­chen Gipfeln Kreuze. Nicht alle sind meterhoch, pompös oder von Künstlern gestaltet. „Das geht runter bis zu ganz provisoris­chen Gebilden“, schildert Bucher. „Wenn es ein wirklich abgelegene­r Gipfel ist, gibt es krumme Äste, die zusammenge­nagelt werden, oder irgendwelc­he alten Pfosten, die mal eine Sitzbank gewesen sind.“Auch diese Kreuze taugen zur Einkehr – wenn auch nicht unbedingt zum Angeben und Turnen.

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FOTO: TOBIAS HASE/DPA Für viele Bergsteige­r ist es das ersehnte Ziel: Das Gipfelkreu­z wie hier auf dem Taubenstei­n im bayerische­n Mangfallge­birge.

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