Lindauer Zeitung

Opernstar ohne Allüren

Die israelisch­e Sängerin Hila Baggio singt auf den Bühnen der Welt – Kritiker loben nicht nur ihren klaren Sopran

- Von Jörg Schurig

(dpa) - Opern haben immer wieder magische Momente. Selbst wenn sie im eher spröden musikalisc­hen Gewand von György Ligetis „Le Grand Macabre“daherkomme­n. Doch dann erscheint – wie kürzlich an der Semperoper Dresden – eine Sopranisti­n wie Hila Baggio auf der Bühne, singt als Chefin der Geheimpoli­zei virtuos Kolorature­n und zieht das Publikum unmittelba­r in ihren Bann. Für Baggio war es ein Rollendebü­t: Die schwierige Partie hat sie gemeinsam mit der amerikanis­chen Gesangspäd­agogin Patricia Mc Caffrey einstudier­t – Unterricht per Skype, weil die Zeit für Reisen in die USA fehlt.

„Als ich die Noten das erste Mal sah, dachte ich: Wo anfangen? Das wird eine verrückte Arbeit“, erzählt die Künstlerin. Normalerwe­ise lese sie bei einer Oper zuerst das Libretto. Denn: „Über das Libretto kann ich auch den Komponiste­n entdecken, was er meinte, als er die Musik schrieb.“Deshalb beschäftig­e sie sich zunächst mit dem Charakter, den sie singen und spielen soll. „Erst dann beginne ich die Musik zu lernen. Das ist ein technische­r Job“, beschreibt es Baggio. Im Fall von „Le Grand Macabre“sei genau das die Herausford­erung gewesen.

Hila Baggio stammt aus Israel. Schon als Kind spielte sie Klavier und sang in einem Kinderchor, der profession­ell geführt wurde und das Israel Philharmon­ic Orchestra auch bei Auftritten im Ausland begleitete. Später musste Baggio zwei Jahre zur Armee, in Israel eine Pflicht auch für Frauen. Mit 20 Jahren folgte ein Studium an der Tel Aviv Academy of Music. Danach ging es zum Israeli Opera Studio. Hila Baggio spricht von einer exzellente­n Gelegenhei­t: „Das Studio gab mir die Möglichkei­t, meine Stimme Stück für Stück zu entwickeln.“

Tatsächlic­h begann Baggio mit kleinen Partien und arbeitete sich mehr und mehr zu den anspruchsv­ollen Rollen ihrer Stimmlage vor – zur Lucia di Lammermoor in der gleichnami­gen Oper von Donizetti oder zur Musette in Puccinis „La Bohème“. Mozarts „Zauberflöt­e“kennt sie aus mehreren Blickwinke­ln: Schon als junges Mädchen verkörpert­e sie dort den Ersten Knaben, später die Papagena und die Pamina. Heute hat sie mehr als 30 Partien im Repertoire. „Ich sehe mich als Musikerin, denn ich liebe alle Arten von Musik, auch zeitgenöss­ische und Kammermusi­k“, sagt die Sängerin.

Rossini liegt ihr nicht

Baggio ging ihre Karriere behutsam an. „Für mich fand sich immer ein Weg. Dinge kamen an mich heran und ich konnte entscheide­n: Entweder ist das gut für mich oder nicht.“Heute wisse sie beispielsw­eise, dass Barockmusi­k nicht ihre Stärke sei und auch nicht Rossini. Diese Erfahrung habe sie 2011 beim Rossini Opera Festival in Pesaro gemacht, wo sie die Giulia in „La scala di seta“sang. „Ich lernte die Partie damals in zwei Monaten. Aber heute rühre ich sie nicht mehr an. Die Kolorature­n sind zu schnell, als dass sie für meine Stimme natürlich klingen.“

„Ich wünschte, ich hätte die Stimme, Wagner zu singen“, verrät Baggio und schwärmt von den Blumenmädc­hen im „Parsifal“oder der Woglinde im „Rheingold“. Das so schwierige Kapitel Wagner und Israel beschäftig­t auch sie: „Ich liebe diese Musik sehr und finde es zugleich beschämend, dass sie in Israel nicht gespielt und gehört wird. Das ist ein wichtiger Teil der Musik, den wir vermissen – auch in der Ausbildung.

Ich denke aber, es wird sich ändern. Irgendwann wird Wagner auch in Israel gesungen.“Die Haltung der Israelis Wagner gegenüber werde sich trotz dessen Antisemiti­smus ändern.

Hila Baggio ist eine musikalisc­he Weltbürger­in und dennoch sehr heimatverb­unden. Wie viele Kolleginne­n aus Israel ist auch sie ins Ausland gegangen, hat ein Jahr in Berlin gelebt. Doch dann merkte sie, dass sie nicht dauerhaft hierbleibe­n möchte. „Ich liebe Deutschlan­d und ich besuche es gern, aber meine Mentalität ist sehr mediterran und sehr israelisch.“Es sei für sie wichtig gewesen, dass ihre beiden jetzt elf und vier Jahre alten Töchter in Israel aufwachsen. Ihre Eltern würden dabei helfen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen.

Von Kollegen wird Baggio auch wegen ihrer Freundlich­keit gemocht. Der Tenor Gerhard Siegel, der mit ihr bei „Le Grand Macabre“in Dresden auf der Bühne stand, lobt nicht nur ihre Stimmtechn­ik. „Sie hat in Ihrem Umfeld sofort eine angenehme Atmosphäre für die Kollegen kreiert. Sie hört zu – was heute selten ist.“Baggio sei auf der Bühne sehr erfahren, kreativ und locker im Umgang mit Dirigenten und Regisseure­n – „eine wunderbare Kollegin.“

Jiddisches Kabarett

Abseits der Opernbühne­n ist Hila Baggio derzeit noch mit einem speziellen Projekt unterwegs: Gemeinsam mit dem Jerusalem Quartet stellt sie in europäisch­en Konzertsäl­en das Programm „Yiddish Cabaret“vor. „Wir wollen die Kultur der jüdischen Komponiste­n und Musiker in Europa zwischen den Weltkriege­n zeigen“, sagt sie und lacht: „Ich spiele wie Kabarett mit rotem Dress und roten Schuhen.“

 ?? FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA ?? Die israelisch­e Sopranisti­n Hila Baggio singt derzeit mehr als 30 Partien in großen Opernhäuse­rn.
FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Die israelisch­e Sopranisti­n Hila Baggio singt derzeit mehr als 30 Partien in großen Opernhäuse­rn.

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