Spitzenforscher verringern die Armut in der Welt
Fachleute erklären auf verständliche Weise die Arbeit der aktuellen Nobelpreisträger
- Den Nobelpreis sollen jedes Jahr die Forscher erhalten, die am meisten für die Menschheit getan haben. Bei einer Matinee in Lindau haben Fachleute die Arbeit der jüngst ausgezeichneten Wissenschaftler verständlich erklärt.
Das Interesse an der Veranstaltung, die heuer zum zehnten Mal stattfand und die inzwischen für die Verantwortlichen der Lindauer Nobelpreisträgertreffen der Auftakt für das Tagungsjahr ist, wird immer größer. Auch heuer war der Sparkassensaal voll, als Moderator Hendrik Groth, Chefredakteur der Schwäbischen Zeitung, vier Fachleute vorstellte, die jeweils die Preisträger und deren Arbeit auf verständliche Weise erläuterten. Das ist nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, wie kompliziert die Forschungsgebiete dieser Wissenschaftler sind.
Für viele Menschen hat die ausgezeichnete Forschung von Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer geradezu überlebenswichtige Bedeutung. Denn die drei Ökonomen befassen sich mit der Frage, wie man extreme Armut bekämpfen kann. „Die machen tolle Sachen, um unsere Welt ein klein wenig besser zu machen“, stellte Dr. Katharina Werner fest, die an der Uni Passau lehrt und forscht und die vor drei Jahren an der bislang letzten Ökonomentagung in Lindau teilgenommen hat.
Weil bisher viele Hilfsprojekte in den ärmsten Ländern der Welt nicht die erhofften Erfolge erreichen, prüfen die drei Laureaten auf eine aus der Medizin entliehene sehr praxisnahe Weise, ob Maßnahmen zur Armutsbekämpfung wirklich helfen und welche dabei vielleicht noch mehr erreichen als andere. Denn es geht immerhin darum, mit dem eingesetzten Geld und Personal die größtmögliche Wirkung für die Betroffenen zu erreichen. Banerjee, Duflo und Kremer verlassen sich nicht mehr auf Hoffnungen oder Meinungen, sondern können tatsächlich messen, was hilft und was nicht.
Dafür zerlegen sie die großen Fragen zu Ernährung, Bildung, Gesundheit und Finanzen in immer kleinere, die sich überprüfen lassen. So haben sie festgestellt, dass staatliche Impfprogramme gegen die Kindersterblichkeit nicht helfen, wenn die Menschen dafür in große Städte reisen müssen. Es reicht auch nicht, wenn die Ärzte in die Dörfer kommen. Wirklich alle fünf nötigen Impfungen bekommen die Kinder nur, wenn die Eltern als Belohnung jedesmal ein Kilo
Linsen als Belohnung erhalten. Das kostet kaum etwas, ist aber sehr wirkungsvoll.
Die Bildung lässt sich verbessern, wenn Lehrer ihre Anwesenheit dokumentieren müssen, denn bisher fällt Unterricht allzuoft aus. Außerdem ist eine Entwurmung der Kinder nötig, damit die nicht wegen dauernder Durchfallerkrankungen oft im Unterricht fehlen. Wichtig ist auch, schwache und starke Schüler getrennt zu unterrichten, denn dann lernen beide Gruppen besser. Nur ein gemeinsamer Unterricht in kleinen Gruppen dagegen führt nicht zu besseren Lernerfolgen.
Die Ergebnisse der Forschung der drei aktuellen Chemie-Nobelpreisträger trägt fast jeder in der Tasche mit sich herum. denn Handys und Laptops sowie viele andere Alltagsgegenstände
bis zu modernen E-Bikes und Elektroautos sind ohne LithiumIonen-Batterie undenkbar. Im Gegensatz zu den seit mehr als 200 Jahren bekannten altbekannten Batterien sind die wiederaufladbar. Der aus Lindenberg stammende Professor Heiner Linke, der heute in Schweden forscht und lehrt und neuer wissenschaftlicher Leiter der Nobelpreisträgertagung ist, stellte vor, welche Probleme John B. Goodenough, Stanley Whittingham und Akira Yoshino zu lösen hatten. Auffällig ist, dass ihre Forschungsergebnisse aus den 70er und 80er Jahren stammen, aber erst heute als wirklich bedeutend angesehen werden. Linke ist zuversichtlich, dass weitere Forschung die Herstellung der Akkus umweltfreundlicher und ihre Nutzung als Energiespeicher der Zukunft ermöglichen wird.
Der Lindauer Kardiologe Dr. Stefan Koschnick stellte die Arbeit von William G. Kaelin, Sir Peter Ratcliffe und Gregg Semenza vor, die herausgefunden haben, wie bestimmte Informationsprozesse in menschlichen Zellen ablaufen. Damit haben sie für das sogenannte Von-Hippel-LindauSyndrom entschlüsselt, wie diese Tumore sich nähren und immer größer und gefährlicher werden. Dieses Wissen soll nun Grundlage für ganz neue Ansätze in der Krebstherapie werden. Noch gibt es keinen konkreten Ansatz, aber die Medizin geht davon aus, dass das nur eine frage der Zeit ist.
In die Weiten des Universums führt Professor Rainer Blatt die Zuhörer der Matinee. Der Professor für Experimentalphysik der Uni Innsbruck und wissenschaftliche Leiter der Physik-Nobelpreisträgertagung erklärt, wie James Peebles, Michel Mayor und Didier Queloz erst möglich gemacht haben, dass Forscher heute Planeten in fremden Sonnensystemen entdecken können. Denn die sind so klein, dass sie mit keinem Teleskop sichtbar sind. Aber mit ihren Umlaufbahnen ringen sie die zugehörigen Sonnen in Bewegung, außerdem verdecken sie immer wieder diese Sonnen, wenn sie diese umrunden.
Peebles hat das schon 1970 berechnet, seit Mitte der 90er Jahre gelangen entsprechende Beobachtungen, die exakt zu den Berechnungen passen. So wurde 1995 der erste sogenannte Exoplanet entdeckt, inzwischen ist die Liste der Astrophysiker auf mehr als 4000 Exoplaneten gewachsen. Es kommen immer mehr dazu. Und die große frage bleibt, ob es irgendwo im Universum eine zweite Erde mit Leben gibt. Doch um das zu klären, sind noch viele erfolgreiche Forschungen nötig, denn der nächste die Exoplaneten ist vier Lichtjahre entfernt, andere sogar hundert und mehr Lichtjahre. Und allein in unserer Galaxie gibt es mehr als hundert Milliarden Systeme, in denen noch unentdeckte Planeten stecken könnten. Kein Wunder, dass die Physik davon ausgeht, dass bisher nur fünf Prozent der Materie entdeckt sind. Alles andere harrt auf weitere Spitzenforscher.
Mehr Bilder von der Matinee zu den aktuellen Nobelpreisen finden Sie im Internet unter der Adresse
www.schwaebische.de/lindau