Wladimir Kaminer
Wladimir Kaminer über Migranten, Kreuzfahrer und Politiker, die kommen und gehen
Der Russe hält Deutsch für eine super Sprache
Muttersprache ist Russisch, aber er schreibt lieber auf Deutsch und das äußerst erfolgreich. Wladimir Kaminer hat mit seinen Büchern, Erzählungen und Kolumnen ein Millionenpublikum erobert. Derzeit ist der Autor unterwegs auf Lesereise und wird demnächst auch in Blaubeuren (19. März, Altes Postamt) und Laichingen (20. März, Altes Rathaus) Station machen. Werner Jürgens hat mit ihm gesprochen.
Trifft es zu, dass der berüchtigte Kreml-Flieger Mathias Rust Sie inspiriert hat, nach Deutschland zu gehen?
Das war eher ein Zufall. Es stimmt schon, dass ich in der sowjetischen Armee gedient habe, als er über uns flog. Ich war damals mit für ihn zuständig, weil ich am Radar saß. Zum Glück haben wir ihn nicht abgeschossen. Das war 1987, und er wollte nach Russland. Ich hingegen wollte nach Deutschland, und das hat sich erst drei Jahre später ergeben.
Was hat Sie denn nun zu diesem Schritt motiviert?
Auch das war, wie fast alles Schöne im Leben, ein Zufall. Eigentlich wollte ich nur raus und meine Heimat verlassen. Lange Zeit durften wir nicht, weil man uns nicht gelassen hat. Wie die meisten jungen Menschen waren wir sehr kritisch und haben uns gedacht: Wenn das bei uns alles so komisch läuft, muss das Leben irgendwo da draußen schöner sein. Im Grunde genommen hatten wir überhaupt gar keine Ahnung, weil wir keinerlei Informationsquellen hatten. Als die Mauer fiel, ergab sich plötzlich die Möglichkeit, Teil der westlichen Gesellschaft zu werden. Diese Möglichkeit habe ich genutzt.
Privat ein Russe, von Beruf ein deutscher Schriftsteller – so charakterisieren Sie sich selber.
Ich bin in der Sowjetunion aufgewachsen und sozialisiert worden. Das waren die ersten 23 Jahre meines Lebens, und die waren natürlich identitätsbildend für mich. Das kann kein Mensch aus seinem Leben wegstreichen. Meine alte Heimat, die Sowjetunion, die einst so groß war wie die halbe Welt, existiert allerdings nicht mehr. Trotzdem geht das Leben weiter. Als ich in Deutschland meine Geschichten erzählen wollte, stellte sich für mich nicht die Frage, in welcher Sprache ich das tun sollte, zumal ich eine große Leserschaft im Visier hatte. Deswegen habe ich angefangen, auf Deutsch zu erzählen und zu schreiben.
Nun ist Deutsch alles andere als eine leichte Sprache.
Ich finde, Deutsch ist eine super Sprache. Ich kann jedenfalls nicht klagen. Immerhin schreibe ich schon seit 25 Jahren auf Deutsch. Und es wird immer besser. In einer fremden Sprache zu schreiben, hat eine Menge Vorteile. Man kontrolliert sich mehr. Ich möchte mich gerne klar und deutlich ausdrücken. Das ist in der Muttersprache oft schwierig, weil man dazu tendiert sich zu vergessen und vom Thema abzuschweifen. Ich merke das bei mir selber, wenn ich einen Brief auf Russisch schreibe und meine Sätze häufig sehr lang werden. In einer fremden
Sprache ist man eher geneigt, jedes Wort und jeden Satz exakt abzuwägen, um sich zu fragen: Muss das jetzt sein? Bringt das die Geschichte wirklich weiter? Kann man das nicht noch anders oder schärfer formulieren? Außerdem habe ich einen Riesenspaß daran, aus alten Wörtern neue Wörter zu basteln. Das ist fast so ein bisschen wie Lego.
Ist Ihnen das, was Sie erzählen, tatsächlich alles so widerfahren? Oder basteln Sie auch an den Inhalten „legomäßig“herum, damit eine Geschichte nachher gut und rund klingt?
Ich glaube nicht, dass sich solche Geschichten, wie ich sie erzähle, einfach so aus den Fingern saugen lassen. Man muss schon neugierig sein und richtig hinschauen, was an der nächsten Ecke passiert. Meine primäre Aufgabe besteht darin, Geschichten zu erkennen und sie zu sammeln. Es passiert ständig etwas. Nur den meisten Leute fällt das nicht auf. Der Job eines Schriftstellers ist es, aus dem Nebel des Alltäglichen die Schmuckstücke herauszufiltern. Die Sprache, das Schreiben und Formulieren sind natürlich auch wichtig. Aber dafür muss man überhaupt erst einmal eine Geschichte haben.
Die Bandbreite der Themen, mit denen Sie sich beschäftigen, reicht von Migration bis hin zur Kreuzschifffahrt. Wie hängt das zusammen?
Da existiert durchaus ein Zusammenhang. Ich habe viel über Menschen in Bewegung geschrieben, weil zur Zeit die halbe Welt in Bewegung zu sein scheint. Die meisten von ihnen bewegen sich in Gruppen. Die zwei größten Gruppen sind unSeine freiwillig reisende Migranten und freiwillig reisende Touristen. Als erstes habe ich ein Buch über Geflüchtete geschrieben, weil ich eine ganze Weile nahezu an jeder Ecke Menschen getroffen habe, die von diesem Schicksal betroffen waren. Dass ich Kreuzfahrer kennengelernt habe, ist wiederum ein Zufall gewesen. Ursprünglich war ich als Entertainer und Vorleser auf eine Kreuzfahrt eingeladen. Als ich bemerkte, dass das eine ganz besondere Art von Tourismus ist, habe ich die Kreuzfahrer kurzerhand zu meinen Touristen gemacht.
Inwiefern sind die besonders?
Das bezieht sich in erster Linie auf ihre Haltung. Viele würden gerne die Welt retten, wissen aber nicht wie. Gleichzeitig möchten sie auf nichts verzichten von dem, was ihnen die Welt an Annehmlichkeiten zu bieten hat. Diese Mischung aus Ohnmacht, Endzeitstimmung und Party-Laune ist gerade auf Kreuzfahrten ungemein verbreitet: Einerseits sich Sorgen machen über den schlechten Zustand des Planeten, anderseits abends Party machen mit „Atemlos durch die Nacht“. Ich habe Kreuzfahrten erlebt, wo manche das Schiff überhaupt nicht verlassen wollten.
Welche Bedeutung haben politische Entscheidungen und Prozesse aus der alten Heimat für den „privaten Russen“Wladimir Kaminer?
Mir geht es vorrangig darum, die deutsch-russische Freundschaft zu erhalten und zu stärken. Politiker kommen und gehen. Leute wie Merkel oder Putin sind lediglich vorübergehende Erscheinungen. Auf meinen Reisen treffe ich häufig Menschen, die das ähnlich sehen wie ich.
Wenn die Politiker nicht miteinander können, müssen wir das eben übernehmen. Erst neulich habe ich eine Russendisko in Neuruppin eröffnet. Die ist in einem riesigen Hangar, wo früher sowjetische Panzer, Waffen und Kanonen standen. Heute tanzen dort Menschen zu russischer Musik.
Ihr aktuelles Buch handelt von „Liebeserklärungen“. Was steckt konkret dahinter?
Es geht hauptsächlich darum, dass es in der Liebe selten so kommt wie man denkt. Mein Ziel ist es, in den Dramen und Tragödien des Lebens das Komische zu entdecken, um auf diesem Weg über die Tragödien lachen zu lernen. Sonst werden sie zu Sackgassen, die nicht zu überwinden sind. Die Liebe ist dafür ein geradezu prädestiniertes Thema, eben weil es selten so kommt wie man denkt. Ein exzellentes Beispiel ist der erste erotische Film, der 1990 im russischen Staatsfernsehen gezeigt wurde. Das war in meinen Augen eine Liebesklärung der Deutschen an die Russen, weil dieser Film eine deutsche Produktion war, die den wunderbaren Titel „Unter dem Dirndl wird gejodelt“trug. Die Staatsführung hielt ihn wohl für harmlos und wollte damit bloß ihre Bereitschaft zur Modernisierung signalisieren. Womit sie nicht gerechnet hatte: Viele, die den Film gesehen haben, verspürten danach offensichtlich keine Lust mehr, weiter wie bisher zu leben und sich für den Sozialismus aufzuopfern, während fernab auf der Alm wilde Sex-Orgien abgingen. Bald darauf eroberten Pornofilme aus aller Welt die Videoshops und Fernsehprogramme, und das Land brach völlig zusammen.