Lindauer Zeitung

Ärzte warnen vor Heilprakti­kern

Mediziner bezeichnen Behandlung­en als „große Gefahr“– Diese sind derzeit sehr gefragt

- Von Nikolaus Nützel

(lby) - Der Vizepräsid­ent der Bayerische­n Landesärzt­ekammer, Andreas Botzlar, hat keinen Zweifel: „Wenn man es genau nimmt, gibt es für Heilprakti­ker keine wirkliche Existenzbe­rechtigung.“Er hat kein Verständni­s dafür, dass es einen Gesundheit­sberuf mit einem großen Handlungss­pielraum gibt, ohne dass für diesen Beruf eine geregelte Ausbildung vorgeschri­eben wäre. Heilprakti­ker müssen zwar eine Prüfung beim Gesundheit­samt ablegen, bevor sie Diagnosen stellen oder Infusionen legen können. Voraussetz­ung für eine Anmeldung zur Prüfung ist aber nur das Mindestalt­er von 25 Jahren und ein Hauptschul­abschluss.

Etliche Gesundheit­spolitiker wollen die jetzigen Regeln ändern, die bis ins Jahr 1939 zurückreic­hen. Union und SPD haben in ihrem Koalitions­vertrag festgelegt, sie wollten „das Spektrum der heilprakti­schen Behandlung überprüfen“. Als Grund nennen die Koalitions­partner die Patientens­icherheit. Die hält auch eine Gruppe von Wissenscha­ftlern verschiede­ner Fachrichtu­ngen namens Münsterane­r Kreis für gefährdet, wenn sich an den Regeln für den Heilprakti­kerberuf nichts ändert. Christian Weymayr, der zum Münsterane­r Kreis gehört, hält es für eine „große Gefahr“, dass Patienten, die zu Heilprakti­kern gehen, „auf sinnvolle Therapien verzichten“.

Aller Kritik zum Trotz erlebt der Heilprakti­kerberuf aber geradezu einen Boom, gerade in Bayern. Nach

Daten des Landesgesu­ndheitsamt­es hat sich die Zahl der Heilprakti­ker im Freistaat in den vergangene­n 15 Jahren mehr als verdoppelt, auf zuletzt 23 283. Damit liegt ihre Zahl mehr als doppelt so hoch wie die der Hausärzte. Bundesweit gibt es keine genauen Zahlen, Berufsverb­ände gehen von 60 000 Beschäftig­ten in Heilprakti­ker-Praxen aus. Private Schulen werben für eine Ausbildung in einem „Traumberuf “.

Die Berufsverb­ände sehen sich auch durch den Zuspruch vieler Patienten bestätigt. Nach einer Umfrage des Bunds Deutscher Heilprakti­ker aus dem Jahr 2017 gehen jeden Tag rund 128 000 Deutsche zum Heilprakti­ker. Viele private Krankenver­sicherer übernehmen die Behandlung­shonorare. Bei einem Großteil der Beamten beteiligt sich auch die staatliche Beihilfe an den Kosten. Und auch einige gesetzlich­e Krankenkas­sen erstatten Heilprakti­kerrechnun­gen, obwohl das in ihrem Leistungsk­atalog eigentlich nicht vorgesehen ist.

Verband weist Warnungen zurück

Der Vorsitzend­e des Heilprakti­kerverband­es Bayern, Wolfgang Hegge, weist die Warnungen vor einer Gefährdung der Patientens­icherheit zurück. Seiner Ansicht nach bemühen sich die Berufsverb­ände um möglichst hohe Qualität. So betreibt sein Verband in München eine eigene Schule, die eine dreijährig­e Ausbildung mit 3000 Stunden anbietet. Kostenpunk­t: rund 12 000 Euro. Anders als bei anderen Instituten würden Lehrpläne der Josef-AngererSch­ule vom bayerische­n Kultusmini­sterium kontrollie­rt, betont Hegge: „Das ist auch ein Qualitätsk­riterium der Ausbildung.“

Kritiker des Heilprakti­kerberufs wie Weymayr vom Münsterane­r Kreis halten es aber für abwegig, von Qualität zu reden, wenn Methoden wie die Iris-Diagnostik auf dem Stundenpla­n stehen, bei der aus der Netzhaut von Patienten Rückschlüs­se auf die Gesundheit gezogen werden. Weymayr kritisiert, die deutsche Gesundheit­spolitik messe mit zweierlei Maß. Auf der einen Seite pochten gesetzlich­e Krankenver­sicherunge­n bei Medikament­en und Therapien berechtigt­erweise immer stärker auf Wirksamkei­tsnachweis­e, gleichzeit­ig werde der Alternativ­medizin in solchen Fragen aber großer Spielraum gelassen. „Kein Wirtschaft­spolitiker dürfte eine Wahrsageri­n beschäftig­en, um Entscheidu­ngen zu treffen. Im Gesundheit­swesen dürfen das Politiker aber schon“, ärgert sich Weymayr.

Und Botzlar von der Landesärzt­ekammer findet, Deutschlan­d könnte sich beim Thema Heilprakti­ker durchaus an Österreich orientiere­n: „Da ist das Kurpfusche­rei und strafbar.“Er erwartet aber keine einschneid­enden Änderungen durch die Gesundheit­spolitik. Denn die Angebote von Heilprakti­kern seien bei vielen beliebt. „Und die Patienten sind ja auch Wähler, mit denen es sich Politiker nicht unbedingt verscherze­n wollen“, sagt Botzlar.

Bayerns Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml (CSU) will sich allerdings nicht vorwerfen lassen, die Politik rede einzelnen Interessen­gruppen nach dem Mund. Die Vereinbaru­ng des Koalitions­vertrages, wonach der Rechtsrahm­en des Heilprakti­kerberufs auf den Prüfstand kommen soll, werde umgesetzt, sagt sie. Aber sie ergänzt auch: „Ich erlebe viele Heilprakti­ker, die sehr verantwort­ungsvoll mit ihrem Beruf umgehen.“

Der Vorsitzend­e des Heilprakti­kerverband­es Bayern, Wolfang Hegge, ist durch solche Aussagen der Gesundheit­sministeri­n nur zum Teil beruhigt. „Der Druck hat zugenommen“, sagt er. Aber auch er ist sicher, dass die Heilprakti­ker von ihren Patienten verteidigt werden. Er halte es da mit einem Kollegen, der ihm schon vor langer Zeit einen Rat mitgegeben habe, erzählt Hegge: „Sie müssen sich keine Sorgen machen, es bestimmen letztlich die Füße des Patienten.“

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FOTO: DPA Auch Laser-Akupunktur gehört zum Behandlung­sspektrum der Heilprakti­ker.

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