Galway rockt ganz öffentlich
Europas Kulturhauptstädte 2020 liegen in Irland und Kroatien und stellen sich beide dem Motto „Hafen der Vielfalt“
Galway trägt 2020 gemeinsam mit dem kroatischen Rijeka den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt. Bereits zum heimlichen Trendspot der vergangenen Jahre aufgestiegen, wird die Stadt im Westen Irlands das tun, was sie besonders gut kann: feiern.
Wie Galway zur Ritterzeit aussah, kann sich jeder leicht vorstellen: Wer vor dem Bollwerk mit dem Namen Spanish Arch am Corrib River steht, hat eine mittelalterliche Stadt vor sich. Der Spanische Bogen entstand im 16. Jahrhundert als Schutz vor den Stürmen des Atlantiks. Um diese Zeit prosperierte Galway, ehemals ein kleines Fischerdorf, als Festungsstadt und wurde von 14 Kaufmannsfamilien beherrscht.
Die gewundenen Gassen, die alten Stadtmauern am Eyre Square, die heutzutage in einen schicken Einkaufskomplex integriert sind, der Spanish Arch, der Teil des modernen Stadtmuseums ist sowie die St. Nicholas Kirche, in der Christoph Kolumbus 1477 gebetet haben soll: Sie alle sind noch Zeugen dieser Zeit und verleihen der Stadt jenen urbanen Charme, der Besucher magisch anzieht. Doch Galway schwelgt nicht in seiner Vergangenheit.
Wenn Galway heutzutage so dynamisch daherkommt, dann ist das in erster Linie den zwei Universitäten zu verdanken. Jeder vierte Einwohner ist Student und senkt das Durchschnittsalter
des 80 000-EinwohnerOrtes sichtbar. Weder die Abgelegenheit noch die Abwesenheit eines nahen Flughafens haben die Menschen je entmutigt. Was sind schon 200 Kilometer Anreise vom nächsten Flughafen Dublin? Stattdessen betrachtet man sich als Tor zum noch weiter entfernten Connemara und zur bekannten Steilküste von Moher. Zudem gehen von hier aus die Fähren zu den Aran-Inseln ab.
Galway rockt. Fast unbemerkt in den Jahren des Booms hat sich die Stadt an der rauen Westküste zum Geheimtipp der Lebensfreude und Kreativität entwickelt. Dublin im Osten ist selbstverständlich wichtiger und reicher, aber Galway und die gleichnamige Grafschaft können besser feiern und kommen im Schnitt auf 100 Festivals pro Jahr – ganz unabhängig vom Programm als Kulturhauptstadt.
Zwei typisch irische Eigenschaften verschaffen der kleinen Stadt ihren Reiz: die lange Musiktradition und ihre gesellige Trinkfestigkeit. Diese Kombination erfahren Besucher an jeder Ecke. Rund 100 Pubs verteilen sich über die kleine Stadt. Entlang der High Street sowie der umliegenden Gassen im Latin Quarter ist die Kneipendichte besonders hoch. Viele Bars bieten tägliche Musikabende – Trad-Sessions genannt. Das Wetter ist launisch; aber regnet es nicht, dann ist die Szene der Straßenmusikanten aktiv und die ganze Stadt erklingt.
Diese bodenständige, allen zugängliche Lebensfreude hat Galway 2016 bereits den Titel der „freundlichsten Stadt der Welt“vom US-Magazin „Travel and Leisure“eingebracht. 2019 hat die Konkurrenz „Conde Nast Traveller“mit dem Titel „Irlands spannendstes Ziel für Feinschmecker“nachgelegt. Grund dafür sind die über 350 Lokale in der Stadt, darunter die zwei Michelingekrönten Gourmettempel „Aniar“und „Loam“. Dort ist man überzeugt, dass man, wie in Kopenhagen einst das „Noma“, eine Küchenrevolution auslösen kann. Mit naturreinen Zutaten aus der Gegend – Austern, Fisch und Fasan – und auf alten Rezepten basierend wollen die Chefs neue Geschmackserlebnisse kreieren.
Wenn also Galway im Februar das Kulturjahr einläutet, dann besinnt sich die Stadt vor allem auf ihre Stärken. Eingeteilt ist das Kulturjahr in die vier keltischen Jahreszeiten Imbloc, Bealtaine, Lughnasa und Samhain. Die Themen Landschaft, Sprache und Migration ziehen sich wie ein roter Faden durchs Programm. Irisch-Gälisch, das noch von zehn Prozent der Galweger gesprochen wird, steht dabei im Vordergrund. Europäische Vielfalt sowie die Tatsache, dass fast ein Viertel der Bewohner Galways außerhalb Irlands geboren wurden, spielen bei dem Thema Migration die Hauptrolle.