Ein Jahr Sperrgebiet – und nun?
Nach wie vor gibt es laut Landratsamt keinen Fall der Blauzungenkrankheit im Westallgäu
- Norbert Fehr steht auf seinem Hof in Altenburg bei Weiler und tätschelt einem Kalb den Kopf. Der Vorsitzende der Bezirkszuchtgenossenschaft Lindau hat 35 Kühe im Stall stehen, hinzu kommen 35 Jungtiere. Das Kälbchen in der Box nebenan tobt vergnügt herum, andere lassen sich die Sonne auf ihr dickes Fell scheinen. „Man sieht doch, dass es meinen Kälbern und meinen Kühen gut geht“, sagt Fehr. „Uns macht man ein Problem, wo eigentlich keines ist.“
Fehr spricht über die Blauzungenkrankheit. Genau vor einem Jahr, am 25. Januar 2019, wurden der Landkreis Lindau und große Teile des Allgäus zur Sperrzone erklärt. Grund hierfür ist die im Dezember 2018 in Baden-Württemberg aufgetretene Blauzungenkrankheit. Die Dauer des Sperrgebiets wurde auf zwei Jahre festgesetzt – und das, obwohl es laut Sibylle Ehreiser vom Landratsamt Lindau noch immer keinen einzigen Fall im ganzen Landkreis gegeben hat. „Das ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagt Fehr.
Das Sperrgebiet werde dennoch ein weiteres Jahr bestehen bleiben, sagt Ehreiser auf Nachfrage. Ob die Sperrfrist danach noch verlängert werde, könne sie zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht sagen. Ihr zufolge kommt es darauf an, wo möglicherweise noch Fälle auftreten. „Bundesweit gab es im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg insgesamt 49 Krankheitsfälle, in Rheinland-Pfalz sechs Fälle und im Saarland vier Fälle“, sagt Ehreiser.
Für die Ausfuhr von Rindern gelten durch die Sperrzone strenge Regeln (siehe Infokasten). Doch was bedeutet das für die Landwirte? „Es ist harter Tobak“, sagt der Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands (BBV), Elmar Karg. „Uns sind die Märkte weggebrochen.“
Die Allgäuer Herdebuchgesellschaft (AHG) in Kempten vermarktet Zuchtvieh und Gebrauchskälber. Bereichsleiter Christoph Busch erklärt die Marktzusammenhänge: Mit der Errichtung der Sperrzone brachen drei große Absatzmärkte weg. Kälber ohne Impfschutz durfte die AHG zunächst nicht mehr nach Norddeutschland, später auch nicht mehr in die Niederlande und Spanien transportieren. Mittlerweile haben ihm zufolge zwar viele Kälber einen Impfschutz. Aber die Märkte seien übersättigt, sagt Busch. Das hat verschiedene Gründe. Unter anderem liegt es daran, dass nun andere Regionen die Märkte bedienen, die früher von Allgäuer Bauern beliefert wurden.
„Der Kälberabsatz ist auf einem historischen Tief“, sagt Busch. „Ich mache das seit 30 Jahren und kann mich nicht daran erinnern, dass Kälberpreise jemals so niedrig waren.“Ein braunes Bullenkalb bringe netto noch etwa zwei Euro pro Kilogramm ein, wenn er es nach Norddeutschland verkauft. Noch vor zwei Jahren habe er für ein solches Kalb etwa drei Euro pro Kilogramm bekommen.
„Ich verkaufe meine Top-Kälber zu einem Schund-Preis“, fasst Kreisobmann Elmar Karg zusammen. Jungtiere mit Makeln oder einem zu geringen Gewicht bleiben gleich im Stall stehen. Erst vor kurzem musste er deshalb 14 Kälber für je 50 Euro hergeben. „Ich habe sie praktisch verschenkt. Nur, damit überhaupt wieder Platz im Stall war. Das ist eine bedrückende Situation.“
Auch Norbert Fehr bestätigt, dass sich das Marktgefüge völlig verschoben hat, seit die Sperrzone besteht. Er spricht vor allem aus Sicht des Zuchtverbands. Um wenigstens ein bisschen Gewinn zu machen, kreuzen ihm zufolge viele Milchbauern ihre Milchrasse-Kühe mit Fleischrassen, zum Beispiel mit weiß-blauen Belgiern: „Denn die Kälber der Fleischrassen sind auf dem Gebrauchskälbermarkt oder bei der Mast mehr wert als reine Milchrassen. Sie setzen mehr Fleisch an.“Christoph Busch von der AHG bestätigt das: Immerhin rund 3,90 Euro pro Kilogramm erhält er für Kreuzungen mit Fleischrassen. „Das ist aber trotzdem ein sehr niedriger Preis“, sagt er. Doch das Kreuzen der Rassen widerspricht dem Anliegen der Züchter: Es gebe immer weniger reinrassige Zuchttiere, sagt Bezirkszuchtgenossenschaft-Vorsitzender Norbert Fehr. „So wird vor allem die braune Rasse, die traditionell im Westallgäu verbreitet ist, immer mehr verdrängt.“
Die Sperrzone verursacht außerdem einen hohen Bürokratie-Aufwand für die Bauern. Kreisobmann Karg findet deutliche Worte: „Es ist ein Irrsinn, was da abläuft.“Seiner Meinung nach ist die Blauzungenkrankheit für Rinder – im Gegensatz zu Schafen und Ziegen – nicht relevant. „Es ist wie eine schwere Grippe.“Der Aufwand, den er mit der Krankheit hat, stehe daher in keinem Verhältnis dazu. „Wir haben uns mittlerweile arrangiert“, sagt Karg. „Wir haben ja keine Alternative. Aber es ist deswegen noch lange nicht gut.“