Aufgestauter Ärger
Die EU hat verfügt, dass Flüsse frei fließen sollen – Dagegen gibt es auch an der Donau in Tuttlingen heftige Proteste
„Das Wehr muß oben bleiben.“
Das forderte die Bürgerinitiative auf einem Spruchbanner in Tuttlingen
„Das Donauwehr ist eine doppelte Barriere.“
TUTTLINGEN/RAVENSBURG - Die Donau in Tuttlingen ist ein idyllischer Ort. Eine Fontäne inmitten des Flusslaufs schießt meterhoch Wasser in die Luft, in einer Bar am Ufer gibt es an lauen Sommerabenden kühle Getränke, während Tretboote übers Wasser gleiten. Möglich macht das ein Stauwehr, das die im Sommer geringe Wassermenge auf 2,5 Meter anstaut und so für einen kleinen „Donausee“im Flussbett sorgt. Viel Geld hat die Stadtverwaltung in die Gestaltung des Uferbereichs, den Donaupark, gesteckt und der Donauradweg zieht viele Besucher an. Doch das Wehr soll nun am besten verschwinden. Wegen einer EU-Verordnung sollen die Tuttlinger ihr Wehr bis spätestens 2021 nach unten fahren – und ihre aufgestaute Donau weitgehend aufgeben. Ein Umstand, den die Tuttlinger nicht kampflos hinnehmen wollen. Der Konflikt um die drei Stauklappen ist aber nur ein Teil einer Geschichte über die Wasserrahmenrichtlinie der EU, über Fische, die wandern wollen, und verärgerte Wehrbetreiber.
Es ist ein emotional geführter Streit, der bereits seit Jahren zwischen der Tuttlinger Stadtverwaltung, einer Bürgerinitiative, dem Landratsamt und dem Regierungspräsidium Freiburg tobt. Im Jahr 2000 beschloss die EU zur Verbesserung der Wasserqualität in Europa die sogenannte Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Darin steht unter anderem: Die Gewässer in der Union müssen möglichst nah an ihren natürlichen Zustand zurückversetzt werden, Wasserlebewesen müssen sich ungehindert bewegen können. Denn Fische, wie etwa die Barbe, wandern viele Kilometer stromaufund -abwärts, legen ihre Eier vor allem in strömungsreiches Wasser. Das Donauwehr: eine störende Barriere. Obwohl die Tore nur im Sommer hochgefahren werden. Eine neue Genehmigung stellte das Landratsamt zunächst nur noch für den Aufstau auf eine Höhe von 1,5 Metern aus. Bis 2021 muss der Pegel schrittweise abgesenkt werden. Seither ist vom alten Stand nur noch ein brauner Strich an der Messlatte übrig geblieben. Zwischen Wasserfläche und Tretbootanleger klafft eine Stufe. Abfinden will man sich damit im Rathaus nicht. Die Verwaltung reichte Klage ein.
Freitag für Freitag baut nun die Bürgerinitiative Erhaltenswe(h)rt ihren Stand auf dem Tuttlinger Marktplatz auf, füllt Listen mit Unterschriften gegen den Abstau der Donau, lädt zu Informationsveranstaltungen und schreibt Briefe an Landratsamt, Regierungspräsidium und Umweltministerium. An einer der Donaubrücken hing für viele Monate ein Spruchbanner: „Das Wehr muß oben bleiben“. Bäume, deren Wurzeln nicht mehr bis zum Wasser reichen, ein abbröckelndes Ufer – das hohe Kosten für die Stadt verursacht – und der Einfluss auf das Stadtklima. Die Argumente gegen das dauerhafte Absenken des Wasserspiegels sind vielfältig. Doch für die Absenkungsgegner ist vor allem das Argument der Durchwanderbarkeit eine Farce. Schließlich verschwinde das Donauwasser kurz vor Tuttlingen im Sommer ohnehin in der Donauversickerung – einem seltenen Naturphänomen, bei dem das Wasser im Boden verschwindet und erst einige Kilometer später wieder zutage tritt. Einen Wasserspielgel jenseits eines Rinnsals mache das Aufstauen der Donau also erst möglich. Aus Sicht der Gegner können sich Fische ohne Wehr erst recht nicht frei bewegen. „Dann gibt es kein Wasser. Fische und Kleinstlebewesen sterben einen Märtyrertod, der aber ökologisch in Ordnung ist“, sagte etwa Michael Hensch, Umweltbeauftragter der Stadt Tuttlingen, während einer Veranstaltung im Oktober. Ein Satz, der das ausdrückt, was in Tuttlingen viele denken: Die Wasserrahmenrichtlinie auf Tuttlingen anzuwenden, ist absurd – zumindest, wenn sie so eng ausgelegt werde.
Rückenwind dafür gibt es etwa von Andreas Schwab, Europaabgeordneter für die CDU in BadenWürttemberg. „Die Donau fließt durch Tuttlingen, und daran will auch die EU nichts ändern“, sagt er. Der Grundgedanke der EU sei es gewesen, dass etwa Fische wie der Lachs wieder den gesamten Rhein durchschwimmen können. „Dieser Wunsch muss jetzt nicht unbedingt zu 120 Prozent in der Tuttlinger Innenstadt gewährleistet werden“, so Schwab.
Kai Baudis ist stellvertretender Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) BadenWürttemberg. Was das Donauwehr angeht, hat er eine klare Einstellung: „Das ist für mich eine Diskussion, die außerhalb von Tuttlingen nicht begreifbar ist“, sagt er. Jedes Querbauwerk an einem Fließgewässer zerschneide das Ökosystem. Dass die Donau im Sommer durch die Donauversickerung trocken fallen könne, sei der natürliche Zustand des Flusses. Die Lebewesen in der Donau seien darauf eingestellt. Das zuständige Regierungspräsidium Freiburg geht sogar noch einen Schritt weiter: „Aufgrund der teilweise geringen Sommerabflüsse ist es von besonderer Bedeutung, frei fließende Verhältnisse an der Donau im Bereich des Tuttlinger Schlauchs zu schaffen“, heißt es auf Anfrage.
Aus Sicht von Baudis werde das Problem auch nicht durch eine Fischtreppe oder Ähnliches endgültig gelöst. Denn das Donauwehr staut das Wasser nicht nur direkt vor den Wehrtoren, sondern erzeugt einen Stauschlauch von mehreren Kilometern, in dem der Wasserpegel höher als natürlich ist. Fische finden gar nicht erst zur Fischtreppe. Denn sie nutzen die Wasserströmung zur Orientierung – im stehenden Stauschlauch der Donau gebe es die nicht. „Das Donauwehr ist eine doppelte Barriere“, sagt Baudis. Eine Auffassung, die auch das Landesumweltministerium teilt: „Durch die Absenkung wird die Staulänge oberhalb des Wehres um eine beträchtliche Länge abgesenkt. Das ermöglicht gerade Klein- und Jungfischen, eine
Staustrecke zu überwinden“, heißt es. Passiert das nicht, werde wandernden Fischen dauerhaft der Lebensraum genommen.
Rund 80 Kilometer östlich von Tuttlingen staut ein Wehr das Wasser der Schussen auf. Im oberschwäbischen Berg Kasernen hat die Wasserkraft eine lange Tradition. Mit der Energie der Schussen sollen schon Ziegel für die Basilika in Weingarten gepresst worden sein. Heute produziert Karl Eyrich mit dem Wasser Strom. In dem kleinen Haus am Wasser brummen die blauen Rohre der Anlage, 4000 Liter Wasser schießen hier pro Sekunde durch die Turbine, auf grauen Stromkästen bewegt sich ein kleiner Zeiger zwischen den Angaben zu den erzeugten Kilowattstunden. Doch dafür, dass der Zeiger ausschlägt, braucht Eyrich mittlerweile deutlich mehr als einfach nur Wasser. Vor allem weil die Auflagen für die Wasserkraftanlage aus seiner Sicht kontinuierlich wachsen – durch die europäische Wasserrahmenrichtlinie. Er steht vor dem kleinen Haus am Wasser, zieht an seiner Zigarette und zeigt auf ein Metallgitter, durch das Wasser strömt. Erst kürzlich musste er den sogenannten Rechen ersetzen – Gitterstäbe, die verhindern, dass Fische in die Turbine gelangen. Die Behörden forderten einen engeren Abstand zwischen den Stäben. Deshalb musste Eyrich nachrüsten. Rund 60 000 Euro hat er investiert. Hinzu kommen ein neuer Fischaufstieg, Fischabstieg und ein künstlicher Bachlauf, damit Lebewesen die Anlage umschwimmen können. Das Schussenwasser, das dort fließen soll, fehlt Eyrich für die Stromerzeugung. Für den Wasserkraftbetreiber ist das vor allem eins: „Enteignung über hohe Kosten.“Denn während die Auflagen immer weiter wachsen, sei die Einspeisevergütung für den Strom in den vergangenen Jahren nicht gestiegen.
Im Landratsamt sieht man das anders. „Das ist fachlich eine absolute Schlüsselstelle“, sagt Iris Steger, Amtsleiterin des Bau- und Umweltamts des Landratsamts Ravensburg. Das Wehr in Berg Kasernen sei vom Bodensee herkommend die erste Flusssperre an der Schussen. Insgesamt sei man der Wasserkraft gegenüber aber aufgeschlossen. „Wasserkraftanlagen sind immer Einzelfälle. An jedem gibt es ein ganz spezielles Thema“, so Steger. Völlig neue Wasserkraftstandorte zu erschließen und neue Wehranlagen zu errichten, wird allerdings grundsätzlich nicht mehr genehmigt. Eine Erfahrung, die ein Wasserkraftbetreiber gemacht hat, der an der Eschach bei Leutkirch im Allgäu eine Anlage in Betrieb nehmen wollte. Nach jahrelangem Streit und hohen Investitionen in Gutachten und Planungen fließt hier immer noch kein Wasser durch die Turbine. „Viele in diesem Land haben noch nicht verstanden, was jetzt ansteht. Wir brauchen alles an erneuerbaren Energien, was uns zur Verfügung steht“, sagt Julian Aicher, Pressesprecher der Interessengemeinschaft Wasserkraft Baden-Württemberg. Er vermutet hinter der Auflagenflut eine politische Agenda gegen die Wasserkraft. Denn die Situation in Berg Kasernen und in Leutkirch sind für ihn keine Einzelfälle.
Für zu eng ausgelegt halten die zuständigen Behörden die EU-Richtlinie nicht. Regeln für die Wasserkraft habe es bereits vor Einführung der Wasserrahmenrichtlinie im Jahr 2000 gegeben. Nur dass es nun einen festen Zeitplan gebe, habe sich durch die europäische Richtlinie verändert. „Das bringt insgesamt einen größeren Druck rein“, sagt Steger vom Landratsamt Ravensburg. „Möglicherweise erscheint die Umsetzung als strenger, da Baden-Württemberg zu Beginn der Umsetzung bereits auf zahlreiche im Vorfeld bestehende Landesprogramme aufbauen konnte, die in anderen Regionen erst später mit Inkrafttreten der Wasserrahmenrichtlinie angegangen wurden“, heißt es aus dem Umweltministerium Baden-Württemberg.
Neben den europäischen Flussläufen wird der Streit um die Richtlinie vor allem an einem Ort ausgetragen: vor den Verwaltungsgerichten. Wann über die Klage der Stadt Tuttlingen gegen den Bescheid des Landratsamtes endgültig entschieden wird, ist noch nicht klar. Eine erste Niederlage musste die Donaustadt aber bereits einstecken: Ein Eilantrag, durch den die Donau zumindest vorübergehend wieder auf 2,5 Meter aufgestaut werden könnte, lehnte das Gericht ab. Das zuständige Regierungspräsidium Freiburg sieht sich bestätigt: „Somit wurde das Vorgehen bei der Umsetzung der WRRL durch die Wasserbehörden gerichtlich bestätigt“, heißt es.
Kai Baudis vom BUND Baden-Württemberg