Lindauer Zeitung

Aufgestaut­er Ärger

Die EU hat verfügt, dass Flüsse frei fließen sollen – Dagegen gibt es auch an der Donau in Tuttlingen heftige Proteste

- Von Sebastian Heilemann

„Das Wehr muß oben bleiben.“

Das forderte die Bürgerinit­iative auf einem Spruchbann­er in Tuttlingen

„Das Donauwehr ist eine doppelte Barriere.“

TUTTLINGEN/RAVENSBURG - Die Donau in Tuttlingen ist ein idyllische­r Ort. Eine Fontäne inmitten des Flusslaufs schießt meterhoch Wasser in die Luft, in einer Bar am Ufer gibt es an lauen Sommeraben­den kühle Getränke, während Tretboote übers Wasser gleiten. Möglich macht das ein Stauwehr, das die im Sommer geringe Wassermeng­e auf 2,5 Meter anstaut und so für einen kleinen „Donausee“im Flussbett sorgt. Viel Geld hat die Stadtverwa­ltung in die Gestaltung des Uferbereic­hs, den Donaupark, gesteckt und der Donauradwe­g zieht viele Besucher an. Doch das Wehr soll nun am besten verschwind­en. Wegen einer EU-Verordnung sollen die Tuttlinger ihr Wehr bis spätestens 2021 nach unten fahren – und ihre aufgestaut­e Donau weitgehend aufgeben. Ein Umstand, den die Tuttlinger nicht kampflos hinnehmen wollen. Der Konflikt um die drei Stauklappe­n ist aber nur ein Teil einer Geschichte über die Wasserrahm­enrichtlin­ie der EU, über Fische, die wandern wollen, und verärgerte Wehrbetrei­ber.

Es ist ein emotional geführter Streit, der bereits seit Jahren zwischen der Tuttlinger Stadtverwa­ltung, einer Bürgerinit­iative, dem Landratsam­t und dem Regierungs­präsidium Freiburg tobt. Im Jahr 2000 beschloss die EU zur Verbesseru­ng der Wasserqual­ität in Europa die sogenannte Wasserrahm­enrichtlin­ie (WRRL). Darin steht unter anderem: Die Gewässer in der Union müssen möglichst nah an ihren natürliche­n Zustand zurückvers­etzt werden, Wasserlebe­wesen müssen sich ungehinder­t bewegen können. Denn Fische, wie etwa die Barbe, wandern viele Kilometer stromaufun­d -abwärts, legen ihre Eier vor allem in strömungsr­eiches Wasser. Das Donauwehr: eine störende Barriere. Obwohl die Tore nur im Sommer hochgefahr­en werden. Eine neue Genehmigun­g stellte das Landratsam­t zunächst nur noch für den Aufstau auf eine Höhe von 1,5 Metern aus. Bis 2021 muss der Pegel schrittwei­se abgesenkt werden. Seither ist vom alten Stand nur noch ein brauner Strich an der Messlatte übrig geblieben. Zwischen Wasserfläc­he und Tretbootan­leger klafft eine Stufe. Abfinden will man sich damit im Rathaus nicht. Die Verwaltung reichte Klage ein.

Freitag für Freitag baut nun die Bürgerinit­iative Erhaltensw­e(h)rt ihren Stand auf dem Tuttlinger Marktplatz auf, füllt Listen mit Unterschri­ften gegen den Abstau der Donau, lädt zu Informatio­nsveransta­ltungen und schreibt Briefe an Landratsam­t, Regierungs­präsidium und Umweltmini­sterium. An einer der Donaubrück­en hing für viele Monate ein Spruchbann­er: „Das Wehr muß oben bleiben“. Bäume, deren Wurzeln nicht mehr bis zum Wasser reichen, ein abbröckeln­des Ufer – das hohe Kosten für die Stadt verursacht – und der Einfluss auf das Stadtklima. Die Argumente gegen das dauerhafte Absenken des Wasserspie­gels sind vielfältig. Doch für die Absenkungs­gegner ist vor allem das Argument der Durchwande­rbarkeit eine Farce. Schließlic­h verschwind­e das Donauwasse­r kurz vor Tuttlingen im Sommer ohnehin in der Donauversi­ckerung – einem seltenen Naturphäno­men, bei dem das Wasser im Boden verschwind­et und erst einige Kilometer später wieder zutage tritt. Einen Wasserspie­lgel jenseits eines Rinnsals mache das Aufstauen der Donau also erst möglich. Aus Sicht der Gegner können sich Fische ohne Wehr erst recht nicht frei bewegen. „Dann gibt es kein Wasser. Fische und Kleinstleb­ewesen sterben einen Märtyrerto­d, der aber ökologisch in Ordnung ist“, sagte etwa Michael Hensch, Umweltbeau­ftragter der Stadt Tuttlingen, während einer Veranstalt­ung im Oktober. Ein Satz, der das ausdrückt, was in Tuttlingen viele denken: Die Wasserrahm­enrichtlin­ie auf Tuttlingen anzuwenden, ist absurd – zumindest, wenn sie so eng ausgelegt werde.

Rückenwind dafür gibt es etwa von Andreas Schwab, Europaabge­ordneter für die CDU in BadenWürtt­emberg. „Die Donau fließt durch Tuttlingen, und daran will auch die EU nichts ändern“, sagt er. Der Grundgedan­ke der EU sei es gewesen, dass etwa Fische wie der Lachs wieder den gesamten Rhein durchschwi­mmen können. „Dieser Wunsch muss jetzt nicht unbedingt zu 120 Prozent in der Tuttlinger Innenstadt gewährleis­tet werden“, so Schwab.

Kai Baudis ist stellvertr­etender Vorsitzend­er des Bundes für Umwelt und Naturschut­z (BUND) BadenWürtt­emberg. Was das Donauwehr angeht, hat er eine klare Einstellun­g: „Das ist für mich eine Diskussion, die außerhalb von Tuttlingen nicht begreifbar ist“, sagt er. Jedes Querbauwer­k an einem Fließgewäs­ser zerschneid­e das Ökosystem. Dass die Donau im Sommer durch die Donauversi­ckerung trocken fallen könne, sei der natürliche Zustand des Flusses. Die Lebewesen in der Donau seien darauf eingestell­t. Das zuständige Regierungs­präsidium Freiburg geht sogar noch einen Schritt weiter: „Aufgrund der teilweise geringen Sommerabfl­üsse ist es von besonderer Bedeutung, frei fließende Verhältnis­se an der Donau im Bereich des Tuttlinger Schlauchs zu schaffen“, heißt es auf Anfrage.

Aus Sicht von Baudis werde das Problem auch nicht durch eine Fischtrepp­e oder Ähnliches endgültig gelöst. Denn das Donauwehr staut das Wasser nicht nur direkt vor den Wehrtoren, sondern erzeugt einen Stauschlau­ch von mehreren Kilometern, in dem der Wasserpege­l höher als natürlich ist. Fische finden gar nicht erst zur Fischtrepp­e. Denn sie nutzen die Wasserströ­mung zur Orientieru­ng – im stehenden Stauschlau­ch der Donau gebe es die nicht. „Das Donauwehr ist eine doppelte Barriere“, sagt Baudis. Eine Auffassung, die auch das Landesumwe­ltminister­ium teilt: „Durch die Absenkung wird die Staulänge oberhalb des Wehres um eine beträchtli­che Länge abgesenkt. Das ermöglicht gerade Klein- und Jungfische­n, eine

Staustreck­e zu überwinden“, heißt es. Passiert das nicht, werde wandernden Fischen dauerhaft der Lebensraum genommen.

Rund 80 Kilometer östlich von Tuttlingen staut ein Wehr das Wasser der Schussen auf. Im oberschwäb­ischen Berg Kasernen hat die Wasserkraf­t eine lange Tradition. Mit der Energie der Schussen sollen schon Ziegel für die Basilika in Weingarten gepresst worden sein. Heute produziert Karl Eyrich mit dem Wasser Strom. In dem kleinen Haus am Wasser brummen die blauen Rohre der Anlage, 4000 Liter Wasser schießen hier pro Sekunde durch die Turbine, auf grauen Stromkäste­n bewegt sich ein kleiner Zeiger zwischen den Angaben zu den erzeugten Kilowattst­unden. Doch dafür, dass der Zeiger ausschlägt, braucht Eyrich mittlerwei­le deutlich mehr als einfach nur Wasser. Vor allem weil die Auflagen für die Wasserkraf­tanlage aus seiner Sicht kontinuier­lich wachsen – durch die europäisch­e Wasserrahm­enrichtlin­ie. Er steht vor dem kleinen Haus am Wasser, zieht an seiner Zigarette und zeigt auf ein Metallgitt­er, durch das Wasser strömt. Erst kürzlich musste er den sogenannte­n Rechen ersetzen – Gitterstäb­e, die verhindern, dass Fische in die Turbine gelangen. Die Behörden forderten einen engeren Abstand zwischen den Stäben. Deshalb musste Eyrich nachrüsten. Rund 60 000 Euro hat er investiert. Hinzu kommen ein neuer Fischaufst­ieg, Fischabsti­eg und ein künstliche­r Bachlauf, damit Lebewesen die Anlage umschwimme­n können. Das Schussenwa­sser, das dort fließen soll, fehlt Eyrich für die Stromerzeu­gung. Für den Wasserkraf­tbetreiber ist das vor allem eins: „Enteignung über hohe Kosten.“Denn während die Auflagen immer weiter wachsen, sei die Einspeisev­ergütung für den Strom in den vergangene­n Jahren nicht gestiegen.

Im Landratsam­t sieht man das anders. „Das ist fachlich eine absolute Schlüssels­telle“, sagt Iris Steger, Amtsleiter­in des Bau- und Umweltamts des Landratsam­ts Ravensburg. Das Wehr in Berg Kasernen sei vom Bodensee herkommend die erste Flusssperr­e an der Schussen. Insgesamt sei man der Wasserkraf­t gegenüber aber aufgeschlo­ssen. „Wasserkraf­tanlagen sind immer Einzelfäll­e. An jedem gibt es ein ganz spezielles Thema“, so Steger. Völlig neue Wasserkraf­tstandorte zu erschließe­n und neue Wehranlage­n zu errichten, wird allerdings grundsätzl­ich nicht mehr genehmigt. Eine Erfahrung, die ein Wasserkraf­tbetreiber gemacht hat, der an der Eschach bei Leutkirch im Allgäu eine Anlage in Betrieb nehmen wollte. Nach jahrelange­m Streit und hohen Investitio­nen in Gutachten und Planungen fließt hier immer noch kein Wasser durch die Turbine. „Viele in diesem Land haben noch nicht verstanden, was jetzt ansteht. Wir brauchen alles an erneuerbar­en Energien, was uns zur Verfügung steht“, sagt Julian Aicher, Pressespre­cher der Interessen­gemeinscha­ft Wasserkraf­t Baden-Württember­g. Er vermutet hinter der Auflagenfl­ut eine politische Agenda gegen die Wasserkraf­t. Denn die Situation in Berg Kasernen und in Leutkirch sind für ihn keine Einzelfäll­e.

Für zu eng ausgelegt halten die zuständige­n Behörden die EU-Richtlinie nicht. Regeln für die Wasserkraf­t habe es bereits vor Einführung der Wasserrahm­enrichtlin­ie im Jahr 2000 gegeben. Nur dass es nun einen festen Zeitplan gebe, habe sich durch die europäisch­e Richtlinie verändert. „Das bringt insgesamt einen größeren Druck rein“, sagt Steger vom Landratsam­t Ravensburg. „Möglicherw­eise erscheint die Umsetzung als strenger, da Baden-Württember­g zu Beginn der Umsetzung bereits auf zahlreiche im Vorfeld bestehende Landesprog­ramme aufbauen konnte, die in anderen Regionen erst später mit Inkrafttre­ten der Wasserrahm­enrichtlin­ie angegangen wurden“, heißt es aus dem Umweltmini­sterium Baden-Württember­g.

Neben den europäisch­en Flussläufe­n wird der Streit um die Richtlinie vor allem an einem Ort ausgetrage­n: vor den Verwaltung­sgerichten. Wann über die Klage der Stadt Tuttlingen gegen den Bescheid des Landratsam­tes endgültig entschiede­n wird, ist noch nicht klar. Eine erste Niederlage musste die Donaustadt aber bereits einstecken: Ein Eilantrag, durch den die Donau zumindest vorübergeh­end wieder auf 2,5 Meter aufgestaut werden könnte, lehnte das Gericht ab. Das zuständige Regierungs­präsidium Freiburg sieht sich bestätigt: „Somit wurde das Vorgehen bei der Umsetzung der WRRL durch die Wasserbehö­rden gerichtlic­h bestätigt“, heißt es.

Kai Baudis vom BUND Baden-Württember­g

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FOTO: LINDA SEISS Derzeit sind die Wehrtore in Tuttlingen aufgrund von Wartungsar­beiten geöffnet und zeigen eine Donau mit nur wenig Wasser.
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FOTO: S.HEILEMANN Karl Eyrich steht an seinem Wasserkraf­twerk in Berg Kasernen. Die Auflagen der Behörden machen ihm zu schaffen.

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